«Jeder kleine Abbruch ist eine gute Nachricht»
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Gemeindepräsident von Blatten:«Jeder kleine Abbruch ist eine gute Nachricht»

Gefahr im Walliser Lötschental – Bewohner evakuiert
Macht dieser Berg Blatten platt?

Blatten VS im hinteren Lötschental muss bangen: Ein Bergsturz bedroht das Dorf mit den 300 Einwohnern. Deshalb mussten am Montag die Bewohner das Dorf verlassen. Blick war im Lötschental und hat mit Evakuierten gesprochen.
Publiziert: 19.05.2025 um 21:43 Uhr
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Aktualisiert: 20.05.2025 um 05:17 Uhr
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Das Dorf Blatten VS ist von einem Bergsturz bedroht.
Foto: keystone-sda.ch

Darum gehts

  • Blatten VS im Lötschental evakuiert wegen drohenden Felssturzes vom Kleinen Nesthorn
  • Solidarität im Dorf: Bewohner bieten einander Unterkünfte an
  • Potenzielles Bergsturzvolumen beträgt eine Million Kubikmeter Gestein
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Martin MeulReporter News

Ein bröckelnder Berg bedroht Blatten VS. Im Dorf mit 300 Seelen im hinteren Lötschental herrschte am Montag Aufruhr: Evakuierung! Alle Bewohner mussten wegen des drohenden Felssturzes Blatten verlassen. Auch die Kühe mussten weggebracht werden. Ohne lange zu überlegen, mussten die Bewohner das Nötigste packen und gehen. 

Angefangen hatte alles am Mittwoch, 14. Mai. Es ist früher Abend. Beim Kleinen Nesthorn auf über 3000 Meter Höhe kracht Felsen in die Tiefe. Das Geröll donnert auf den Birchgletscher. Eis vermischt sich mit Stein – die rutschende Masse bewegt sich in Richtung Blatten.

Noch nicht das erwartete Grossereignis

Die Konsequenz: Schon am Samstagabend mussten knapp 100 Dorfbewohner sowie ein gutes Dutzend Gäste evakuiert werden. Dann am Montag die Verschärfung – alle müssen raus. Blick ist am Schicksalstag ins Lötschental gereist. Beim Besuch vor Ort wird klar, dass der Berg bebt. Es stäubt. Steine purzeln zu Tal. Kurz nach Mittag lösen sich 100'000 Kubikmeter Fels.

Am Montagabend brach sogar ein Teil des Gipfels ab. 150'000 bis 200'000 Kubikmeter Gestein lösten sich in Stücken. Dabei handelte es sich jedoch nicht um das erwartete Grossereignis, wie ein Sprecher des Regionalen Führungsstabs Lötschental sagte. Es sind nämlich bis zu 5 Millionen Kubikmeter in Bewegung.

Ruhige Nacht

Von Montag auf Dienstag verbrachte das evakuierte Geisterdorf eine ruhige Nacht. Die Gemeinde-App, über die grössere Abbrüche gemeldet würden, schwieg. Doch die Lage bleibt ernst: Mehrere Millionen Tonnen Gestein könnten weiterhin vom kleinen Nesthorn ins Tal stürzen – entweder auf einen Schlag oder in mehreren kleineren Abgängen, was laut Experten das bessere Szenario wäre.

«Wir hatten nur 15 Minuten Zeit, um für vier Personen zu packen»
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Schüler aus Blatten VS:«Wir hatten nur 15 Minuten Zeit, um für vier Personen zu packen»

«Habe Kleider für eine Woche dabei»

Blick hat sich bei den Bewohnern des Bergdorfs umgehört. Einer der Evakuierten ist Rentner Urs Schmid (71). Seit über 40 Jahren lebt er – mit Unterbrüchen – in Blatten. «Gestern waren wir nicht im Dorf», sagt er zur Evakuierung. «Wir haben zuerst gar nicht so viel davon mitbekommen.» Schnell habe Schmid seine Siebensachen gepackt. «Ich habe Kleider für eine Woche dabei. Wir können bei der Schwester meiner Frau unterkommen.»

Über die Stimmung im Dorf meint er: «Einige Personen mit Kleinkindern sind schon etwas nervös.» Schmid bleibt aber zuversichtlich: «Im Moment mache ich mir noch nicht allzu viele Sorgen.» 

Auch Esther Bellwald (47) musste Blatten am Montag verlassen. Sie ist die Chefin des Hotels Nest- und Bietschorn. Sie sagt: «Man hat schon Respekt.» Sie hätte ihr Hotel in zwei Wochen für die Sommersaison eröffnen wollen. Nun müsse sie aber schauen, wie es weiter geht. Es sei noch etwas früh für die weitere Planung. «Es ist so, wie es ist.» Für den Betrieb werde dies aber wohl grössere Auswirkungen haben. 

Sie hebt aber positiv hervor, dass die Solidarität im Dorf enorm sei. Mehrere Bekannte hätten sich bei ihr gemeldet und ihr einen Schlafplatz angeboten, berichtet Bellwald. Zu Hause habe sie nur das Nötigste eingepackt. «Wir haben Kleidung und einen Computer mitgenommen.» 

«Wir müssen den Experten vertrauen»

Wie Esther Bellwald betont auch Matthias Bellwald (63) das Positive. Der Mann ist Gemeindepräsident von Blatten. «Jeder Abbruch, der sich in kleinen Dosen hinunter ins Tal bewegt, ist eine gute Nachricht. Denn das bedeutet, dass die Gesamtmasse nicht auf einmal in Bewegung ist und das Dorf nicht erheblich gefährdet.» Gemeindepräsident Bellwald meint: «Es ist erleichternd, dass wieder ein Stück abgebrochen ist, aber nicht der ganze Berg gekommen ist.» Das Wichtigste sei aber, dass die Bevölkerung in Sicherheit gebracht werden konnte. 

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Und Bellwald zum Dritten: Schüler Silvano Bellwald (16) besuchte gerade den Unterricht, als in Blatten der Aufruf zur Evakuierung erfolgte. «Wir hatten nur 15 Minuten Zeit, um für vier Personen zu packen», erklärt er. Nun finden der Jugendliche und seine Familie bei Verwandten Unterschlupf. Wenn es die Sicherheit zulasse, würde er zwar gerne ins Dorf zurückkehren, ein mulmiges Gefühl bleibe jedoch. «Wir müssen den Experten vertrauen», so Bellwald.

Es ist nicht das erste Mal in der jüngeren Vergangenheit, dass ein Schweizer Bergdorf von einem Bergsturz bedroht wird: Im Mai 2023 wurden die Bewohner des Bündner Dorfs Brienz evakuiert. Am 15. Juni stürzten dann 1,2 Millionen Kubikmeter Fels ins Tal. Brienz blieb nur knapp verschont: Die Brocken kamen wenige Meter vor dem besiedelten Gebiet zum Stillstand. Im Juli konnten die Bewohner in ihr Dorf zurück. Im November 2024 mussten sie es wieder verlassen. Die erneute Evakuierung dauert bis heute an. 

Und was ist mit den Menschen in Blatten? Die wissen nicht, was die Nacht bringen wird. Der Berg wird aber wohl so schnell nicht zur Ruhe kommen. 

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