Blick-Reporterin Helena Graf verfolgt Prozess in Brugg AG
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Schwere Vorwürfe gegen Eltern:Blick-Reporterin Helena Graf verfolgt Prozess in Brugg AG

Versuchte Tötung, sexuelle Handlungen – heftige Vorwürfe gegen Aargauer Eltern
Ermittler stellen Gewaltvideos auf dem Handy des Vaters sicher

Schwere Vorwürfe gegen ein Elternpaar im Aargau: Neben versuchter Tötung und Körperverletzung an einem Kleinkind werden ihnen auch sexuelle Übergriffe bei ihrem älteren Kind vorgeworfen. Der dreitägige Prozess beginnt am Montag in Brugg.
Publiziert: 05.05.2025 um 07:00 Uhr
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Aktualisiert: 05.05.2025 um 21:52 Uhr
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Der angeklagte Vater betritt das Brugger Gerichtsgebäude.
Foto: Philippe Rossier

Darum gehts

  • Elternteil soll Kleinkind geschüttelt haben. Nun ist es schwerstbehindert
  • Sexuelle Handlungen mit Kindern und Pornografie werden beiden Eltern vorgeworfen
  • Staatsanwaltschaft fordert für einen Beschuldigten 18 Jahre Haft, für anderen 20 Monate bedingt
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Helena GrafReporterin
05.05.2025, 18:02 Uhr

Die wichtigsten Erkenntnisse des ersten Tages

Am ersten Prozesstag standen die Verletzungen des jüngeren Geschwisters im Vordergrund. Sein Vater soll es über mehrere Monate hinweg misshandelt haben.

Am Morgen erläuterte der rechtsmedizinische Gutachter die Verletzungen des Babys. Es hatte Knochenbrüche in sämtlichen Körperteilen: Arme, Beine, Brustkorb, Schädel, Hände und Füsse, die zu unterschiedlichen Zeiten passiert sein sollen.

Der Gerichtsmediziner stellte klar, dass bei dem verletzten Kind keine Vorerkrankungen bekannt seien, die seine Knochen besonders brüchig machen würden. «Die Knochen von Säuglingen sind elastisch. Man muss gewaltsam biegen oder rotieren, um sie zu brechen», erklärte er.

Verletzungen, die sich der Beschuldigte nicht erklären kann. Vorab hat er Szenen nachgespielt, bei denen er sein Kind verletzt haben könnte. Die Videos werden im Gericht gezeigt. Fabian P. spricht von «wippen» statt «schütteln», beteuert, er habe keine Kraft angewendet. «Ich wollte meinem Kind niemals weh tun!»

Die schlimmen Verletzungen bleiben entsprechend ein Mysterium. Wichtig wird sein, welche Beweise für die mutmassliche Gewalt des Vaters die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer am morgigen Dienstag vorlegen wird.

05.05.2025, 17:40 Uhr

Erster Prozesstag beendet

Der Gerichtspräsident schliesst die Befragung des Beschuldigten und beendet den ersten Prozesstag. Am Dienstagmorgen geht es um 8.15 Uhr weiter.

05.05.2025, 17:19 Uhr

Verschweigt Fabian P. etwas?

Der Gerichtspräsident erklärt, er habe sich alle Videos der Einvernahmen angeschaut und ihn auch heute genaustens beobachtet. «Ich hatte damals wie heute das Gefühl, dass Ihnen etwas auf der Leber liegt. Jetzt haben Sie die Gelegenheit, darüber zu sprechen», sagt er. Fabian P. antwortet: «Ich komme einfach mit dieser Situation jetzt nicht klar.»

Das ältere Kind wohnt weiterhin beim Ehepaar P. Das jüngere Kind wird in einer Einrichtung betreut. «Ich besuche ihn dreimal pro Woche», erzählt der Vater. Die familiäre Situation sei belastend, sagt er, wieder den Tränen nahe.

05.05.2025, 17:08 Uhr

Fabian P. streitet sexuelle Handlungen ab

Neben den Misshandlungen des zweiten Kindes wird dem Vater mehrfache Pornografie und sexuelle Handlungen mit Minderjährigen vorgeworfen. 

So filmte er sein älteres Kind, wie es nackt auf seiner Frau, auf ihrem Gesicht, herumturnte. «Da war nichts Sexuelles dahinter», beteuert der Vater.

In einem zweiten Video liegt das Kind auf dem Bauch, am Po ist laut Anklageschrift ein Spielzeug angebracht. «Ich habe es nicht dahin getan», sagt Fabian P.

Er könne sich nicht vorstellen, dass jemand etwas Sexuelles in die Videos hineininterpretieren könnte: «Das ist doch nur Schabernack.»

05.05.2025, 16:57 Uhr

Gewalt aus Überforderung?

Fabian P. räumt ein, er sei nach der Geburt seines jüngeren Kindes erschöpft und überlastet gewesen. Sein Arm habe dauerhaft geschmerzt, weil er ihn zuvor gebrochen hatte. Er habe beim Trading online Geld verloren, sich finanziell unter Druck gefühlt.

Manchmal habe er Aussetzer gehabt, sei wütend geworden. «Aber nicht auf mein Kind», beteuert der Angeklagte. 

Der Richter fragt ihn nach Gewaltvideos, etwa von Amokläufen oder Exekutionen, die auf seinem Handy nachgewiesen wurden. «Ich habe das einfach aus Neugier angesehen, weil ich wissen wollte, was genau passiert ist», erklärt P.

05.05.2025, 16:41 Uhr

So liefen die Ermittlungen gegen Fabian P. ab

Aus den Fragen des Gesichtspräsidenten setzt sich langsam der Ablauf der Ermittlungen zusammen. Vier Tage, nachdem Fabian P.s Baby schwer verletzt ins Spital gekommen war, wurde der Vater festgenommen. Er verbringt dann zwei Monate in Untersuchungshaft. 

Dort entstehen einige der nachgestellten Videos, die zeigen sollen, wie die zahlreichen Knochenbrüche zustande gekommen sind.

Beschuldigter abgehört

Kurz vor Weihnachten 2022 kommt Fabian P. frei. Die Ermittler zeichnen ein Gespräch zwischen ihm und seinem Vater auf. Auch aus diesem Gespräch zitiert der Gerichtspräsident regelmässig.

Es gibt mehrere Hausdurchsuchungen und Einvernahmen. Fabian P. informiert sich über Google zu Verletzungen, die an seinem Baby festgestellt wurden. 

Weitere Videos erstellt

Er erstellt auf eigene Faust weitere nachgestellte Videos. Sie sollen suggerieren, dass das ältere Geschwister auf dem Bett herumgesprungen sei, während das Baby dort lag und auf und ab geschleudert wurde. Auch diese Videos werden vor Gericht gezeigt.

Das gerichtsmedizinische Gutachten lässt an den Aussagen des Vaters zweifeln. Die Verletzungen passen teils nicht zu den beschriebenen Szenen. Besonders der Sturz, den Fabian P. als Hauptursache für die Kopfverletzungen beschreibt, ist demnach nicht glaubwürdig.

Alternatives Gutachten

Als Alternative zum rechtsmedizinischen Gutachten schreibt Fabian P. mehrere Experten in Schweden an. Einer erklärt sich bereit, ein eigenes Gutachten zu erstellen. Dieses stützt die Sturz-These.

05.05.2025, 16:20 Uhr

Schwedischer Experte soll Sturz-These stützen

Fabian P. suchte auf eigene Faust einen Gutachter, der seine These mit dem Sturz stützen konnte. Er schrieb mehrere Experten in Schweden an. Ein Arzt habe sich bereit erklärt, ein Gutachten zu erstellen.

Als Grundlage dafür habe er dem Experten Videos geschickt, die er zu Hause nachgestellt habe. Darunter etwa die mutmassliche Sturz-Szene. 

Den Experten hat Fabian P. erst kurzfristig aufbieten können. Das Gutachten stammt von Anfang Mai 2025. Es schlussfolgert, die Verletzungen des Babys könnten von einem Sturz kommen.

05.05.2025, 16:09 Uhr

Fabian P. spielte Situationen mit älterem Kind nach

Nach dem Vorfall im Oktober 2022, bei dem das Baby schwer verletzt wurde, stellte der angeklagte Familienvater die Situationen mit seinem älteren Kind nach. In einer früheren Einvernahme hatte er davon erzählt. Er habe nach Antworten gesucht und deshalb dasselbe mit dem älteren Kind probiert, nur ein bisschen «fester», weil es ja grösser sei als das Baby.

Der Gerichtspräsident zeigt sich irritiert, fragt: «Wieso haben Sie das getan, nachdem Sie doch erlebt haben, wie ihr jüngeres Kind dabei verletzt wurde?» Der Beschuldigte sagt: «Das war alles absolut sicher!»

05.05.2025, 16:03 Uhr

Es geht weiter

Die Pause ist beendet. Der Gerichtspräsident fährt mit der Befragung fort.

05.05.2025, 15:30 Uhr

Pause bis um 16 Uhr

Der Gerichtspräsident unterbricht die Verhandlung bis 16 Uhr.

Ein Kleinkind kommt bewusstlos ins Kantonsspital Baden AG. Ein Elternteil soll es dermassen fest geschüttelt und gegen eine Matratze gedrückt haben, dass die Ärzte es nun beatmen müssen. Das Kind überlebt. Doch als es aufwacht, ist es schwerstbehindert.

Im Spital fallen den Ärzten weitere Verletzungen auf, ein gebrochenes Schienbein, zum Beispiel. Die Eltern behaupten, das ältere Geschwister sei schuld. Die Verletzungen seien beim Spielen passiert. Eine Ermittlung wird eingeleitet, und bald stellt sich heraus: Die Misshandlung des Kleinkinds ist nur eine von mehreren Gräueltaten, die die Eltern begangen haben sollen.

Beide Elternteile angeklagt

Nur so viel ist bekannt über den Fall von mutmasslicher schwerer Kindesmisshandlung, den das Bezirksgericht Brugg AG ab Montag verhandelt. Die Medienstelle der Gerichte Aargau bestätigt einen entsprechenden Bericht von Tele M1 gegenüber Blick.

Angeklagt sind laut Gerichtsakten beide Elternteile. Der eine Elternteil soll das Kleinkind beinahe zu Tode geschüttelt und weitere Körperverletzungen begangen haben.

Vorwurf: älteres Kind sexuell misshandelt

Beiden Elternteilen werden zudem sexuelle Handlungen mit Kindern und Pornografie vorgeworfen. Davon sei das ältere Geschwister betroffen, teilt die Gerichtsmedienstelle auf Anfrage von Blick mit.

Die den Eltern vorgeworfenen Gräueltaten lassen sich aus der Liste der angeklagten Straftatbestände erahnen: versuchte vorsätzliche Tötung, versuchte schwere Körperverletzung, mehrfache, einfache Körperverletzung, Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht und die genannten Sexualdelikte im Fall des ersten Beschuldigten. Letztere zwei Punkte (Fürsorge und Erziehung sowie Sexualdelikte) betreffen auch den anderen beschuldigten Elternteil.

Annegret Lautenbach, Kinderanwältin und Co-Präsidentin von Kinderanwaltschaft Schweiz.
Foto: Peyer Partner

Annegret Lautenbach ist Co-Präsidentin des Vereins Kinderanwaltschaft Schweiz und hat schon zahlreiche Kinder in ähnlichen Prozessen vertreten. «Oft übernimmt ein Elternteil beim Missbrauch den Lead», erzählt die Anwältin Blick. «Der andere macht mit oder schaut zu, was ebenfalls bestraft werden kann.»

18 Jahre Haft gefordert

Im vorliegenden Fall fordert die Staatsanwaltschaft für den ersten beschuldigten Elternteil 18 Jahre Haft, für den zweiten lediglich 20 Monate bedingt. Die Verteidiger der zwei Angeklagten wollten sich auf Anfrage von Blick nicht zu den Vorwürfen äussern.

Relevant für den Ausgang des Prozesses wird sein, ob sich die Eltern gegenseitig schützen: «Wenn der Elternteil, der mitgemacht oder zugeschaut hat, auspackt, wird das oft als glaubwürdig gewertet. Weil den anderen zu beschuldigen gleichzeitig auch heisst, sich selbst zu belasten», so Lautenbach.

Gewalt in der Familie ist grundsätzlich aber schwierig nachzuweisen. Oft findet sie hinter verschlossenen Türen statt. Gegen die Eltern auszusagen, kann für ein Kind traumatisierend sein. Wenn es denn überhaupt alt genug ist, um zu beschreiben, was ihm widerfahren ist. Und so passieren viele Kindesmisshandlungen im Verborgenen.

Kind wegen Haft der Eltern traumatisiert

Im vorliegenden Fall kann das jüngere Kind wegen seines Alters und der schweren Behinderung nicht aussagen. Auch das ältere Kind werde am Prozess nicht befragt, heisst es in den Gerichtsunterlagen. Es sei durch die plötzliche Trennung von seinen Eltern schwer traumatisiert.

Annegret Lautenbach erlebt immer wieder, wie sehr Kinder unter einem Verfahren gegen die eigenen Eltern leiden. «Natürlich muss man ein Kind vor den Misshandlungen durch die Eltern schützen und diese bestrafen», betont die Anwältin. «Doch man darf nicht vergessen, dass die strafrechtliche Verurteilung der Eltern den meisten Kindern nichts bringt.»

Der Prozess gegen die Eltern startet am Montagmorgen um 8.15 Uhr vor dem Bezirksgericht Brugg AG und ist auf drei Tage angesetzt. Blick ist vor Ort und tickert live aus dem Gerichtssaal.

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