Olympia-Traum nach schwerer Krankheit
Bob-Anschieberin sprintet nach Krebs-OP zurück ins Leben

Von der Krebsstation zurück aufs Eis: Michelle Gloor (24) will zurück in den Bob – und an die Olympischen Spiele 2026. Blick hat die Aargauerin beim Training im Sportzentrum Kerenzerberg begleitet.
Publiziert: 01.08.2025 um 16:29 Uhr
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Aktualisiert: 01.08.2025 um 17:01 Uhr
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Michelle Gloor im Interview – offen und reflektiert.
Foto: BENJAMIN SOLAND
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Joël HahnRedaktor Sport

«Ich fühle mich so gut wie am Tag vor der Erkrankung.» Wenn Michelle Gloor (24) das sagt, klingt es ruhig. Fast gelassen. Doch hinter dem Satz steckt ein Kampf, wie ihn nur wenige durchmachen. Denn vor einem halben Jahr lag die kräftige Bob-Anschieberin mit einer Krebsdiagnose im Spital. Heute sprintet sie wieder über die Anschubbahn, stemmt Gewichte – und jagt ihren grossen Traum: Olympia in Cortina.

Fünfstündige Operation, Chemotherapie – und der Wille, zurückzukommen

Im November 2024 kam die Diagnose, im Dezember folgte eine fünfstündige Operation, ab Februar eine intensive Chemotherapie. Während andere in ihrer Situation pausieren, hat Gloor nie ganz mit dem Training aufgehört. «Ich bin anstrengend, wenn ich mich nicht bewegen kann», sagt sie lachend. Selbst mit Schmerzen sass sie auf dem Velo oder machte leichtes Krafttraining. «Ich wollte einfach spüren, dass mein Körper noch funktioniert.»

Heute, rund zwei Monate nach Therapieende, ist sie zurück im strukturierten Trainingsalltag. «Ich kann wieder fast alles machen – nicht mit der Intensität wie früher, aber qualitativ sind es die besten Trainings meines Lebens.» Die Verbindung zwischen Kopf und Körper sei stärker geworden. «Ich höre mehr auf meinen Körper. Und ich merke: Ich bin zurück.»

Ein neues Lebensgefühl – mit Fast-Glatze und viel Stärke

Ihre langen, schwarzen Haare hat sie verloren. «Am Anfang war es komisch, ich habe es mir schlimmer vorgestellt.» Heute trägt sie oft ein Tuch – nicht aus Scham, sondern um nicht aufzufallen. «Ich will einfach normal sein.» Den Moment, als ihre Haare rasiert wurden, hat sie noch im Kopf. «Ich habe ein paar Strähnen behalten – wie ein Stück vom ersten Leben. Jetzt beginnt das zweite.»

Die Krankheit habe vieles verändert. «Die Erde dreht sich weiter – egal, ob es mir gut geht oder nicht. Entweder mache ich das Beste draus oder ich stecke den Kopf in den Sand. Aber als Sportlerin gibt man nicht so schnell auf.» Zurückgekämpft hat sie sich auch mit der Hilfe ihrer Familie: «Jeden Tag war jemand bei mir im Spital. Eine Umarmung hat oft mehr geholfen als jedes Schmerzmittel.»

Olympia ist jeden Tag präsent – als Kette am Hals und Ziel im Kopf

Im Oktober gehts für Gloor erstmals wieder in den Eiskanal – im Trainingslager in Norwegen. Ihre Pilotin Debora Annen (23), mit der sie eigentlich letzte Saison durchstarten wollte, ist aktuell in der Spitzensport-RS in Magglingen. Der Kontakt blieb eng. «Nach meiner letzten Chemo war ich in Tenero im Trainingslager – ein besonderer Moment, wieder mit Debora zu trainieren.»

Doch die Olympia-Qualifikation ist kein Selbstläufer. Entscheidend wird ein Anschiebewettkampf im Dezember in Deutschland – dort zählt nur die Zeit. «Aber weil ich schon in Deboras Team war, habe ich einen kleinen Vorsprung. Wer in ihr Team will, muss an mir und meinen Teamkolleginnen vorbei.»

Der Antrieb? Riesig. Jeden Tag blickt sie auf ihre Kette mit den olympischen Ringen. «Olympia ist nicht weit weg – es ist jeden Tag da. Es wäre das Grösste, was ich in meiner Sportlerkarriere je erreichen könnte.»

«Ich bin stärker als der Krebs» – und das möchte sie auch zeigen

Wenn sie heute jungen Menschen etwas mitgeben kann, dann das: «Mir ist wichtig, dass man über Krebs redet. Es ist ein Tabuthema – besonders bei jungen Leuten. Es gibt viele, die nicht können oder wollen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass Menschen wie ich, die darüber sprechen können, es auch tun.»

Zweifel gibt es noch. Aber nicht mehr als früher. «Der Sport hilft mir, mein Selbstvertrauen wieder aufzubauen. Ich sehe, wie ich stärker werde, höher springe. Das gibt mir Energie.»

Und dann lacht sie wieder. Offen. Herzlich. Fokussiert. Und plötzlich ist sie wieder da – Michelle Gloor, die Kämpferin. Die Sportlerin. Die Olympiakandidatin.

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