Fifa-Präsi-Kandidat im Interview vor der Wahl
«Ich fliege auch Economy»

Gianni Infantino (45) will nächsten Freitag Fifa-Präsident werden. Im grossen SonntagsBlick-Interview spricht er über Raclette, den FC Sion und seine zwei linken Füsse.
Publiziert: 21.02.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 05:30 Uhr
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«Ich wünsche Blatter einen würdigen ­Abschied.»
Interview: Andreas Böni

Herr Infantino, Ihre Mutter sagte über Ihre Kandidatur als Fifa-Präsident: «Das ist doch nur ­unnötiger Stress. Ich fände es besser, wenn er sein Leben in Ruhe mit seiner Frau und seinen vier Mädchen geniessen würde.» Hat sie recht?
Gianni Infantino: Meine Mutter hatte einen Kiosk, verkaufte Zeitungen und Schokolade. Mein ­Vater arbeitete an den Zügen am Bahnhof Brig. Um Ihre Frage zu beantworten: Mein Leben war völlig anders als ihres. Aber meine ganze Familie, auch meine Mädchen, sind riesige Fussballfans. Und unterstützen mich sehr.

Ihre Eltern kamen in den 60er-Jahren aus Italien in die Schweiz. Wie viel Italiener steckt noch in Ihnen?
Ich bin sehr stolz auf meine ­Wurzeln und meinen Eltern ­gegenüber dankbar, dass sie mir das italienische Lebensgefühl, die sogenannte «Italianità», mitgegeben haben. Meine typisch schweizerischen Werte sind Respekt gegenüber anderen Menschen. Jede Aufgabe gewissenhaft anzugehen. Die präzise Organi­sation. Ich denke, eine meiner Stärken ist der explosive Mix aus Schweizer und Italiener. Ich selbst fühle mich aber als globaler ­Kandidat. Und natürlich liebe ich Raclette und Fendant. Es gibt nichts Besseres, wenn Sie ­einen schönen Abend mit Freunden verbringen.

Stimmt es, dass Sie Sion-Fan waren, den Klub als Kind im Cupfinal vor Ort angefeuert ­haben?
Wie für jeden guten Walliser ist der Cupfinal auch für mich ein spezielles Ereignis. Meine Eltern nahmen mich 1982 als Zwölfjährigen mit dem Zug mit nach Bern zum Cupfinal gegen Basel. Sion gewann dank eines Tors von Alain Balet. Ich erinnere mich, dass ich ein Sion-Shirt mit der «Nouvelliste»-Aufschrift trug. Und ich weiss noch, wie meine Mutter meinen Vater fragte, warum die Fans «Pitié», also «Mitleid», schreien. Dabei feierten die Fans Goalie ­Pittier, der Sion mit seinen grossartigen Paraden den Sieg sicherte. Als dann im gleichen Jahr Italien noch Weltmeister wurde, da war ich definitiv mit dem Fussball-Virus infiziert.

Sie erzählten einst im «Walliser Boten»: «Ich hatte zwei linke Füsse. Beim FC Brig reichte es wohl zu den C-Junioren. Gespielt habe ich jeweils auf der Position, wo halt gerade einer fehlte ...» Wie oft könnten Sie jonglieren?
Das probieren wir besser nicht aus ... (lacht) Ich spielte immer Fussball, als ich jünger war. Aber ich war nicht allzu talentiert. Also organisierte ich lieber Spiele und Turniere, seit ich elf oder zwölf Jahre alt war. Mit ­einigen Freunden habe ich dann das Team «Folgore» gegründet. Zusammengestellt aus Italienern, die im Wallis lebten. Als ich 18 Jahre war, habe ich den Klub übernommen und beim Schweizer Verband registriert. Nach zwei Jahren sind wir von der 5. in die 4. Liga aufgestiegen. Wir fühlten uns wie Weltmeister!

Ist es im Wahlkampf ein Nachteil für Sie, nur zehn Kilometer von Sepp Blatter entfernt aufgewachsen zu sein?
Warum soll das ein Nachteil sein? Der Fokus bei dieser Wahl liegt auf dem Fussball. Darum konzentriere ich mich nur darauf, dass der Fussball wieder ins Zentrum rückt. Und nicht die Vorkommnisse rund um die Fifa. Vom grössten bis zum kleinsten Verband, ich werde alle Fifa-Mitglieder mit dem gleichen Respekt behandeln. Das ist der Weg, den ich bei der Uefa ging. Und das ist mein Weg, den ich bei der Fifa einschlage, wenn ich am nächsten Freitag gewählt werde.

Welche Beziehung hat der Walliser Infantino zum Walliser Blatter?
Es gab viele erfolgreiche Fifa-Projekte, in vielen Regionen der Welt. Das muss man anerkennen und respektieren. Dann – und das hat Herr Blatter ja selbst gesagt – hat er unglücklicherweise den richtigen Moment für den Rücktritt verpasst.

Wünschen Sie Herrn Blatter eine würdige Verabschiedung?
Selbstverständlich.

Sie wohnen heute in der Westschweiz. Falls Sie Fifa-Präsident werden: Ziehen Sie nach Zürich?
Die Fifa hat ihr natürliches Zuhause in Zürich und ein tolles Hauptquartier. Ich will erst die Wahlen abwarten, bevor ich darüber nachdenke. Falls Sie aber eine schöne Wohnung wissen, dann sagen Sie es mir ... (lacht)

Wie oft haben Sie während ­Ihrem Wahlkampf Ihre Frau und Ihre Kinder gesehen?
Natürlich nicht sehr oft. Es war eine sehr stressige Zeit, ich war viel unterwegs. Aber meine Familie versteht meine Leidenschaft für den Fussball und wie wichtig mir dieses Spiel ist. Sie unterstützen mich in allem, was ich tue.

Ihre Frau ist aus dem Libanon. Woher kennen Sie sich?
Sie arbeitete für den libanesischen Fussballverband als stellvertre­tende Generalsekretärin. Bei ­einem ­Fifa-Event hier in der Schweiz ­haben wir uns dann ­getroffen und kennengelernt.

Für Ihren Wahlkampf reisten Sie rund um den Erdball. Wie viele Länder haben Sie besucht und gab es einen Moment, der Sie am meisten beeindruckt hat?
Ich habe sehr viele Länder besucht und viele Verbandspräsidenten getroffen. Die vielen Diskussionen haben mir geholfen, meine Visionen für die Zukunft der Fifa zu formulieren. Mitgliedsverbände sind das Fundament des Sports, jeder Verband hat seine ganz eigenen Bedürfnisse. Für mich besonders beeindruckend war, wie sich einzelne Menschen trotz schwieriger Umstände im ­Leben ganz und gar dem Fussball widmen. Wegen ihrer Leidenschaft zum Spiel.

Jemand erzählte mir, dass Sie in der Hektik der Reiserei zum Teil sogar am Flughafen schlafen mussten. Stimmt das?
Ja, ich habe an Bord von Flugzeugen sowie in Flughäfen mehrere Nächte geschlafen. Aber ich hielt es für sehr wichtig, Leute zu treffen. Mit eigenen Augen zu sehen, wie und wo sie arbeiten. Es war eine hektische Zeit, aber es ging immer erst um Fussball, und ich werde auch weiterhin unermüdlich am Wandel arbeiten und eine neue Ära der Transparenz und Offenheit einläuten.

Die Uefa stellt Ihnen 500 000 Euro für Ihren Wahlkampf und die Reisen im Privatjet zur Ver­fügung. Hätten Sie das Geld auch privat für Ihren Wahlkampf investiert?
Es ist nicht wahr, dass ich oft einen Privatjet nahm. In Wahrheit nahm ich für drei Reisen in den letzten vier Monaten einen Privatjet und das nur, weil es mit Linienflügen nicht möglich gewesen wäre, die Destinationen in nützlicher Frist zu erreichen. Das heisst: Ich bin mehr als 95 Prozent auf normalen Flügen gesessen. Und das zum Teil auch kostengünstig in der Economy-Klasse. Ich war stets transparent, wenn es um meine Kampagne ging und legte meine Position vom ersten Tag an auf ­meiner Homepage offen. Das Uefa-Exekutivkomitee entschied letzten Oktober, meine Kampagne für das Fifa-Präsidium mit 500 000 Euro zu unterstützen. Dieses Geld war nötig, um meine Reisen rund um die Welt zu finanzieren und mich logistisch zu unterstützen. Damit ich so viele Nationalverbände wie möglich besuchen konnte.

Sie gelten neben Scheich Salman als Kronfavorit. Die Menschenrechtsorganisation Bahrain Institute for Rights and Democracy wirft Ihrem Gegner vor, dazu beigetragen zu haben, dass protestierende Sportler im Gefängnis gelandet sind. Prinz Ali bezeichnete ihn als «Person, die ihre Spieler nicht geschützt hat oder für sie aufgestanden ist». Wie beurteilen Sie den Fall?
Ich konzentriere mich auf meine Kampagne, und nur darauf. Ich will der Fifa den Fussball und die Fifa dem Fussball zurückbringen. Ich hatte bisher einen sehr positiven Wahlkampf und möchte nicht die Kampagne von anderen Kandidaten kommentieren.

Es gibt Gerüchte, wonach Scheich Salman Ihnen angeboten hat, Generalsekretär zu werden, falls er gewählt wird. Ist das ein mögliches Szenario?
Nein. Ich habe mehrfach gesagt, dass es keinen Deal gibt. Das ist und muss ein demokratischer Wahl-Prozess sein. Ich will Fifa-Präsident werden und glaube fest daran, dass ich fähig bin, die Fifa in eine viel bessere Zukunft zu führen.

Falls Ihre Fifa-Wahl nicht klappt: Können Sie sich auch vorstellen, Uefa-Präsident zu werden?
Mein einziger Fokus ist auf der ­Fifa-Wahl. Und ich freue mich sehr, dass sich so viele Verbände schon öffentlich für mich ausgesprochen haben.

Wäre SFV-Präsident Peter Gilliéron denn ein geeigneter Uefa-Präsident?
Peter ist ein guter Freund und ein bemerkenswerter Präsident mit vielen Qualitäten. Da aber die Uefa-Wahlen noch nicht am Horizont stehen, macht es keinen Sinn zu spekulieren.

Reden wir konkret über Ihre Ideen und die Fifa-Reformen. Diese sehen vor, dass die Amtszeit des Präsidenten auf zwölf Jahre begrenzt wird. Eine gute Sache?
Ich glaube an eine Amtszeit-­Beschränkung von zwölf Jahren. Dies sollte für den Präsidenten und die Mitglieder des Fifa-Rats gelten. Dies wird gewährleisten, dass ­regelmässig neue Ideen in die Institution kommen.

Wie sehen Sie das Alterslimit 74?
Mit der Einführung der Amts­zeit-Beschränkung verschwindet das Problem, dass eine Person ewig in der Organisation bleibt. Wichtig sind Massnahmen wie die Gründung des neuen Fifa-Rats, unabhängige Stimmen in wichtigen ­Fifa-Komitees, Transparenz der Vergütung für langjährige Fifa-­Mitglieder, die Ernennung eines Chief Compliance Officer und ein komplett offenes Ausschreibungsverfahren für kommerzielle und betriebliche Verträge. Der Schlüssel dazu ist natürlich, das Vertrauen in die Fifa wiederherzustellen. Das Vertrauen der Sponsoren, der Fernsehanstalten und selbstverständlich auch der Fans wiederherzustellen. Die Fifa muss modern und glaubwürdig sein. Und wir müssen viel mehr Transparenz in der Finanzverwaltung haben.

Sie befürworten, dass das Gehalt des Präsidenten offengelegt wird. Sagen Sie auch, was Sie als Uefa-Generalsekretär verdienen?
Im Moment sehen das die Uefa-­Statuten noch nicht vor. Aber es gibt Pläne, dies zu ändern und dann die Gehälter des Präsidenten, des Generalsekretärs und anderer Offizieller zu veröffentlichen. Ich persönlich bin dafür.

Eine andere Idee von Ihnen: 40 statt 32 Mannschaften an einer WM-Endrunde. Wird die WM da nicht verwässert?
Nein. Ich denke nicht, dass das so wäre. Das Gegenteil ist der Fall. Mehrere Verbände wären fähig, mehr in ihre Vorbereitung und ihre Infrastruktur zu investieren. Wenn 32 Länder von 209 Verbänden dabei sind, heisst das, dass nur 15 Prozent der Länder mitmachen können. In der Uefa sind fast 50 Prozent nun bei der Europameisterschaft dabei, und die Qualität ist trotzdem da.

Ist das sinnvoll?
Der Fussball wird immer besser auf der ganzen Welt, auf jedem Kontinent. Immer mehr Länder haben die Qualität, auf dem Level zu sein. Ich glaube, dass es sportlich und kommerziell eine gute Sache wäre. Ich möchte auch ein klares Rota­tionssystem sehen. Jede Konföderation sollte nach einer Ausrichtung mindestens zwei Endrunden warten müssen, bevor sie wieder ein Turnier ausrichten kann. Das würde für mehr Klarheit unter den Bewerbern sorgen.

Haben Sie Angst, dass es in den Tagen vor der Wahl zu weiteren Verhaftungen kommt?
Wenn jemand kriminell gehandelt hat, dann ist es gut, wenn er verhaftet wird. Bei der Wahl geht es aber darum, wer in den nächsten Jahren die Fifa und den Weltfussball führen wird, und dazu bin ich bereit.

Sepp Blatter erzählte in einem Interview, dass er mal mit 50 000 Dollar bestochen werden sollte. Haben auch Sie persönlich Korruption oder Bestechung erlebt?
Nein.

Was machen Sie, wenn Sie am Freitag gewählt werden?
An meinem ersten Tag als Fifa-­Präsident würde ich ein Fussballturnier auf den Plätzen neben dem ­Fifa-Hauptgebäude austragen. Mit Vertretern der Mitgliedsverbände, Profis, jungen Spielern aus der ­Region und Medienschaffenden. Um den neuen Fokus zu symbolisieren. Der Fussball muss zurück zur Fifa und die Fifa zurück zum Fussball. Danach widme ich mich meinem 90-Tage-Plan, wie ich die Fifa gestalten will.

Was machen Sie, wenn Sie am Freitag nicht gewählt werden?
Darüber denke ich nicht nach. Wenn Sie im Cupfinal stehen, wollen Sie ihn gewinnen.

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