Wildwest im Nobelhotel Baur au Lac. Die Zimmermädchen kreischen. Hochrangige Funktionäre des Weltfussballverbands werden von der Polizei abgeführt. Korruption, Bestechung, Erpressung.
Das FBI ermittelt. Es ist nicht Sonntagabend. Es läuft nicht «Tatort». Aber der Tatort ist Zürich. Die Welt schaut auf die Schweiz. Und schüttelt ungläubig den Kopf.
Ist es der Tiefpunkt der Fussballgeschichte? Der endgültige Beweis dafür, wie korrupt und marode das System Fifa ist? Ist es das Signal für den 79-jährigen Sepp Blatter, den Weg frei zu machen? Um der Welt zu beweisen, dass es nicht um ihn, sondern um seinen geliebten Sport geht? Um hinzustehen und die Verantwortung zu übernehmen für das, was in seinem Laden schiefläuft?
Oder ist es ein guter Tag für den Fussball? Eher ein Indiz dafür, dass die Reformbemühungen der Fifa greifen? Dass Präsident Blatter der strenge Vater ist, der seinen bösen Buben in der Familie die Ohren lang zieht und endlich aufräumt?
Es gibt keine einfachen Antworten auf diese Fragen. Blatter hat das System Fifa nicht erfunden. Er ist ein Kind dieses Systems. Eines Vereins, in dem der Vertreter der Cayman-Inseln das gleiche Stimmrecht hat wie der Chef des Deutschen Fussball-Bundes. Lusche Figuren und korrupte Funktionäre kommen nach Zürich.
Blatter hat sich diese Leute nicht ausgesucht.
Aber unter seiner Führung hat ein Feudalsystem mit schlimmen Auswüchsen weitergewuchert. Erst nach 2010, nach der Witzvergabe der WM-Endrunde nach Katar, ist Blatter aufgewacht. Und hat endlich Reformen eingeleitet.
Zu spät. Das FBI ermittelt längst. Die amerikanischen Strafbehörden haben das Zepter übernommen. Und die kennen keine Halbheiten. Sie haben schon die Schweizer Banken in den Schwitzkasten genommen. Weil vor allem der Kontinental-Verband Concacaf, dem auch die USA angehören, seit zwei Jahrzehnten ein beispielloser Sumpf ist, haben die US-
Behörden der Fifa jetzt den Krieg erklärt. Der Weltfussballverband wird durchgeschüttelt wie noch nie in seiner Geschichte.
Wenn die Wahl zum Präsidenten morgen tatsächlich stattfindet, wird Sepp Blatter im Amt bestätigt. Es gibt momentan und in dieser Krisensituation keine überzeugende Alternative. Und führungslos darf die Fifa im Moment nicht sein.
Doch es geht nicht nur um Recht, um Paragrafen, um Schuld oder Unschuld. Es geht auch um Glaubwürdigkeit. Wenn Blatter den Fussball so sehr liebt, wie er immer wieder betont, dann gibt es nur eins: Er sucht ab sofort und konsequent seinen Nachfolger. Und er gibt nach seiner Wiederwahl bekannt, dass er nicht mehr vier Jahre lang auf dem Thron kleben bleiben will.
Sondern dass er den Weg bald frei macht und seine Nachfolge aktiv forciert. Dass er mithilft, einen neuen integren Mann zu finden. Der ihn schon in einem oder zwei Jahren beerben kann. Es wäre ein grosses Zeichen.
Unbestritten ist: Blatter hat grosse Verdienste um die Entwicklung der Fifa. Er hat ernsthaft Reformen angestossen. Und die jüngste, turbulente Entwicklung ist nicht ihm anzulasten.
Trotz allem: Mit einem Präsident Blatter gibt es keine unbeschwerte neue Ära. Mit ihm an der Spitze gibt es keine neue Zeitrechnung.
Er sollte den Weg frei machen. Zu gross ist der Imageschaden. Zu viel Geschirr ist zerschlagen.
Das wissen wir spätestens seit gestern Morgen um 6 Uhr. Seit dem «Tatort» am Ufer des Zürichsees.