Darum gehts
- St. Galler Stadtvoliere wird geschlossen. Präsident Christian Müller gibt auf
- Streit zwischen Voliere-Gesellschaft und Stadt führt zur Auflösung
- 146-jährige Institution mit 80 Vögeln und 1000 Mitgliedern endet 2025
Christian Müller wirkt traurig, als Blick ihn zum Interview im St. Galler Stadtpark trifft. Der 79-Jährige ist seit über 30 Jahren Präsident der Voliere-Gesellschaft St. Gallen und setzt sich noch länger für seine gefiederten Freunde ein. Auf dem Areal der Voliere trägt er Futtersäcke, putzt Gehege – dann setzt er sich auf eine Bank, die den grossen Teich überblickt. Er hat aufgegeben. Am 3. Juli 2025 wird er an der Hauptversammlung die Auflösung der 1879 gegründeten Voliere-Gesellschaft bekanntgeben müssen. «Die Stadt hat eine 146-jährige Institution zerstört», sagt er.
«Ein Mitarbeiter der Voliere ist nach der Hiobsbotschaft in ein tiefes Loch gefallen, er muss sich aktuell in der Psychiatrie in Wil SG behandeln lassen», erzählt Müller. Und hier hört der Kummer nicht auf: Müllers Ehefrau, die mit ihm die Führung der Gesellschaft jahrzehntelang bestritt, ist vor gut zwei Monaten gestorben. Im Interview vergiesst Müller Tränen, zu emotional ist die Sache gerade.
Die St. Galler Stadtvoliere ist eine Institution. Seit fast 150 Jahren leben hier Vögel – aktuell sind es 80 Tiere. Ausserdem dient die Voliere als Pflegestation für verunfallte oder kranke Tiere. Spezielle Exemplare wie Kiebitze, Säbelschnäbler, Löffler und Tragopane, aber auch Enten, Schwäne und Spechte leben hier. Sie konnten vor dem Einschläfern bewahrt werden und kommen nach der Schliessung in anderen Volieren und Zoos in der Schweiz hier unter.
Vor vier Jahren begann der Streit
Das denkmalgeschützte Gebäude gehört der Stadt. Bis anhin konnte die Voliere-Gesellschaft den Ort kostenlos nutzen, auch für die Nebenkosten kam die Stadt auf. Zudem zahlte die Stadt einen Unterstützungsbeitrag. Doch damit ist jetzt Schluss. «Die Probleme begannen, als unsere 30-Jahres-Verträge mit der Stadt ausliefen», erinnert Müller sich. Das war vor vier Jahren.
Drei «Runde Tische» gab es in dieser Zeit. Keiner führte zum Erfolg. Verschiedene Vereine, darunter Vogelschutz- und Naturschutzvereine waren grundsätzlich gegen Vögel in Käfigen. «Aber die sind alle in Gefangenschaft aufgewachsen! Viele könnten in der Wildnis gar nicht überleben», nervt sich Müller.
Die künftigen Pläne der Stadt, an die sich Müller hätte halten müssen, seien einschneidend gewesen: «Die Aussenanlage mit den Tieren müsste entfernt werden. Der Sicherheitszaun um die Voliere auch.» Heisst: «Die Vorschriften für die Haltung von Vögeln können wir so nicht mehr erfüllen.»
«Habe die Nase voll von dieser Stadtregierung»
Weiter soll die Anzahl Tiere auf zehn Exemplare beschränkt werden und die Stadt wollte keine Subventionen, Wasser, Strom und Heizung mehr bezahlen. «Die Finanzierung der Gehälter und Futtermittel ist somit nicht realisierbar. Trotz zusätzlich ehrenamtlicher Arbeit von jährlich 4600 Stunden», bilanziert Müller.
Das Ende der Voliere und deren Gesellschaft mit 1000 Mitgliedern ist somit besiegelt. Den Schuldigen sieht Müller glasklar im parteilosen St. Galler Bauvorsteher und Stadtrat Markus Buschor. «Wir wurden von ihm abgesägt. Er hat uns auflaufen lassen.»
Ein von Müller und Mitstreiterinnen verfasster Rettungsplan für die Voliere sei von Buschor nicht einmal mit einem müden Auge angeschaut worden. «Er hat nur gesagt, dass er das dem Stadtrat nicht präsentieren könne.» Der Umgang sei «nicht sehr nett, fragwürdig, zum Teil bösartig» gewesen, sagt Müller. Und wird deutlich: «Ich habe die Nase voll von dieser Stadtregierung!»
«Müller hat sich ein Reich aufgebaut, in dem er das Sagen hat»
Auf Anfrage beim kritisierten Stadtrat Markus Buschor (63) erhält Blick eine gepfefferte Antwort. Nicht die Stadt habe sich falsch verhalten, sondern Müller. Er habe nach den drei Runden Tischen einer zukunftsfähigen Lösung zugestimmt, dann aber doch wieder weitermachen wollen wie bisher. «Die Vorschläge der Voliere-Gesellschaft waren leider immer rückwärtsgewandt.» Die Stadt sei klar der Meinung, dass es nicht mehr verantwortbar sei, rund 100 Vögel in einer Voliere dieser Grösse zu halten.
Buschor dreht den Spiess um: «Leider war die Zusammenarbeit mit der Voliere-Gesellschaft, insbesondere mit Herrn Müller, äusserst schwierig. Über die Jahre hat sich Herr Müller ein Reich aufgebaut, in dem er das Sagen hat.» Wenn die Stadt aber Geld investieren solle, seien öffentliche Interessen und gesetzliche Vorgaben zu berücksichtigen.
«Stadt liess sich auf der Nase herumtanzen»
Anhand der Antworten von Markus Buschor wird klar: Hier geht es nicht bloss um eine politische Meinungsverschiedenheit – das hier ist persönlich. Auf die Frage von Blick, ob auch die Stadt Fehler gemacht habe, antwortet Buschor: «Ja, die Stadt liess sich seit mehr als zehn Jahren auf der Nase herumtanzen und hat in jüngster Vergangenheit trotzdem versucht, eine Lösung mit der Voliere-Gesellschaft zu finden.»
Was mit dem Areal der denkmalgeschützten Voliere nach dem Auslaufen der Verträge im Dezember 2025 geschieht, ist noch völlig offen. Gemäss Buschor soll es einen Ideenwettbewerb geben, um «den besonderen Ort weiterhin für die breite Bevölkerung zugänglich und ihn als lebendigen Treffpunkt für alle zu erhalten und zu stärken». Denn jetzt seien «der Weiher und der Aussenraum nicht ansprechend genutzt, wie es eines Stadtparks würdig wäre».