Der frühere Union-Kulttrainer sitzt tiefenentspannt im Office seines Beraters. Hinter ihm hängt ein grosses Porträt des verstorbenen Ex-Weltmeisters Diego Armando Maradona. «Vor der WM 1990 habe ich gegen ihn gespielt und das 1:1 von Kubi Türkyilmaz vorbereitet.»
Sie sind seit 18 Monaten weg von der Seitenlinie. Träumen Sie ab und zu von Fussball?
Urs Fischer: Nein, ich träume nicht davon. Aber ich hatte auch keine Albträume, als ich an der Linie gestanden bin.
Keinerlei Entzugserscheinungen?
Das ist das falsche Wort. Ich betreibe diesen Sport seit der Saison 1984/85 professionell. Darum ist es logisch, dass mir ab und zu ein paar Gedanken durch den Kopf schiessen. Aber ganz ehrlich: Ich habe die Zeit genossen, und ich geniesse sie immer noch. Das ist ein Privileg, das ist mir bewusst.
Ihr längster Unterbruch der Karriere.
Nach Zürich waren es rund neun Monate, nach Basel ein Jahr. Und jetzt eineinhalb Jahre. Das ist ein Teil des Trainergeschäfts.
Sie standen in Berlin in 224 Spielen in der Verantwortung. War Ihr Akku danach vor allem leer? Tut die Erholung jetzt richtig gut?
Die Batterien waren nie leer. Ob es mir jetzt guttut, etwas Distanz zu bekommen? Das kann man so sehen. Aber die Zeit geht rasend schnell vorbei, ich habe so viel gemacht, ich bin viel unterwegs. Und ich habe versucht zu reflektieren, andererseits habe ich für Dinge Zeit gefunden, die ich so nie hatte. Zudem geniesse ich es, wieder unter einem Dach mit der Familie zu leben.
Urs Fischer (59), geboren in Triengen, aufgewachsen in Zürich. Im April 1984 Debütant beim FCZ. Das Leibchen der Stadtzürcher trägt er in 343 Spielen. In der obersten Liga kommt der frühere Verteidiger inklusive seiner Zeit beim FC St. Gallen auf 549 Partien. 2000 gewinnt er mit seinem Stammverein den Cup. Ab 2003 im FCZ-Nachwuchsbereich tätig. 2010 wird der Ex-Nationalspieler zum Chef befördert und im Frühling 2012 erstmals entlassen. Nach einem zweijährigen Engagement in Thun coacht er von 2015 bis 2017 den FC Basel – Double-Gewinn und Meister. Ab 2018 und während 224 Spielen Coach von Union Berlin. Fischer steigt mit den Eisernen auf und erreicht 2023 die Champions League. Im gleichen Jahr Trainer des Jahres in Deutschland.
Urs Fischer (59), geboren in Triengen, aufgewachsen in Zürich. Im April 1984 Debütant beim FCZ. Das Leibchen der Stadtzürcher trägt er in 343 Spielen. In der obersten Liga kommt der frühere Verteidiger inklusive seiner Zeit beim FC St. Gallen auf 549 Partien. 2000 gewinnt er mit seinem Stammverein den Cup. Ab 2003 im FCZ-Nachwuchsbereich tätig. 2010 wird der Ex-Nationalspieler zum Chef befördert und im Frühling 2012 erstmals entlassen. Nach einem zweijährigen Engagement in Thun coacht er von 2015 bis 2017 den FC Basel – Double-Gewinn und Meister. Ab 2018 und während 224 Spielen Coach von Union Berlin. Fischer steigt mit den Eisernen auf und erreicht 2023 die Champions League. Im gleichen Jahr Trainer des Jahres in Deutschland.
Sie fischen leidenschaftlich gern, das ist bekannt.
Das war nicht geplant. Es hat sich ergeben – auch das Fischen passiert spontan. Gewisse Dinge lasse ich auf mich zukommen, ganz entspannt. Ich führe keine To-do-Liste und habe auch kein Zeitmanagement aufgestellt. Meine Frau und ich machen in Zürich immer wieder längere E-Bike-Touren – wir haben dabei wunderbare Plätzchen entdeckt, die ich zu Fuss nie erreicht hätte. Auch im Ausland sind die Velos immer dabei. Diese gemeinsamen Ausfahrten habe ich richtig schätzen gelernt.
Haben Sie während Ihren Touren schnell einmal zur Seite geschoben, was Sie zuvor täglich beschäftigt hat?
Es braucht immer einen Moment, bis sich alles gelegt hat. Irgendwann kommst du in einem anderen Alltag an. Vorher war alles festgelegter, strukturierter, jetzt ist es ein bisschen ungezwungener.
Haben Sie Ihre aktuelle Lebenssituation schätzen gelernt?
Wie schon einmal erwähnt: Es ist ein Privileg, das ich richtig einschätzen kann.
Union-Präsident Dirk Zingler sagte am Tag der Trennung im November 2023, er könne sich nicht zur Zukunft äussern, weil er sich keine Sekunde Gedanken über ein Ende der Ära Fischer gemacht habe. Wie ging es Ihnen damals? Was ist mit Ihnen passiert?
Wichtig war, dass ich die Lage mit meinem Assistenten relativ zackig reflektiert habe. Fünf Jahre lang war es eine einzige Erfolgsgeschichte. Dann ging es sechs Monate so steil bergab, wie es vorher in die andere Richtung gelaufen ist. In der Blütezeit haben wir uns im Trainerbüro immer mal wieder angeschaut: Hey, wie haben wir das heute eigentlich hinbekommen? Im letzten Halbjahr stellten wir uns oft die Frage, wie es möglich war, wieder keinen Punkt mitzunehmen. Es waren Extreme. Aber es war entscheidend, sofort mit der Aufarbeitung zu beginnen. Dass es emotional wird, wenn man so lange zusammen auf einem Weg ist und er plötzlich endet, ist logisch. Je älter man wird, umso grösser ist wohl die Akzeptanz, das Ende als Teil des Geschäfts zu sehen. Fünfeinhalb Jahre muss man zuerst einmal schaffen. Was ist heute die durchschnittliche Jobdauer eines Trainers? 12 bis 14 Monate.
2018 stellte sich fast jeder die Frage, weshalb wechselt Meister-Trainer Fischer in die 2. Bundesliga? Was folgte, war ein Märchen – vom Aufstieg bis in die Champions League.
Schuld ist Dino (Agent Lamberti, die Red.), dass ich dort gelandet bin (lacht). Ich war bei Basel noch ohne Agent unterwegs. Der FCB war damals das Mass aller Dinge in der Schweiz. Ich glaubte, es könnte ein Angebot aus dem Ausland kommen. Deshalb nahm ich mit Dino Kontakt auf. Wir kennen uns schon sehr lange. Er begann als Berater, als ich meine Spielerkarriere beendet habe. Zu Beginn war ich U14-Trainer beim FCZ, dann arbeitete ich als Teamcoach bei Lucien Favre. In dieser Funktion bin ich ihm zwischendurch begegnet.
Wann reifte der Gedanke, die Schweiz zu verlassen?
Ich fragte ihn 2017, ob er sich eine Kooperation vorstellen könnte. Dann ging es darum, was sinnvoll sein könnte. Dino unterhielt sehr gute Kontakte zu Union, er kannte die Organisation aussergewöhnlich gut. Es ist wichtig, dass jemand die Gegebenheiten versteht, wenn man den ersten Schritt ins Ausland macht. Ich erinnere mich an das erste Gespräch mit dem Präsidenten und dem Sportdirektor am Potsdamer Platz. Das Paket stimmte auf Anhieb. Die Denkweise der Unioner und mein Charakter haben funktioniert.
Was blieb haften in den über fünf geschichtsträchtigen Jahren? Was haben Sie aus Berlin mitgenommen?
Das Business hat mich weitgehend absorbiert. Trotzdem habe ich während fünfeinhalb Jahren einiges gesehen. Die Stadt lebt, sie ist vielschichtig, Kultur und Freizeit, Vergnügen, Gastronomie. Es ist für alle etwas dabei.
Sind Sie seit Ihrem Auszug je wieder zurückgekehrt?
Nein, nicht mehr, seit ich die Wohnung geräumt habe. Es ist auch gut so. Wenn man so intensiv und so nahe war, tut eine gewisse Distanz gut.
Was ist geblieben? Welche Beziehungen sind noch intakt?
Ein gewisser Kontakt besteht nach wie vor. Mit meinem früheren Vermieter tausche ich die eine oder andere SMS-Nachricht aus. Es hat nicht aufgehört. Aber die Intensität hat nachgelassen, was aus meiner Sicht auch völlig richtig ist. Es gilt zu akzeptieren, dass es anders ist.
Der Weg von Union – es ging jahrelang nur in eine Richtung. Welchen Platz nimmt diese Reise mit den Eisernen in Ihrer Laufbahn ein?
Berlin ist ein Teil meiner Geschichte, Union nimmt einen gewissen Raum ein, ohne zu werten. Auch meine erste Stelle als Cheftrainer beim FCZ hat ihren Platz, das gilt für Thun und Basel gleichermassen. Ich will es nicht vergleichen. Jede Station ist ein Teil meines Lebens. Man lernt dazu, verändert sich, entwickelt sich.
Die Bundesliga ist eine Bühne, ein Geschäft, das eine enorme Wucht mit sich bringt. Wie haben Sie das persönliche Upgrading erlebt?
Die Erfahrung Basel war von der Grösse her die intensivste Erfahrung vor meinem Wechsel nach Deutschland. Meister und Cupsieger, das war der Anspruch. International spielen, nicht nur gut, sondern auch noch schön. Dazu kamen Differenzen mit den Medien. Der Abschnitt bei einem der bekanntesten und grössten Vereine der Schweiz war für mich Gold wert. Berlin mit ungefähr sieben Tageszeitungen ist eine andere Hausnummer! Wenn du dein Gesicht fast täglich in den Medien siehst, wird dir bewusst, auf welcher Plattform du arbeitest.
War das Klima rauer?
Ich würde sagen: gradliniger. Berlin ist direkt, die Umgangssprache gleicht jener in Zürich, sie ist etwas grob. In der Schweiz hielt man mir vor, ich sei zu direkt. In Berlin war es so erwünscht. Die direkte Ansprache hat mir gefallen. Das Einstecken und Austeilen hat sich die Waage gehalten, deshalb war das Klima ganz okay. Man durfte sich deutlich äussern, musste aber auch etwas aushalten. In einer Diskussion fielen auch mal harte Worte, persönlich wurde es allerdings nie.
Die Arbeit im deutschen Raum passte zu Urs Fischer. Immer wieder ist Ihr Name zum Thema geworden – in Dortmund, in Köln, in Bochum.
Es war manchmal fast ein bisschen mühsam. Es wurde kolportiert, ich hätte in Köln unterschrieben. Stimmt nicht, das war eine Ente. Aber ich schätze es natürlich, gewisse Spuren hinterlassen zu haben.
Gab es denn neben der Köln-Geschichte auch mal Verhandlungen, die kurz vor dem Abschluss standen?
Es gab keine konkreten Gespräche!
Wie stark verfolgten Sie den Fussball generell, wenn Sie nicht gerade SMS-Nachrichten dementieren mussten?
Ich habe das Geschehen verfolgt. Im Stadion war ich nie. Ich schaute mir die Spiele zu Hause an. Manchmal als Konsument, manchmal als Trainer – PSG gegen Real beispielsweise.
Die Klub-WM wurde extrem kritisiert.
Das Real-Spiel war das erste, das ich mir angeschaut habe. Ich glaube, wir müssen etwas vorsichtig sein, das Programm nicht zu überladen. Mir fehlt manchmal die Pause, um sich wieder freuen zu können. Irgendwann ist es genug. Die Belastung wird immer grösser, das Tempo noch höher. Wird es irgendwann einfach zu viel?
Wenn Sie sich solche Gedanken machen, fehlt Ihnen dann die Garderobe? Der tägliche Austausch mit den Spielern?
Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, es fehle mir gar nicht. Zwischendurch keimen solche Gedanken auf – ganz unbewusst. So wie ich die intensive Zeit akzeptiert habe, akzeptiere ich jetzt auch die aktuelle Zeit.
Ottmar Hitzfeld sagte immer, er sei pro Bundesligasaison gefühlte drei Jahre älter geworden. Sie auch?
Ich habe Fotos von mir in der Anfangszeit gesehen und sie mit jenen verglichen, als ich aufgehört habe in Berlin. Mein Aussehen hängt wohl eher damit zusammen, dass ich älter geworden bin. Im Prozess selber fällt gar nicht auf, dass es an einem zehrt. Ich habe es jedenfalls nie so wahrgenommen.
«Wir werden ewig leben» – der Titel des Buchs, das der deutsche Journalist Christoph Biermann über Sie und Ihr Team verfasst hat. Wer kam auf die Idee, sich ein Jahr lang hautnah porträtieren zu lassen?
Der Präsident und der Sportdirektor kamen damals auf mich zu mit dieser Idee. Wir haben uns intensiv damit auseinandergesetzt – eine gewisse Skepsis war da, weil wir befürchtet hatten, dass sich jemand verstellen könnte. Wir liessen es dann laufen, für Union war es eine gute Geschichte. Der Journalist wurde ein Teil der Mannschaft. Aussergewöhnlich! Ich habe das Buch dann gelesen, Christoph hat den Ton perfekt getroffen, er ermöglichte einen fantastischen Einblick. Die Frage bleibt offen, wie wir reagiert hätten, wenn die Resultate nicht mehr gut gewesen wären.
Gestatten Sie uns einen Ausblick. Wie wichtig ist die Sprache bei der Wahl des nächsten Arbeitgebers?
Die Sprache ist schon wichtig, aber aus meiner Sicht kein Hindernis.
Dann kommt alles in Frage?
Ist die Sprache ein Hindernis, wenn es um Fussball geht? Natürlich vereinfacht sie vieles, wenn es um persönliche Gespräche geht mit etwas mehr Tiefgang. Am besten verstehen sich dann beide. In Basel führte ich auf Englisch durch die Sitzungen. In Deutschland müssen die Spieler die Landessprache sprechen oder verstehen, das wird verlangt.
Was muss passen für eine Rückkehr an die Linie?
Mein Gefühl! Ich muss den Reiz spüren. Punkt. Mehr muss ich nicht sagen.
Wie dicht stehen Sie vor dem Comeback?
Das kann ich nicht sagen. Warten wir ab, es gibt keine Zeitachse für mich. Das Gefühl, das Gefühl. Das muss entstehen. Es muss mich reizen, oder eben nicht. Um das geht es. Es ist nicht abhängig vom Ort. Alles ist möglich. Es braucht Kontakte, Gespräche.
Käme denn auch eine andere Position in Frage? Urs Fischer als Sportchef?
Ich sage eigentlich immer, ich bewundere Sportchefs. Sie sind von 24 Stunden während 12 Stunden am Telefon. Ein Horror für mich. Die Erreichbarkeit, die Dichte wäre für mich zu viel. Man soll zwar nie nie sagen, aber ehrlich: eher nicht.
Hinweis: Dieser Artikel erschien erstmals am 20.07.2025