Darum gehts
Richtig wohl fühlt sich Samuel Giger (27) in solchen Momenten noch immer nicht. «Mittlerweile fällt es mir aber bereits deutlich leichter», erklärt der Unspunnensieger, während er vor dem Gemüseregal steht. Gerade hat der Spitzenschwinger die Lidl-Filiale in Weinfelden TG betreten.
Sofort drehen sich ein paar Leute nach ihm um. Hinter seinem Rücken wird getuschelt. «Das ist ein bekannter Schwinger», erklärt eine Mutter ihrem Sohn. Jemand anderes schiesst heimlich ein Foto des 1,94 Meter grossen Modellathleten.
Giger nimmt das gelassen. «Ich habe gelernt, damit umzugehen.» Mitten in einem Laden vor wildfremden Leuten für einen Fotografen zu posieren, hätte er vor einigen Jahren nur widerwillig getan.
Grosses Lob von einem König
Der Thurgauer musste sich zuerst an den Hype um seine Person gewöhnen. «Am Anfang war ich mit der ganzen Aufmerksamkeit komplett überfordert.» Als 16-Jähriger bodigte er den dreifachen Eidgenossen Urban Götte.
Im Blick adelte ihn Schwingerkönig Nöldi Forrer: «Ich traute meinen Augen nicht. Das war sackstark!» Nach seinem ersten Kranzfestsieg 2015 wurde Giger als zukünftiger Schwingerkönig betitelt. «Ich wollte einfach möglichst gut schwingen. Was das alles mit sich bringt, überlegte ich mir nie.»
Plötzlich erkannten die Leute Giger auf der Strasse und sprachen ihn an. «Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Im Rückblick gab es Situationen, in denen ich mich teilweise nicht richtig verhalten habe», so der Kilchberg-Sieger und führt aus: «Ich beendete Gespräche ziemlich abrupt, weil es mir zu viel wurde. Da wirkte ich sicher nicht sehr freundlich und sympathisch.»
Zwei Dinge dürfen im Einkaufskorb nicht fehlen
Viele Pluspunkte sammelte er bei Traditionalisten für seine zurückhaltende Art bezüglich Sponsoren. Giger lehnte jahrelang Angebote ab. «Ich war noch nicht reif genug. Zudem wollte ich mich zuerst auf den Schwingsport und die Ausbildung konzentrieren.»
Seit Anfang 2021 hat er Lidl als Hauptsponsor. «Das Einkaufen im Lidl übernimmt meistens meine Frau Michelle.» Was darf sie auf keinen Fall vergessen? «Fleisch und Fisch. Das esse ich sehr gerne. Zudem liefern sie mir wichtige Proteine.»
Einen strikten Ernährungsplan hat Giger nicht. Er kenne seinen Körper mittlerweile derart gut, dass er wisse, was er ungefähr brauche. «Wenn ich mit Michelle auswärts essen gehe, gönne ich mir ein Dessert.» Auch einem Besuch bei McDonald’s oder Burger King ist Giger nicht abgeneigt.
Modellathlet Giger als Kind zu dick?
Teilweise verspüre er Lust auf Fast Food. «Immer liegt das natürlich nicht drin. Wenn ich dann dort einmal etwas esse, merke ich im Nachhinein, was ich vorher schon wusste: Zwei Stunden später hat man wieder Hunger.»
Zu Hause kocht das Paar oft gemeinsam. Wenn Giger auf sich alleine gestellt ist, bereitet er gerne eine Lasagne zu. «Die bringe ich ziemlich gut hin», meint der Schwinger schmunzelnd. Was das Essen anbelangt, sei er sehr unkompliziert. «Ich esse alles, was auf meinem Teller landet. Mittlerweile sogar die langen Bohnen. Früher konnte ich diese nicht ausstehen.»
Dann erzählt der Modellathlet etwas, was bei seiner heutigen Figur undenkbar scheint. «Als Kind hatte ich ein paar Kilo zu viel. Etwas schlanker wurde ich erst in der fünften, sechsten Klasse.» Das Thema Gewicht begleitet Giger bis heute. Nur in einer etwas anderen Form.
Biberli-Ritual vor den Kämpfen
Während der Saison kämpft der 125-Kilo-Mann gegen das Abnehmen. «Früher hatte ich mehr Hunger. Deshalb muss ich mich teilweise zwingen, eine zusätzliche Portion zu essen.»
Auf die Ernährung achtete er als Teenager noch nicht. An den Jungschwingertagen verdrückte Giger wie alle anderen einige Sandwiches. Mittlerweile schwört der Thurgauer auf ein Biberli vor den Gängen. «Das gibt mir sofort Energie.» Besonders viel davon wird er Ende August in Mollis GL brauchen.
Am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest will sich Giger endlich die Königskrone aufsetzen lassen. Einmal mehr wird der Thurgauer als einer der ganz grossen Favoriten an das Saisonhighlight reisen. Zuletzt wurde ihm diese Ausgangslage jeweils zum Verhängnis.
Mentale Probleme? «Ich fühle mich bereit!»
Sowohl 2019 in Zug als auch 2022 in Pratteln konnte Giger seine gewohnte Leistung nicht abrufen. Was auch daran lag, dass er am gewaltigen Druck zerbrach. Vor drei Jahren traf er deshalb eine ungewöhnliche Entscheidung. Giger wendete sich an einen Hypnotiseur.
Dessen positiver Einfluss zeigte sich in der darauffolgenden Saison. Der Modellathlet dominierte den Unspunnen-Schwinget mit sechs Siegen in sechs Kämpfen. Von Problemen im Kopf will Giger deshalb nichts mehr wissen: «Ich fühle mich mental bereit für das ESAF.»
Kritiker lassen Giger kalt
Trotzdem wird immer wieder an ihm gezweifelt. So auch in diesem Jahr. Nach seinem enttäuschenden Auftritt beim Nordostschweizer schlugen einige Experten Alarm. Ihm fehle die Spritzigkeit und der unbedingte Siegeswille. Auch mit solchen Kommentaren lernte Giger umzugehen. «Mich lässt das kalt. Ich konzentriere mich auf meine Leistung.»
Und die ist einmal mehr beeindruckend. Gewann Giger doch mehrere Kranzfeste sowie den Bergklassiker auf der Rigi. Einmal mehr scheint alles zu passen. Bleibt nur noch eine Frage: Schlägt Giger diesmal auch wirklich zu?
Hinweis: Dieser Artikel erschien erstmals am 20. August 2025.