Darum gehts
- Anwalt wegen Nacktheit vor Gericht, Staatsanwaltschaft fordert Verurteilung
- Beschuldigter soll sich mehrfach vor Sekretärin entblösst haben
- Staatsanwältin fordert bedingte Freiheitsstrafe von 14 Monaten und 12'600 Franken Geldstrafe
Schlusswort: «Fragt, ob ich ein solches Arschloch bin!»
«Es wurde viel über meinen Charakter gesprochen. Cholerisch, aufbrausend, sei er. Das ist verletzend. Ich bin einfach so, wie ich bin», beginnt der Beschuldigte sein Schlusswort. «Fragen Sie meine Frau, fragen Sie die junge Anwältin, die über vier Jahre bei mir arbeitet, fragen Sie meinen Anwaltspartner. Fragt, ob ich ein solch verdammtes A****loch bin.»
Es sei perfid, wie er seine Unschuld beweisen müsse. Es würden hier Annahmen gemacht: «Könnte so sein, hätte so sein können und so weiter. Das bringt mich in Rage, denn es widerspricht all dem, woran ich in meinem Beruf glaube.»
Auch entlastenden Beweisen solle nachgegangen werden. Er habe schon bei der Anzeige gesagt: «Was ist das? Das stimmt doch alles nicht.»
Es stimme aber, dass er nicht von Anfang an alles gesagt habe. «Weil ich meine Frau schützen wollte.» Während dieses Verfahrens habe er viele Freunde verloren. Doch die Spreu habe sich vom Weizen getrennt. «Heute Morgen hat mir ein guter, alter Freund geschrieben: Courage.»
Er hätte seiner Frau von Anfang an alles sagen müssen. «Aber nicht wegen des Flirts, sondern weil mir dieses Verfahren so derart peinlich war.» Seine Frau stünde zu ihm, auch heute. «Meiner Beziehung zu meiner Frau hat dieses Verfahren gutgetan. Es hat mir gezeigt, wie tief unsere Liebe ist. Danke Schatz, danke dass du hier bist und mich unterstützt.»
Damit hat der Beschuldigte geschlossen. Das Verfahren ist damit beendet. Das Urteil folgt entweder am Mittwoch oder am Donnerstag schriftlich.
Wir bedanken uns fürs Mitlesen und wünschen einen angenehmen Tag.
Nun darf der Verteidiger noch einmal kurz ran. Er geht wieder auf die «Masturbationsbewegungen» ein, die der Beschuldigte gemäss Anklage ausgeführt hätte. Die Handlungen seien «vorgeworfen, aber nicht bewiesen». Die Vorinstanz habe richtig gelegen, in dem sie die Handlungen als nicht genügend intensiv eingeordnet hatte.
Damit hat der Verteidiger geschlossen.
«Sie haben keine Argumente»
«Ich bin ein bisschen enttäuscht», sagt die Staatsanwältin zu Beginn. Die Gegenseite sei auf keinen ihrer Punkte eingegangen. «Wahrscheinlich, weil sie keine Argumente haben.» Dass die Unschuldsvermutung «mit Füssen getreten» worden sei, so wie es der Verteidiger des Beschuldigten sagte, sei irritierend gewesen. Eine Beschwerde sei auf jeden Fall nie eingegangen.
«Vor- und Rückwärtsbewegungen am Penis. Was ist das, wenn nicht sexuell?», sagt die Staatsanwältin. Sie geht noch einmal darauf ein, wie sich die Klägerin gefühlt hatte. «Sie fand es eklig.»
«Sie hätte aufstehen und gehen können»
Finanziell sei es ihr überdies stets gut gegangen, macht der Anwalt weiter. Es habe in der Ehe der Frau einen «ordentlichen Überschuss» im Einkommen der beiden Ehepartner gegeben. Sie sei nur für den «Batzen» arbeiten gegangen und es sei ihr einfach gefallen, die Kanzlei immer wieder zu verlassen, wenn ihr Chef gerade nicht gut drauf war. Sein Klient habe ein «lautes Organ und gibt seine Sichtweise deutlich wieder». Aber das reiche nicht, um jemandem etwas anzuhängen.
«Die Klägerin hätten in den von meinem Klienten bestrittenen Sitzungen jederzeit aufstehen und gehen können.» Selbst dann, wenn es eindeutige, sexuelle Handlungen gegeben hätte. «Sie war mit der Nacktheit einverstanden. Sie hat nie verbal und klar zu verstehen gegeben, dass sie dieses Verhalten nicht wolle.»
Deswegen sei ein Abhängigkeitsverhältnis nicht erstellt. Sein Klient sei deshalb freizusprechen, das Urteil der Vorinstanz – also der Freispruch vor dem Kreisgericht vor zwei Jahren – sei zu bestätigen.
Zu seiner massiven Honorarnote von 50'000 Franken sagt der Anwalt zum Schluss: «Ja, die Rechnung war hoch.» Während der Arbeit, auch zu diesem Fall, «läuft halt mein Ticker», sagt der Anwalt. Die Vorinstanz habe gesehen, dass es «halt Arbeit» gegeben habe. Der ganze Fall sei ein «Trauerspiel».
Damit hat der Verteidiger geschlossen. Die Staatsanwaltschaft hält nun ihren zweiten Vortrag.
«Abhängigkeitsverhältnis wird konstruiert»
«Die Staatsanwältin versuchte heute, das Abhängigkeitsverhältnis zu konstruieren», sagt der Verteidiger. Er bringt eine Aussage der Klägerin auf: «Ich bin 35, jetzt ist höchste Zeit. Ich muss und will wieder mit der Arbeit beginnen.» Und der «Batzen» sei auch sehr schön.
Diese Aussagen seien «entscheidend», so der Verteidiger. Die Klägerin habe es genossen, wieder rauszugehen nach der Geburt ihres Kindes. Damit sei klar, dass in vorliegendem Fall kein Abhängigkeitsverhältnis habe vorliegen können. Ein paar unschöne Szenen während der Arbeit und ein manchmal wütender Chef seien nicht genug. «Das reicht lange nicht», sagt der Verteidiger.
«Nacktheit ist nicht strafbar»
Der Verteidiger nimmt nun die Aussagen der Privatklägerin, der Sekretärin, auseinander. Als sie ihn bei seinem nackten Mittagsschläfchen wecken musste, habe es keine sexuellen Handlungen gegeben. Als er im Flur nackt vorbeigelaufen sei, habe sie ihn gar nicht sehen können.
«Nacktheit ohne sexuellen Bezug ist gemäss Strafgesetz nicht strafbar.» Ein Herumspielen am nicht erigierten Penis, so wie es ein Kind machen würde, sei nicht strafbar. Die Fragen der Staatsanwältin seien oftmals suggestiv gewesen. «Ein nackter Mensch, sei es im Wald oder im Büro, ist strafrechtlich dasselbe.»
Es habe ein paar Situationen gegeben, wo man darüber diskutieren könne. Aber: «Ein Verhalten, das als unangebracht gewertet wird, ist nicht automatisch strafrechtlich relevant.» Wo es dann aber aufhöre, sei das Ausnützen einer Notlage.
«Uneregiert»
«Nichts davon ist bewiesen», fährt der Verteidiger fort. Er verwendet viele juristische Fachausdrücke und Paragrafen. Es sei nicht einmal Exhibitionismus, auch dafür würden die Beweise fehlen. «In welchem Zustand? Uneregiert.» Das Wort uneregiert fällt daraufhin noch ein paar Mal. Die sexuelle Absicht fehle gänzlich.
Der heute nicht zur Verhandlung stehende Straftatbestand der Tierquälerei wird vom Verteidiger auch noch einmal aufgegriffen. Es geht darum, dass der Hund des Beschuldigten in einem Fall den Penis desselben abgeschleckt gehabt haben soll. «Der Exhibitionist lässt sich also noch den Penis ablecken», sagt der Verteidiger. Das sei nichts anderes als «Stimmungsmache».
Die Privatklägerin habe mehrmals ohne Probleme und trotz eines brüllenden Chefs ihren Arbeitsplatz verlassen, um eine Runde spazieren zu gehen. «Wenn jemand das aushalten kann, kann sie auch einen nackten Chef aushalten.» Sie habe sich alles erlauben können, inklusive unerlaubtes Entfernen vom Arbeitsplatz.
«Es gab keine sexuellen Handlungen, kein Abhängigkeitsverhältnis», sagt der Verteidiger.
Verteidiger bringt Nackt-Gerichtsprozess aufs Parkett
Den Flirt mit der «hippiehaften» Sekretärin habe sein Klient genossen. Es sei eine schöne Abwechslung vom «harten und rauen Arbeitsalltags eines Anwalts» gewesen. Die Privatklägerin hätte sich jederzeit wehren können. «Sie war nicht hilflos.»
Die Klägerin hatte mehrmals gesagt, dass sie das Nacktsein des Anwalts «kauzig» gefunden und in keiner Weise schlimm. Sie habe es akzeptiert, gestört habe sie sich nicht gefühlt. «Sie hatte kein Problem mit einem nackten Anwalt. Sie fand das kauzig, lustig und auch ein wenig sympathisch.»
«Nicht, dass der Blick jetzt schreibt, ich würde das fordern: Aber wir könnten diese Verhandlung hier auch nackt führen. Wenn alle einverstanden ist, wäre das möglich», sagt der Anwalt an die drei Kantonsrichter gewandt. Nacktheit sei nicht per se eine Straftat.
«Wo Bartli den Most holt»
Der Anwalt des Beschuldigten spricht. «Was ist von diesem Fall zu halten? Ehrlich gesagt: nichts, gar nichts.» Es ginge hier nicht um Strafrecht. Er verweist auf seine Eingaben, in denen «alles zum Fall gesagt». Man hätte den Fall «schon damals einstellen müssen».
Er bringt formelle Fehler in der Anklage aufs Parkett. Die Staatsanwältin hätte hier versucht, «etwas zu kreieren». Die Unschuldsvermutung sei mit «Füssen getreten worden», weil auch heute wieder eingestellte Verfahren zur Sprache gekommen seien. Beispielsweise die Geschichte im Unterwäscheladen.
«Es geht darum, dass man meinem Klienten, einer schillernden Figur auf dem Platz St. Gallen, mal zeigt, wo Bartli den Most holt.» Es gehe darum, den beschuldigten Anwalt fertigzumachen.
«Sie war mit den Geschehnissen nicht einverstanden»
«Die Klägerin war mit den Geschehnissen nicht einverstanden. Nudismus im Privaten und Nudismus im Büro sind zwei Paar sehr verschiedene Schuhe», sagt die Staatsanwältin. Aus der Vorgeschichte, dem Nudismus und den Aktzeichnungen könne man nicht ableiten, dass das, was hier geschehen sei, in Ordnung war.
Die Staatsanwältin kritisiert nun das massive Honorar des Verteidigers des Beschuldigten. Dieses beläuft sich auf 50'000 Franken und sei damit um einiges höher als was sonst in einem vergleichbaren Fall zugesprochen würde. «15'000 Franken sind normal, maximal 22'500 Franken.»
Damit hat die Staatsanwaltschaft geschlossen. Es folgt eine Pause von fünf Minuten. Danach spricht der Anwalt des Beschuldigten.
Am Mittwoch steht ein Stadtsanktgaller Anwalt* vor dem Kantonsgericht. Der Mann soll sich in den Jahren 2020 und 2021 mehrmals seiner Assistentin* nackt gezeigt und im Büro seiner Kanzlei geblüttelt haben. So steht es in der entsprechenden Anklageschrift.
Mindestens elfmal sei es zu diesen nackten Tatsachen gekommen. Ein paar Mal habe er zuvor rhetorisch gefragt «ist es okay, wenn ich mich ausziehe?», um danach direkt blank zu ziehen. Jackett weg, Hemd weg, Hose weg – «eine Unterhose trug er nicht», schreibt die Staatsanwaltschaft. Die Anklage lautet auf mehrfache Ausnützung einer Notlage. Denn das Opfer war aus finanziellen Gründen auf den Job beim Blüttler-Anwalt angewiesen.
«Wenn er keine Kleider trug, war er besser gelaunt»
In der zehnseitigen Anklageschrift der Staatsanwaltschaft erfährt man, dass die damals arbeitssuchende Sekretärin gleichzeitig die Nachbarin des Beschuldigten war. 2020 bot er ihr an, in seinem Sekretariat als Assistentin zu arbeiten. Der spärliche Lohn auf 60 Prozent: 1980 Franken.
Schnell habe sie bemerkt, dass ihr neuer Chef «cholerische Ausbrüche» an den Tag legte, Menschen am Telefon «derart zusammenstauchte» und «Akten vom Tisch herunterschmiss». Die Wut habe sich auch gegen die neue Mitarbeiterin gerichtet. Sie war unerfahren und hatte noch nie in einer Anwaltskanzlei gearbeitet, so die Staatsanwaltschaft.
Eines Tages habe ihr Chef angefangen, sich im Büro auszuziehen. Die Mitarbeiterin habe «perplex» reagiert, arbeitete aber weiter. Einerseits brauchte sie das Geld, andererseits bemerkte sie, dass seine Nacktheit den aufbrausenden Chef besänftigen konnte. Oder wie die Staatsanwaltschaft es beschreibt: «Wenn er keine Kleider trug, war er besser gelaunt.» Die neue Mitarbeiterin sei «auf die Tätigkeit beim Beschuldigten angewiesen» gewesen.
Insgesamt gab es gemäss Anklage zwischen 11 und 13 solcher Vorfälle in den Jahren 2020 und 2021. Ein nacktes Schläfchen im Büro, ein nacktes Vorbeispazieren am Sekretariat, textilfreie Sitzungen. Öfter gab es auch «Masturbationsbewegungen», so die Staatsanwältin. Einmal habe sogar der Hund des Beschuldigten seinen Penis abgeleckt.
In erster Instanz Freispruch
Irgendwann reichte es der Sekretärin. Das Arbeitsverhältnis wurde aufgelöst, später zeigte sie ihren Chef an. In der Folge musste sich dieser vor zwei Jahren vor dem Kreisgericht St. Gallen verantworten.
Die Nacktheit im Büro gab der Anwalt auch teilweise zu. Er habe im Sommer und Herbst 2020 gelegentlich in den Büroräumlichkeiten ein textilfreies Mittagsschläfchen gemacht. «Da entkleide ich mich zum Teil, damit der Anzug nicht zerknittert», sagte er. Er schlafe auch zu Hause ohne Pyjama, erklärte seine Verteidigerin. Es treffe also zu, dass die Sekretärin den Anwalt im Büro nackt gesehen habe. Zudem hätten die beiden auch sonst über Nacktheit und Nudismus gesprochen.
Das Gericht sprach den Anwalt im Juni 2023 erstinstanzlich frei. Eine Notlage sei nicht ausgenutzt worden. Gemäss Strafgesetzbuch gehört zum Ausnützen einer Notlage, dass der Beschuldigte das Opfer veranlasst, eine sexuelle Handlung vorzunehmen oder zu dulden, indem er eine Abhängigkeit ausnützt. Für das Gericht waren die Entblössungen keine sexuellen Handlungen, die nur aufgrund des Abhängigkeitsverhältnisses geduldet wurden.
Die Staatsanwaltschaft war mit diesem Urteil nicht zufrieden. Die damalige Sekretärin schloss sich im Schuldpunkt der Staatsanwaltschaft an. Jetzt muss das Kantonsgericht entscheiden, ob der Anwalt sich mit seiner Nacktheit strafbar gemacht hat. Die Staatsanwältin fordert eine bedingte Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten und eine Geldstrafe von 12'600 Franken.
Zivilrechtliche Konsequenzen
Obwohl der Blüttler-Anwalt vor dem Strafgericht wegen seiner Nacktheit freigesprochen wurde, hatte die Sache zivilrechtlich dennoch Konsequenzen.
Auf dem Zivilweg musste er im Oktober vergangenen Jahres wegen Verstosses gegen das Gleichstellungsgesetz, sprich sexuelle Belästigung, eine Niederlage einstecken. Der Einzelrichter des Kreisgerichtes St. Gallen veranlasste, dass der Anwalt seiner Ex-Sekretärin über 13'000 Franken bezahlen musste. Der Blüttel-Anwalt ging aber in Berufung und sagte damals gegenüber Blick: «Wenn es sein muss, gehen wir bis ans Bundesgericht.»
Auf Anfrage von Blick wollten sich beide Parteien nicht zum Berufungsprozess äussern. Es gilt in allen Punkten die Unschuldsvermutung. Die Verhandlung am Kantonsgericht St. Gallen beginnt um 8.30 Uhr. Blick berichtet live.
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