Darum gehts
- Glarner Landsgemeinde entscheidet über Bildungsgutschriften für Privatschulen
- Vorstoss zielt auf mehr Wahlfreiheit im Bildungssystem ab
- Nur wenige Kinder besuchen derzeit eine Privatschule im Kanton Glarus
Die Glarnerinnen und Glarner haben in der Vergangenheit immer wieder für Überraschungen gesorgt. Etwa, als sie das Stimmrechtsalter 16 annahmen. Oder die Gemeindereform, bei der 25 Gemeinden zu drei fusioniert wurden.
Auch diesen Sonntag entscheidet die Landsgemeinde über einen brisanten Vorstoss: die Schaffung von Bildungsgutschriften. Würde der Vorstoss angenommen, wäre das ein Novum in der Schweiz.
Antrag von Privatschulgründer
Die Idee: Bildungsgutschriften sollen es Eltern ermöglichen, ihre Kinder auf eine Privatschule zu schicken. Der Kanton soll einen finanziellen Beitrag leisten, der den durchschnittlichen Kosten entspricht, die für ein Kind an einer öffentlichen Schule entstehen. Im Kanton Glarus sind das rund 15'000 Franken.
Der Antrag stammt von Nils Landolt (36), der zusammen mit seiner Frau vor rund vier Jahren eine Privatschule in Mollis GL gegründet hat. Für Landolt ist klar: «Kinder entwickeln sich unterschiedlich. Einige brauchen mehr Unterstützung, andere mehr Freiraum.» Dieses individuelle Entwicklungstempo werde im heutigen Schulsystem zu wenig berücksichtigt. Zwar gebe es Bemühungen zur Differenzierung, aber: «Wer ausschert, fällt oft durchs Raster.» Hier könnten Privatschulen Abhilfe schaffen.
Mehr Wahlfreiheit
Auch Patricia Schafer (31) von der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse fordert mehr Wahlfreiheit im Schweizer Bildungssystem. «Wer sich heute eine andere Schulform wünscht, muss den Wohnort wechseln oder viel Geld für eine Privatschule aufbringen – das steht nur wenigen offen.» Bildungsgutschriften könnten laut Schafer mehr Transparenz schaffen, stärkeren Wettbewerb ermöglichen und dazu führen, dass sich Schulen – auch öffentliche – weiterentwickeln.
Anders sieht dies Erziehungswissenschaftlerin Katharina Maag Merki (61), Professorin an der Universität Zürich. Sie warnt davor, öffentliche Mittel für Bildungsgutscheine einzusetzen. «Es gibt keine empirischen Hinweise, dass dadurch das Bildungssystem besser wird.» Vielmehr würden öffentliche Mittel abgezogen und Chancenungleichheiten verstärkt – vor allem für Kinder aus sozioökonomisch schwächeren Familien.
Denn: Bildungsgutscheine würden vor allem privilegierten Familien nützen, da manche Privatschulen so teuer seien, dass man selbst mit finanzieller Hilfe erheblich mehr zahlen müsste. «Das Ziel muss sein, alle Kinder im öffentlichen System individuell zu fördern – nicht, dieses durch Umverteilung zu schwächen.»
Auch Regierungs- und Landrat lehnen den Vorstoss ab. Ihre Begründung: Der Kanton verfüge über gute öffentliche Schulen, nur wenige Kinder besuchten derzeit eine Privatschule – ein breites Bedürfnis sei nicht erkennbar. Und: Das Vorhaben wäre zu teuer.
Schwächung oder Chance für Volksschule?
Für Landolt wäre die Einführung von Bildungsgutschriften keine Kampfansage an die Volksschule. Im Gegenteil: «Sie könnten eine Entlastung für das jetzige Schulsystem sein.» Etwa, indem Privatschulen für Kinder offenstehen würden, die auf ein Sonderschulsetting angewiesen sind.
Klar ist: Bildungsgutscheine haben in der Schweiz einen schweren Stand. In der Vergangenheit wurden ähnliche Vorstösse – zum Beispiel im Kanton Zürich 2012 – mit grosser Mehrheit abgelehnt. Das erklärt Schafer mit der tief verankerten Rolle der Volksschule: «Sie ist Teil unserer gesellschaftlichen Identität – nicht nur Bildungsstätte, sondern auch Ort sozialer Durchmischung.» Gerade deshalb sei eine sorgfältige Ausgestaltung dieser Gutscheine wichtig, etwa mit Blick auf soziale Gerechtigkeit.
Schafer sieht im Glarner Vorstoss eine Chance: «Föderalismus heisst auch, neue Modelle ausprobieren zu dürfen. Glarus könnte als Labor für eine Weiterentwicklung des Bildungssystems dienen.»