Kuh wird mit Helikopter ausgeflogen
In Blatten VS sind alle Personen bereits evakuiert worden. Allerdings grasten noch einige Kühe auf den Weiden im Walliser Dorf. Diese wurden am Dienstag per Helikopter abgeholt und ausgeflogen.
Der Bergsturz im Wallis in Zahlen
Der Regionale Führungsstab im Lötschental hat am Dienstagnachmittag aktuelle Zahlen zum Bergsturz am Kleinen Nesthorn veröffentlicht. Der Berg befindet sich direkt beim Birchgletscher im Lötschental im Kanton Wallis.
Die bisherige Summe abgebrochenes Gestein beziffern die Behörden auf etwa 1,5 Millionen Kubikmeter. Die restliche instabile Masse am Berg beträgt rund 3 Millionen Kubikmeter. Die Gletscherbewegung beträgt 0,5 Meter am Tag. 306 Personen wurden evakuiert. Alle kamen privat unter. 60 Personen von diversen Organisationen sind aktuell im Einsatz. Und auch zu den evakuierten Tieren nennt das Führungsorgan zahlen. 190 Schafe, 26 Kühe und um die 20 Hasen sind in Sicherheit.
Kraftwerk bereitet sich «auf Ernstfall» vor
Auch das Kraftwerk Lötschen bereitet sich auf einen möglichen Felsabbruch am Nesthorn vor. Laut dem «Walliser Bote» hält das Werk im Stausee Ferden zusätzliches Stauvolumen frei, um potenzielle Wassermassen aufzufangen.
«Angesichts der gewaltigen Massen ist es unrealistisch anzunehmen, dass nichts den Talgrund erreichen würde», warnt Albin Brigger von der Dienststelle für Naturgefahren. Entlang der Lonza seien bereits Vorkehrungen getroffen worden. Diego Pfammatter von Enalpin erklärt, der Stausee sei derzeit zu fünfzig Prozent gefüllt, was 900'000 Kubikmeter freies Volumen bedeute. Bei einem Abbruch könnte dies genutzt werden, um Wassermassen zurückzuhalten.
Das Kraftwerk steht in engem Kontakt mit den Krisenstäben und hat eine maximale Stauquote festgelegt. Die Turbinierung werde laufend angepasst. Trotz der Situation betont Pfammatter: «Die Versorgungssicherheit ist nicht gefährdet.» Alle Beteiligten bereiten sich bestmöglich auf den Ernstfall vor.
«Ich frage mich, ob das alles eine gute Wahl war.»
Der drohende Feldsturz von Blatten betrifft nicht nur die einheimische Bevölkerung. Auch Angestellte ortsansässiger Betriebe sind direkt betroffen – so etwa Barbara Wieczysty (49) aus Polen. Sie hat erst vor drei Tagen ihre Stelle im Hotel Edelweiss angetreten, als Serviceangestellte und Masseurin, wie sie Blick-Reporter Martin Meul erklärt. Jetzt ist schon wieder alles vorbei: Das Hotel musste evakuiert werden, und Barbara Wieczysty ist vorläufig in einem anderen Hotel in Kippel untergebracht.
Zum Zeitpunkt der Evakuierungsaufforderung befand sich die Polin an einer Schulung in Bern – persönliche Sachen konnte sie deshalb keine mitnehmen. Für Wieczysty bedeutet das vor allem eines: grosse Ungewissheit. Wann das Hotel – und damit ihr Arbeitsplatz – wieder öffnen kann, ist völlig offen. «Ich frage mich, ob das alles eine gute Wahl war.» Ihr Blick geht entsprechend angespannt in Richtung Kleines Nesthorn. Dort soll inzwischen ein Drittel des Berges abgerutscht sein. Rund 1,5 Millionen Kubikmeter Fels und Geröll.
1,5 Millionen Kubikmeter Material bereits abgebrochen
Durch die kontinuierlichen Abbrüche beim Kleinen Nesthorn sind laut Schätzungen bisher rund 1,5 Millionen Kubikmeter Material abgegangen. Dies gibt der Regionale Führungsstab bekannt.
Insgesamt fünf Millionen Kubikmeter sind in Bewegung und könnten schlimmstenfalls abbrechen. Mit einem grösseren Abbruch wird in den nächsten Stunden gerechnet.
Felssturz oder Bergsturz? Das ist der Unterschied
Bergsturz, Felssturz, Murgang oder Hangrutsch? Berge können auf unterschiedliche Arten in Bewegung geraten. Ein Überblick:
Steinschlag
Stürzen einzelne Steine mit einem Durchmesser von weniger als 50 Zentimetern in die Tiefe, heisst das Steinschlag.
Felssturz
Bei einem Felssturz stürzt deutlich mehr Gestein in die Tiefe. Man spricht laut dem Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos von einem Felssturz, wenn Gestein und Felsen mit einem Gesamtvolumen von mindestens 100 Kubikmetern ins Tal stürzen. Das entspricht etwa dem Fassungsvermögen von 600 Badewannen.
Bergsturz
Von einem Bergsturz spricht man, wenn mindestens eine Million Kubikmeter Gestein ins Tal stürzt. Das wären dann sechs Millionen Badewannen – oder 400 Olympiabecken.
Murgang
Ein Murgang ist ein Gemisch aus Wasser und festem Material wie Gestein und Holz, das sich mit grosser Geschwindigkeit hangabwärts bewegt. Sie können kilometerweit vorstossen und entwickeln dabei erhebliche Zerstörungskräfte. Murgänge treten insbesondere nach starken Regenfällen und Schneeschmelzen auf. Laut dem Forschungsinstitut gehören sie zu den drei Ereignissen mit den höchsten Schadenzahlen der Schweiz. Für Menschen sind sie demnach besonders gefährlich, da kaum Vorwarnzeiten bestehen. Zwischen Auslösung und Erreichen eines kritischen Punktes vergehen oft nur Minuten.
Hangrutsch
Bei einem Hangrutsch gleitet festes Material wie Fels und Gestein auf einer festen Unterlage ins Tal. Diese können spontan und schnell ablaufen, laut SLF aber auch Jahrhunderte dauern. Manche Hänge bewegen sich demnach mit wenigen Milli- oder Zentimeter pro Jahr, selten auch mehr, spontane Abgänge erreichen jedoch Geschwindigkeiten von mehreren Metern pro Sekunde. Auf ihrem Weg ins Tal nehmen die Hänge alles mit, was sich auf ihnen befindet.
Enorme Bewegungen am Hang – Ostgrat praktisch weg
In den vergangenen Tagen ist es am Kleinen Nesthorn zu grossen Hangbewegungen gekommen. In der Nacht auf Dienstag ging viel Material ab. Ein Teil der Flanke ist abgebrochen, praktisch der ganze Ostgrat ist verschwunden.
Aufklärungsflug gestrichen: «Wir rechnen nach wie vor mit einem grossen Knall»
Ein geplanter Aufklärungsflug über das Felssturzgebiet in Blatten wurde heute nicht durchgeführt. Der Grund: Die Geologen sehen momentan keinen akuten Handlungsbedarf. Jonas Jeitziner vom regionalen Führungsstab sagt gegenüber Blick: «Wir rechnen nach wie vor mit dem grossen Knall – hoffen aber, dass es weiterhin nur kleinere Abbrüche gibt.» Das bange Warten im Lötschental geht also weiter. Für den Dienstagnachmittag haben die Behörden weitere Informationen in Aussicht gestellt.
Angespannte Lage: Weitere Abbrüche am Dienstagmorgen
Die Situation an den Hängen oberhalb von Blatten bleibt angespannt. Wie es aus Behördenkreisen gegenüber Blick heisst, kam es auch am Dienstagmorgen zu weiteren kleineren Abbrüchen am Kleinen Nesthorn. «Es läuft derzeit eigentlich so, wie man es sich erhofft hat – viele kleinere Abgänge statt eines grossen Bruchs». Dennoch bleibt das Risiko bestehen: Ein grösserer Felssturz könnte jederzeit grössere Massen in Bewegung setzen. Die betroffenen Stellen auf dem Gletscher werden weiterhin genau beobachtet. Aktuell ist die Lage ruhig, aber angespannt – und jederzeit kann sich das ändern.
Video zeigt Teilabbruch bei Blatten VS
Auf einem Video ist zu sehen, wie ein Teil des Berges oberhalb der vom Felssturz bedrohten Gemeinde abbricht. Am Montag mussten 300 Personen evakuiert werden.