Darum gehts
Seit fast einem halben Jahr lebt Sonja Krüsi (75) aus Dorf ZH in einem Haus ohne Dach. Im Frühjahr 2024 unterschrieb sie einen Mietvertrag für eine 2,5-Zimmer-Wohnung, um näher bei einer Bekannten zu leben, welche die Seniorin im täglichen Leben unterstützt. Im Juni letzten Jahres kam es aber zum Super-GAU: Das Dach ihres künftigen Wohnhauses wird bei einer Explosion weggesprengt. Man sagt ihr, dass es bis zu ihrem Einzug im Januar 2025 wieder stehen werde. Doch: Auch ein Jahr nach der fatalen Explosion fehlt das Dach immer noch, und das Mehrfamilienhaus ist von Baugerüsten umgeben. Und das wird wohl weiter so bleiben. Krüsi: «Die wollen, dass ich noch Monate lang so lebe!» Unglaublich, aber wahr: Wenige Tage vor dem Baustart kommt es am vergangenen Donnerstag wieder zu einem Brand im Haus! Krüsi will nur noch weg.
Die letzten Jahre waren für die Schaffhauserin Sonja Krüsi schwer. Vor zwei Jahren stirbt ihr Ehemann. Krüsi fühlt sich einsam. Eine Bekannte will helfen und sagt ihr, sie solle in die Gemeinde Dorf im Zürcher Weinland ziehen. Sie könne ihr dort eine Wohnung vermitteln und werde sich um Krüsis Einkäufe kümmern und sie besuchen.
Dach vor Einzug zerstört
Krüsi ist begeistert und unterschreibt im Frühling 2024 den Mietvertrag. Was danach passieren sollte, sah niemand kommen. Im Juni 2024 kommt es im obersten Stock des Wohnhauses nach einem Brand zu einer Explosion. Das Dach wird weggesprengt. Der Sachschaden: mehrere Hunderttausend Franken. Krüsi macht sich Sorgen und wendet sich deshalb an den Vermieter: «Man sagte mir, dass das Dach bis zu meinem Einzug wieder stehen werde.» Im Januar 2025 zieht sie ein. Das Dach: immer noch eine Ruine – bis heute. Man gewährt ihr eine Mietreduktion.
Doch selbst ein Jahr nach dem verheerenden Brand umgeben Baugerüste das Haus. Der Dachstock ähnelt einem Kriegsschauplatz. Streben, Wandteile und Isolationen hängen herunter, alles ist voller Russ, der Zugang zum zerstörten Dachstock ist nur durch eine Plastikfolie eingeschränkt.
Krüsi wohnt im Parterre. Dennoch führt die Situation zu grossen Problemen: «Die Kälte zieht nach unten und setzt sich in meiner Wohnung fest. Im Winter musste ich mit Heizstrahlern heizen.» Die Stromkosten steigen stark an. «Ich lebe von meiner AHV. Ich kann mir das nicht leisten!», sagt sie. Es seien mehrere Hundert Franken im Monat.
Krüsi fühlt sich von den Behörden im Stich gelassen. Die Gemeinde bleibe untätig, obwohl im Haus weiterhin mehrere Parteien wohnten – auch Kinder, was angesichts der schwach gesicherten Baustelle gefährlich sei.
Dachschaden bleibt vorerst
Wie kann es sein, dass in der durchregulierten Schweiz ein Haus für fast ein Jahr ohne Dach bleiben und weiter bewohnt werden darf? Blick fragt bei der Gemeinde Dorf nach. Auf Detailfragen geht diese nicht ein und lässt nur zitieren: «Nach unserem Wissen wird das Dach in den nächsten zehn Tagen gedeckt. Der Dachstuhl wird wieder montiert.»
«Das stimmt so nicht!», sagt hingegen einer von drei Stockwerkeigentümern des Mehrfamilienhauses auf Anfrage «Im Juni starten zwar die Bauarbeiten, diese werden aber bis Herbst dauern.» Dass es überhaupt so lange gedauert hat, habe viele Gründe und halte auch ihn seit einem Jahr auf Trab. Die grössten Verzögerungen hingen aber mit der Gebäudeversicherung zusammen. «Nach jeder Anfrage dauert es bis zu zehn Tage, bis sich jemand meldet. Es ist frustrierend.»
Und die Reparatur könnte sich weiter verzögern. Unglaublich, aber wahr: Nur Tage vor Baustart brennt es wieder im Wohnhaus, wieder im obersten Stock. Die Zürcher Polizei bestätigt den Einsatz und laufende Ermittlungen: «Der Brand konnte noch vor dem Eintreffen der Feuerwehr gelöscht werden.» Es ist der dritte Brand innert Jahresfrist – nur kurz vor der Dach-Explosion war es bereits zu einem Balkonbrand gekommen.
Auch die Ermittlungen zur Explosion vor einem Jahr, die im gleichen Stock passierte, seien im Gang, wie die Oberstaatsanwaltschaft Zürich bestätigt. Es laufe nach wie vor ein Strafverfahren, um zu klären, ob strafrechtlich relevantes Fehlverhalten vorgelegen habe.
Für Krüsi spielt das alles keine Rolle mehr. Sie hat nur noch einen Wunsch: «Ich weiss nicht mehr weiter und will zurück nach Schaffhausen. Zurück nach Hause! Ausser meiner Bekannten habe ich hier niemanden. Es gibt weder ein Restaurant in der Nähe noch einen Laden. Ich bin in meinen vier Wänden gefangen.»