Zermatter Bergführer Richard Lehner
Die lebende Legende vom Matterhorn

Der Zermatter Richard Lehner ist Bergführer in dritter Generation. Schon 255 Mal war er auf dem Matterhorn. Und sorgte mit spektakulären Rettungsaktionen für Schlagzeilen.
Publiziert: 31.07.2025 um 16:16 Uhr
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Aktualisiert: 31.07.2025 um 21:01 Uhr
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Richard Lehner wurde von den USA mit dem Award for Heroism ausgezeichnet.
Foto: Franziska Frutiger

Darum gehts

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Birthe Homann
Beobachter

«In Zermatt geboren, am Fuss des Horu, wie wir das Matterhorn nennen, stamme ich wie viele hier aus einer Bergführerfamilie. Seit drei Generationen führen wir Lehners Menschen auf die Berge.» Das sagt Richard «Richi» Lehner über sich, wenn man ihn bittet, sich selbst zu beschreiben.

Das Horu sei der grosse Traum vieler Alpinisten, «weil es der schönste Berg der Welt ist», erzählt er dem Beobachter und blickt hinüber zum mächtigen Felsklotz, Luftlinie nur wenige Kilometer entfernt. 

Er selbst war schon 255 Mal oben, sein Vater Richard Lehner senior gar 650 Mal. Zusammen mit den Touren des Grossvaters Leo macht das über 1000 Matterhorn-Besteigungen Marke «Lehner». Als Bub habe er im Sommer seinen Vater kaum gesehen, der sei nur zur Messe am Sonntagmorgen ins Tal abgestiegen. 

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Spektakuläre Bergrettungen

Richi Lehner ist 52 Jahre alt, gilt unter Alpinisten aber bereits als Legende. 2010 gelang ihm gemeinsam mit dem Helikopterpiloten Daniel Aufdenblatten am Annapurna in Nepal die höchste je ausgeführte Bergrettung der Welt – auf 7000 Metern über Meer. Dafür bekamen sie den Award for Heroism, verliehen vom State Department der USA, sowie den Prix Courage des Beobachters

In den Schlagzeilen war 2020 auch Lehners spektakuläre Rettung einer jungen Russin im Monte-Rosa-Massiv. Die Frau war in eine gut zehn Meter tiefe Gletscherspalte gefallen und hatte dort, nur mit Shorts bekleidet, zwei Tage überlebt. «Sie wollte nach Italien» – in Turnschuhen, allein über den Grenzgletscher. «Lebensgefährlich.» Richi Lehner kann es immer noch kaum glauben. Er schiebt seine Sonnenbrille hoch und schüttelt den Kopf. 

Richard Lehner geniesst den Blick aufs Matterhorn vom Riffelberg aus.
Foto: Franziska Frutiger

23 Jahre alt war Lehner, als er die Ausbildung zum Bergführer abschloss – so jung hatte das vor ihm noch kein Schweizer geschafft. Zudem ist er Skilehrer, Hotelier und Hüttenwart der Monte-Rosa-Hütte. «Von dort hat man den schönsten Blick aufs Horu.» Besser noch als der, den sein Bruder habe: Er ist Hüttenwart der Hörnlihütte direkt am Fuss des Matterhorns. Und natürlich ebenfalls Bergführer. Familientradition.

Die dramatische Erstbesteigung

Rückblende: Zermatt, 13. Juli 1865. Im Morgengrauen startet eine Seilschaft aus sieben Männern zur Besteigung des Matterhorns – des letzten noch unbezwungenen Viertausenders der Schweizer Alpen. Tags darauf erreichen sie tatsächlich den Gipfel auf 4478 Metern. Dann beginnt das Abstiegsdrama. Nur drei der sieben Männer kommen lebend zurück ins Dorf: Edward Whymper und die Zermatter Bergführer Peter Taugwalder und dessen Sohn.

Es war die goldene Ära des Alpinismus. Immer mehr Menschen, vor allem abenteuerlustige aus England, wollten die Alpen entdecken. Der Bergtourismus erreichte Zermatt.

Und heute? Das Freilichttheater «The Matterhorn Story» wird nach zehn Jahren erstmals wieder aufgeführt, am Riffelberg ob Zermatt. Eine Neuinszenierung der «unter die Haut gehenden Geschichte über die Erstbesteigung». Diese stehe für den Pioniergeist, der bis heute in Zermatt herrsche, steht in den Werbeunterlagen des Theaters. Aufgeführt wird das Stück in Walliserdeutsch, Deutsch und Englisch. Man ist international.

Als das Horu ein «Brotberg» war

Für Grossvater und Vater Lehner war das Matterhorn noch der «Brotberg». Grossvater Leo Lehner, Jahrgang 1899, verdiente 100 Franken pro Tour aufs Matterhorn – das war viel Geld. Ein Handwerker in Zermatt bekam zu jener Zeit 5 Franken Tageslohn. Verständlich, dass viele Einheimische Bergführer werden wollten.

Erste Generation: Grossvater Leo Lehner (l.) verdiente viel Geld mit Matterhorn-Touren (rechts im Bild: Johann Zurniwen).
Foto: Privat

Auch Richard Lehner senior wurde Bergführer. Seine Karriere dauerte schliesslich bis 2011 – in all den 50 Jahren hatte er keinen einzigen Unfall. Heute kostet die Tour auf den Gipfel 1550 Franken. 

Zweite Generation: Leo Lehners Sohn Richard vererbte die Bergführerleidenschaft an seinen Sohn Richard junior.
Foto: Privat

Richi Lehner junior besteigt mit seinen Stammkunden inzwischen lieber andere Berge auf der ganzen Welt. Der Rummel am Horu ist ihm zu gross geworden. Er geht auf Skitouren nach Grönland und hilft jedes Jahr in Nepal bei der Ausbildung der Piloten und Retter im Himalaja. Trotzdem: Auch er wird diese Saison mindestens dreimal mit Gästen aufs Horu klettern. «Die Faszination bleibt, die Nachfrage auch.»

Die Gegenwart: Overtourism

Wieso fasziniert das Horu immer noch? Eine prächtige Felspyramide, kein Zweifel. Aber sonst? Richi Lehner, der Weitgereiste, sagt: «Es ist der Berg meiner Vorfahren, meine Heimat. Das bleibt er für immer.»

Ein Augenschein vor Ort. Mit der Gornergratbahn morgens um zehn Uhr zum Riffelberg fahren und von dort das Matterhorn bestaunen: Das ist keine gute Idee. Hunderte andere Touristinnen und Touristen, die meisten aus Asien, wollen dasselbe. Ein Stossen und Schubsen, sie drängeln zu den Fensterplätzen in der roten Zahnradbahn. Dann plötzlich Ruhe. Viele schlafen ein – die Höhe. Alle anderen hängen ununterbrochen am Smartphone, fotografieren und filmen das Horu.

Stoisch zwängt sich Richi Lehner durchs Gedränge. Er fällt auf durch seine Grösse und seine Bergsteigerkluft mit Rucksack, Seil und Pickel. Die meisten anderen im Zug tragen fancy Sonnenhut, Turnschuhe und Handtasche. 

«Wir müssen achtgeben, dass wir nicht zu einem alpinen Disneyland werden», warnt Richard Lehner.
Foto: Franziska Frutiger

Ist ihm das manchmal zu viel? «An manchen Orten bei uns hat es definitiv zu viele Leute. Sie kommen hier hoch zum Gornergrat, machen am Riffelsee ein paar Fotos und fahren wieder runter. Wir müssen achtgeben, dass wir nicht zu einem alpinen Disneyland werden.» 132 Franken kostet die 35-minütige Fahrt retour.

Über 2,5 Millionen Logiernächte verzeichnete die Region Zermatt–Matterhorn letzte Saison. Fast die Hälfte der Übernachtungen fand im Sommer statt. Zu den Topnationen gehören – nebst Deutschland, England und den USA – Taiwan, Japan, China, Korea und Singapur. Die Gäste aus Asien bleiben oft nur eine Nacht.

«Mit dir gehe ich nicht aufs Matterhorn»

Richi Lehner steigt an der Station Riffelberg aus. Die Freilichtbühne fürs Matterhorn-Stück steht parat. Nur wenige Schritte davon entfernt ist man allein. Und ein paar Hundert Meter weiter ist der Blick aufs Horu phänomenal.

Am Riffelhorn, noch etwas weiter weg, testen die Zermatter Bergführer ab und zu ihre Gäste, ob sie dem Matterhorn gewachsen sind. Der Fels ist an manchen Stellen glatt poliert von den vielen Klettereien. «Ich merke schnell, ob ein Gast fähig ist oder nicht. Wie er geht, seine Tritte setzt, wie er schnauft», sagt er zum «Beobachter».

Wagt sich dieser Skifahrer wirklich in die Matterhorn-Felswand?
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Riesiger Hype um Facebook-Video:Wagt sich dieser Skifahrer wirklich in die Matterhorn-Felswand?

Er habe auch schon umkehren müssen und Gästen gesagt: «Mit dir gehe ich nicht aufs Matterhorn.» Schliesslich stehe die Sicherheit an oberster Stelle. Es sei ein komplexer und anspruchsvoller Auf- und Abstieg. Normalerweise dauert die Tour acht Stunden.

Rund 3000 Alpinistinnen und Alpinisten wollen jedes Jahr den Gipfel erklimmen, an Spitzentagen sind es über 100. Saison ist von Ende Juni bis Mitte September. Seit Beginn der Aufzeichnungen stürzten am Horu 600 Menschen in den Tod. In absoluten Zahlen ist das Matterhorn damit der gefährlichste Berg der Welt. Aber vor allem ist es eines: ein Mythos. Allerdings ein bröckelnder. 

Der Felssturz vom Juli 2003

Richi Lehner setzt sich auf einen Felsen, blickt zum Matterhorn und erzählt vom Hitzesommer 2003. Ein gigantischer Steinschlag brachte damals das Horu zum Beben.

Am Morgen des 15. Juli 2003 war er mit einem Gast auf dem Rückweg vom Gipfel. «Plötzlich sahen wir riesige Staubwolken die Ostwand hochsteigen.» Der Berg bewegte sich, ein Teil der Route brach zusammen. Die Hörnlihütte sei nur noch 200 Höhenmeter entfernt gewesen, aber der Abstieg unmöglich, durch Felstrümmer versperrt. «Alle 70 Menschen am Berg mussten mit dem Heli evakuiert werden – wir auch.» Eine noch nie da gewesene Rettungsaktion, niemand kam zu Schaden. Und das Matterhorn steht noch immer.

Die Folgen des Klimawandels in den Bergen sind drastisch. Gemäss einer ETH-Studie hat sich das Volumen der Schweizer Gletscher zwischen 1931 und 2016 halbiert. Es wird überall instabiler, es gibt mehr Steinschlag, Murgänge, Gletscherabbrüche. Wohin das führen kann, zeigt die Verschüttung von Blatten im Lötschental. 

Die vierte Generation ist in den Startlöchern

Trotz all den Gefahren: Die Familie Lehner lebt seit drei Generationen vom Bergsteigen, und die vierte steht schon bereit. Richi Lehners Söhne Xavier und Arnaud, 19 und 20 Jahre alt, wollen ebenfalls die dreijährige Ausbildung zum Bergführer machen. Auf dem Matterhorn standen beide schon, geführt von ihrem Vater.

Richard Lehners Söhne Xavier (l.) und Arnaud wollen ebenfalls Bergführer werden.
Foto: Privat

Zurück in der Gornergratbahn für die Fahrt hinab nach Zermatt: Es ist ruhig. Die meisten ausländischen Gäste sind eingenickt. Die Höhe. Sie verpassen wunderbare Blicke aufs Horu.

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