Resultate: Note 4
Mit der historischen Qualifikation für den ersten Viertelfinal der Geschichte hat Sundhage das wichtigste Ziel erreicht. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass das Weiterkommen im dritten Gruppenspiel gegen Finnland an einem seidenen Faden hing. Und die restliche Bilanz liest sich weniger rosig. Auf den Aufstieg in der Nations League folgte umgehend wieder der Abstieg, was den Weg an die WM 2027 für die Nati noch schwieriger machen wird. Ein Sieg aus zehn Pflichtspielen in diesem Jahr ist eine magere Bilanz.
Aussendarstellung: Note 6
Die Nati hat die Herzen der Schweizer Bevölkerung erobert und die Menschen bewegt – mit ihr auch Pia Sundhage. Die Schwedin wurde am späten Freitagabend nach dem Abpfiff und am Tag danach auf dem Bundesplatz in Bern mit «Pia, Pia»-Sprechchören gefeiert, was auch bei der hochdekorierten und erfahrenen Fussball-Globetrotterin feuchte Augen verursachte. Es sei eine einmalige und sehr emotionale Reise gewesen, eine «Once-in-a-lifetime»-Erfahrung. Sie habe auf eine EM-Euphorie gehofft, sagte Sundhage. «Aber dass es so werden wird, davon habe ich nicht zu träumen gewagt.»
Kaderauswahl: Note 5
Ihre Nations-League-Aufgebote im Frühjahr beinhalteten immer wieder Überraschungen. Und in der EM-Vorbereitung lud Sundhage zu einem Casting mit insgesamt 36 Spielerinnen ein, was auf Kritik stiess. Für das Turnier selber setzte Sundhage aufgrund ihrer Erfahrungen aus der WM 2015 mit Schweden, als sie viele angeschlagene Spielerinnen mitnahm, dieses Mal nur auf solche, die topfit sind. Einzige Ausnahme: Lia Wälti. Leidtragende dieser Strategie waren unter anderen Naomi Luyet (19), aber auch Abwehrchefin Luana Bühler (29), die kurz vor dem EM-Start das Nati-Camp aufgrund ihrer Knieprobleme verlassen musste. Nach den Auftritten von Wälti lässt sich festhalten: Es war der richtige Entscheid.
Taktik: Note 4
Bereits im letzten Herbst legte sich Sundhage auf ein 3-5-2-System fest, an dem sie stur festhielt – auch wenn die Resultate nicht stimmten. Auch aus Nati-nahen Kreisen war im Vorfeld des Turniers zu hören, dass der genaue Plan der Trainerin nicht immer klar ersichtlich sei. Mit Iman Beney (18) im rechten Couloir und Sydney Schertenleib (18) als Sturmspitze setzte sie Spielerinnen auf Positionen ein, wo deren grosse Stärken nicht am besten zum Tragen kamen. Im Lauf des Turniers zeigte sich Sundhage aber flexibel, änderte das System jeweils in der Schlussphase auf ein 4-3-3 und setzte gegen Spanien von Beginn an auf ein 4-2-3-1. Der Masterplan ging mehr als eine Stunde mit dem Glück der Tüchtigen auf, bis Weltfussballerin Aitana Bonmati (27) mit einem Geniestreich den Traum vom zweiten Wunder von Bern platzen liess.
Wechsel: Note 5
Sundhage bewies an diesem Turnier ein glückliches Händchen. Gegen Island wechselte sie das Duo Alayah Pilgrim (22) und Leila Wandeler (19) ein, das für das 2:0 in der 90. Minute besorgt war. Es war das Tor, das letztlich die Tür zur Viertelfinal-Qualifikation öffnete. Gegen Finnland warf Sundhage kurz vor Schluss neben Alisha Lehmann (26) auch Riola Xhemaili (22) rein. Und die Solothurnerin versetzte mit ihrem Ausgleich in der 92. Minute das Stade de Genève und ein ganzes Land in Ekstase. Es war der emotionalste Moment an diesem Turnier.
Kommunikation: 5
Aus dem Innenleben der Nati waren unterschiedliche Stimmen zu hören. Die einen schwärmten von der Kommunikation des Trainerstaffs und der Rückmeldungen zu Leistungen in ihren Klubs, andere empfanden diese als nicht ausreichend. Gegenüber der Öffentlichkeit war Sundhages Kommunikation aber mit wenigen Ausnahmen stringent, auch wenn sie sich am Tag vor den Spielen kaum einmal in die Karten blicken liess. Sundhage nutzte ihre Funktion als Nati-Trainerin auch als Plattform, um in Interviews und Auftritten an Podiumsdiskussionen ihre Botschaft nach aussen zu tragen und die Sache des Frauenfussballs zu promoten.
Gesamtnote: 5
Mit dem EM-Viertelfinal hat Sundhage das wichtigste Ziel erreicht und die Pflicht erfüllt – mehr aber nicht. Doch es gibt nicht nur die sportliche Seite an dieser EM, sondern auch die emotionale. Die Nati hat mit ihrem Herz, ihrer Leidenschaft und ihren sympathischen und nahbaren Auftritten eindrücklich gezeigt, dass Fussball weit mehr ist als nur Tore und Resultate. Sie hat Emotionen geweckt und die Schweiz aus ihrem Dornröschenschlaf geholt. Das ist das Werk von Pia Sundhage.