Auf einen Blick
- Zürich erlaubt QR-Codes auf Grabsteinen für Autobiografien
- Erich Bohli, Ex-Fust-CEO, hinter der innovativen Idee
- Projekt meet-my-life.net seit 2014 aktiv
- QR-Codes auf Grabsteinen benötigen Bewilligung des Bestattungsamtes
- Lebensgeschichten sind wertvoll für Familien und Forschung
Es mag sich skurril anhören, ist in Zürich seit neustem aber Realität: Das Bevölkerungsamt der Stadt bewilligte die Anbringung eines QR-Codes an einem Grabstein auf dem Friedhof Nordheim. Einmal gescannt, finden sich die Lesenden in der Autobiografie der oder des Verstorbenen wieder. Hinter der Idee steht Erich Bohli (74), ehemaliger Fust-CEO.
Zusammen mit dem Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft der Universität Zürich entwickelte Bohli 2014 die Autobiografie-Plattform meet-my-life.net – ein weltweit einzigartiges Projekt. Auf der Internetseite können Laien-Autoren und -Autorinnen ihre Lebensgeschichte niederschreiben und jene anderer einsehen. Damit diese Arbeit nach dem Ableben nicht verloren geht, unterstützt Bohli die Idee von Grabstein-QR-Codes, wie er gegenüber Blick betont.
«So kann man das Andenken weiterverbreiten»
«Unsere Absicht war und ist primär, den Lesenden von Autobiografien auf unserer Website die QR-Codes als praktische Downloadmöglichkeit zur Verfügung zu stellen», sagt Bohli auf Anfrage von Blick. «Daneben dachten wir natürlich auch bereits an den weiteren Verwendungszweck im Falle des Ablebens einer Autorin oder eines Autors: In den Todesanzeigen, Danksagungen, Nachrufen. Und natürlich ganz naheliegend auf Grabsteinen und Urnengehäusen.»
Die grosse Schreibarbeit verstorbener Autorinnen und Autoren solle so eine praktische Weiterverwendung finden und mithelfen, das Andenken an den oder die Verstorbenen wachzuhalten. Nach der ersten Bewilligung in Zürich will Bohli nun auch weitere Hinterbliebene von Autoren und Autorinnen seiner Website ermutigen, einen QR-Code am Grabstein anzubringen.
«Bei einem Grabbesuch, nach dem Niederlegen von Blumen und dem Gebet, noch ein Klick mit dem Smartphone auf den Code machen, und auf dem Nachhauseweg oder zu Hause wird man dann feststellen, dass man von dieser geliebten Person vielleicht vieles nicht wusste. Dann kann man dieses Andenken auch so weiterverbreiten.»
Nicht nur persönlich, sondern auch wissenschaftlich wertvoll
Beim Erstellen eines Eintrags auf Bohli's Website wird der QR-Code automatisch generiert – wie oft solche Codes von Hinterbliebenen von Autoren und Autorinnen als Teil des Nachrufs oder Ähnlichem bereits verwendet wurden, weiss Bohli nicht. «Uns war auch gar nicht bewusst, dass es für die Verwendung auf einem Grabstein eine Bewilligung des Bestattungsamtes brauchte.»
Klar ist für den 74-Jährigen jedoch, dass die publizierten Lebensgeschichten extrem wertvoll sind. Nicht nur unter dem persönlichen Aspekt, sondern auch unter dem wissenschaftlichen. «Je mehr Lebensgeschichten als Teil unserer Erinnerungskultur geschrieben und öffentlich zugänglich gemacht werden, umso besser», ist Bohli überzeugt. «Einerseits für die Familiengeschichten, andererseits für spätere kulturwissenschaftliche Forschungsarbeiten. Jede Lebensgeschichte hat auch wertvolle Informationen über andere Forschungsrichtungen – sei es Geschichte, Medizin, Recht oder Wirtschaft.»
Daher übt er auch keine Zensur über die publizierten Geschichten aus. Eingreifen würde er lediglich, wenn er und sein Team auf «widerrechtliche Texte oder Passagen» aufmerksam gemacht werden würden. Bisher war dies jedoch nicht der Fall.