Granit Xhaka im grossen Interview
«Mich macht keiner kaputt!»

Granit Xhaka polarisiert. Und eckt auch an. Im grossen BLICK-Interview vor dem Länderspiel gegen Lettland redet er Klartext.
Publiziert: 22.03.2017 um 23:47 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 00:11 Uhr
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Granit Xhaka sagt: «Ich bin ehrlich und offen. Das ist mein Charakter.»
Foto: Toto Marti
Von Felix Bingesser, Michael Wegmann, Max Kern (Text) und Toto Marti (Fotos)

Granit, wie ist es ohne Ricardo Rodriguez in einem Nati-Camp? Eigentlich sind Sie beide ja unzertrennlich.
Granit Xhaka:
Ungewohnt. Wir sind ja auch immer zusammen auf dem Zimmer. Weil sich Rici verletzt hat, habe ich nun ein Einzelzimmer.

Was zeichnet Ihre Freundschaft aus?
Wir kennen uns seit der U17-WM 2009 in Nigeria, wo wir Weltmeister wurden. Wenns passt, dann passt es. Ich mag ihn sehr als Typ, als Mensch. Er ist immer direkt und ehrlich. Wir reden über alles, nicht nur über Fussball. Auch über Frauen und unsere Familien ...

... wann heiraten Sie?
Gute Frage! Wir haben noch nichts geplant. Für diesen Sommer wäre es zu kurzfristig, bei uns muss das ein Jahr im Voraus geplant werden.

Im Sommer 2018 geht es ja auch nicht – oder?
Hoffentlich nicht! Dann ist ja die WM in Russland.

Vier Spiele, zwölf Punkte. Die Nati ist auf WM-Kurs.
Wir haben eine tolle Ausgangslage. Es liegt an uns, diese zu nutzen. Einfach wird es nicht. Auch am Samstag gegen die Letten nicht. Sie schiessen wenig Tore, lassen aber auch wenige zu. Wir müssen bereit sein, auch im Kopf.

Viele Ihrer Kollegen sind mit kleineren oder grösseren Problemen eingerückt, viele ohne Spiel­praxis. Angst, dass das Team nicht bereit ist?
Nein. Alle, die hier sind, haben Qualität. Schweizer Natispieler wird man nicht per Losentscheid. Es liegt jetzt auch an jedem Einzelnen zu zeigen, dass er im Klub zu ­Unrecht nicht spielt.

Sind Sie ein beliebter Nationalspieler?
Ja, doch. Bei einigen mehr, bei anderen weniger. Das ist normal.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie ­genug Wertschätzung bekommen als Schweizer Natispieler? Oder ist Ihnen das nicht so wichtig?
Sicher ist mir das wichtig. Ohne die Fans wäre keiner von uns da, wo er ist. Ich spüre, dass ich beliebt bin. Warum fragen Sie?

Sie haben einen offenen Brief an die Kosovaren geschrieben, in welchem Sie begründeten, weshalb Sie für die Schweiz spielen. Sie ­stehen offen zu Ihrem Migrationshintergrund. Da besteht die Möglichkeit, dass Sie gewisse Fans vergraulen. Dass einzelne das Gefühl bekommen könnten, dass Sie sich nicht richtig mit der Schweiz identifizieren ...
... Das tue ich voll und ganz. Ich bin in der Schweiz geboren, bin hier aufgewachsen und zur Schule gegangen. Ich bin der Schweiz sehr dankbar für alles. Die Schweiz ist meine erste Heimat. Vor dem Kosovo, vor Albanien. Das wird so bleiben. Aber ...

Aber was?
Meine Eltern sind aus dem Kosovo. Mein Blut ist kosovo-albanisch. Das ist nun mal so. Und ich bin halt einer, der hinsteht und das auch sagt. Ich lüge ja nicht.

Fehlt einigen Schweizern ein wenig die Sensibilität, diese Gefühle nachzuempfinden?
Vielleicht. Es ist nicht einfach, der Heimat meiner Eltern die kalte Schulter zu zeigen. Aber es gehört zu meiner Persönlichkeit, offen damit umzugehen. Aber mir kann niemand vorwerfen, dass ich nicht das Maximum gebe für die Schweiz. Und das ist das Wichtigste.

Es schien so, als wollten Sie es ­irgendwie allen recht machen und niemanden brüskieren. Stimmt das?
Nein, ich bin ehrlich und offen. So bin ich erzogen worden. Das ist mein Charakter. Das ist nicht gespielt, ich bin ein ganz schlechter Schauspieler. Ich habe mich nicht gegen den Kosovo entschieden. Ich habe mich für die Schweiz entschieden.

Sie sind ein Alpha-Tier. In naher Zukunft dürften Sie die Schweizer Nationalmannschaft als Captain anführen.
Das ist kein Ziel von mir, sondern ein Traum. Ich weiss nicht, wie es kommt. Aber ich wäre bereit dazu, und die Captain-Binde würde mich stolz machen!

Sie treten sehr selbstbewusst auf. War das schon immer so?
Ja. Ich bin direkt. So war ich immer und werde immer so bleiben. Ich sage meine Meinung, egal wer vor mir steht und ich stehe dazu.

Ausser Sie sind mit Ihrem älteren Bruder Taulant zusammen. Dann ist er der Chef...
...und auch das wird immer so bleiben.

Weil er älter ist?
Nicht nur deshalb. Er ist für mich auch ein Vorbild. In vielen Dingen...

... vor allem im kämpferischen Bereich?
Auf jeden Fall.

Sie sind aber auch ein Aggressiv-Leader!
Ja, aber er ist ein anderer Typ. Er beisst ein bisschen schneller zu als ich. Ab und zu auch härter.

Aber Rote Karten haben Sie mehr gesammelt als er. Sie stehen bei neun Platzverweisen seit 2014.
Mittlerweile habe ich mehr Karten als er, ja.

Wie gehen Sie damit um, dass fast jeder in England Sie dafür kritisiert?
Das macht mir nichts aus. Mich haut nichts so schnell um, mich kann keiner kaputtmachen. Was mich nervt, sind Leute, die mich als dreckig, dumm und hirnlos bezeichnen. Solche Worte sagt man nicht über Menschen, die man nicht kennt.

Eine gewisse Aggressivität auf dem Feld wird ja auch von Ihnen erwartet.
Das ist mein Spiel. Wenn man mir das wegnimmt, bin ich nicht mehr der gleiche.

Nach so vielen Roten Karten und so viel Kritik: Zögern Sie nun nicht automatisch, wenn Sie in einen Zweikampf steigen?
Niemals. Ich habe meine Platzverweise genau analysiert. Es ist so, dass viele Fouls hinter der Mittellinie passiert sind, das heisst 60 bis 70 Meter vom eigenen Tor entfernt. Das ist zu weit weg. Das muss aufhören. Aber ich gehe nicht auf den Platz und ziehe den Fuss schon vor dem Zweikampf zurück.

Wir dachten immer, dass in England härter gespielt wird, als sonstwo. Stimmt das nicht?
Das habe ich vor meinem Wechsel auch gedacht. Aber es ist nicht so. Es wird ähnlich gepfiffen wie in der Bundesliga.

Haben Sie bei Arsenal gefunden, was Sie gesucht haben?
Absolut. Eine überragende Stadt, ein überragender Verein. Das einzige, was Arsenal seit langem fehlt, ist ein Meistertitel. Ich glaube daran, dass sich dies bald ändert.

Wie fühlte es sich an, zweimal hintereinander 1:5 gegen Bayern zu verlieren?
Sehr schlecht.

Ist Arsenal so weit von Bayern weg?
Nein, überhaupt nicht.

Aber auf Augenhöhe sind die beiden Klubs ja auch nicht?
Hmm... Aus meiner Sicht schon.

Arsenal ist so gut wie Bayern? Eine mutige Aussage nach den Resultaten. Nicht zu mutig?
Mutig, ja. Aber ich empfinde es so. Und mich ärgern die Niederlagen vor allem, weil ich an Bayern ja sonst gute Erinnerungen habe. Wir haben die Münchner mit Gladbach dreimal schlagen können. Und ich glaube nicht, dass Gladbach auf Augenhöhe mit Arsenal ist. Also...

Trotz den zwei Pleiten soll Bayern an Ihnen interessiert sein.
... ich habe es auch gelesen. Gehört habe ich aber nichts.

Wer sind Ihre besten Kollegen bei Arsenal?
Vor allem jene, die Deutsch sprechen. Mustafi, Mertesacker, Özil. Wir sind insgesamt eine sehr coole Truppe.

Mezut Özil oder Alexis Sanchez? Wer ist der beste Fussballer, mit dem Sie je zusammengespielt haben?
Gemeine Frage! Sage ich Özil, ist Sanchez sauer und umgekehrt. Aber die zwei sind sicher die Besten. Sie haben unglaubliche Qualität!

Spüren Sie nach der harten öffentlichen Kritik eigentlich noch die volle Rückendeckung von Trainer Arsène Wenger und dem Verein?
Auf jeden Fall! Für mich war ein ganz wichtiges Signal, dass ich nach meiner zweiten Roten Karte und den vier Spielsperren gegen Bayern wieder in der Startformation stand. Das habe ich selber nicht erwartet. Seither spiele ich. Das macht mich stärker. Das zeigt mir, dass der Trainer mir vertraut.

Wenger selbst wird zurzeit extrem hart kritisiert. Er will bald verkünden, ob er weitermacht oder abtritt. Wissen Sie, was er vorhat?
Nein.

Zurück zur Nati. Die Generation um Sie, Shaqiri, Rodriguez & Co. gilt als wahnsinnig talentiert. Eine Qualifikation für ein grosses Turnier reicht als Zielvorgabe eigentlich nicht mehr. Sehen Sie das auch so?
Mit dieser Mannschaft und Qualität würde auf alle Fälle mehr drin liegen als der Achtelfinal. Hätte ich in Frankreich diesen Penalty nicht verschossen, wäre an diesem Turnier ganz viel möglich gewesen. Da bin ich überzeugt.

Träumen Sie noch von diesem verschossenen Penalty?
Träumen nicht. Aber vergessen werde ich diesen Fehlschuss wohl nie mehr.

Haben Sie eigentlich mal bei Marco Streller angefragt, wie man ein solches Penaltytrauma überwindet? Er scheiterte im WM-Achtelfinal 2006 gegen die Ukraine ja kläglich.
Nein. Es ist wohl auch besser, wenn ich ihn nicht danach frage. (lacht)

Haben Sie seither einen Penalty geschossen?
Bis jetzt nicht. Aber ich würde wieder schiessen. Denn irgendwann geht der Ball rein – vielleicht ja im WM-Final!

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