Kultschauspieler Walter Andreas Müller
«Heute ist alles nur noch Stand-up-Comedy»

Am Mittwoch wird er achtzig. Und schon seit langem ist er eine Institution der Schweizer Bühne: Blick sprach mit «WAM» über die Verluderung der Sprache, über die Sexismus-Kritik an einem Zirkusclown und das allzu passive SRF-Fernsehen.
Publiziert: 31.08.2025 um 18:12 Uhr
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Aktualisiert: 31.08.2025 um 18:25 Uhr
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«Das ist absurd!» WAM über die Sexismus-Kritk am Clown des Circus Knie.
Foto: Sarah Ley Fotografie
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Lassen Sie uns mit einem Test beginnen.
Mit einem Test?

Wissen Sie, was es bedeutet, wenn jemand zu Ihnen sagt «Chill sie, Bro»?
Tschilli? Chilli? Oder chillen? Chillen kenne ich.

Gut! Das ist der Aufruf, es locker zu nehmen. Wissen Sie, was «cringe» heisst?
Grinsch?

C-R-I-N-G-E. Cringe.
Nein.

Damit ist so etwas wie peinlich gemeint. Vor allem im Zusammenhang mit dem Verhalten von «Boomern».
Diese Jugendsprache überfordert mich. Bei mir hört es irgendwo bei «woke» und solchen Ausdrücken auf. Ich habe letztens einen Artikel über solche Wörter gelesen. Und dachte mir: Mein Gott, das versteht doch kein Mensch mehr, oder?

Ich habe in Ihre Globi-Hörspiele reingehört. Dort verwenden Sie Ausdrücke wie «bäumig», «Burscht», «nüt für unguet» …
... oder «Lago mio!».

Und wenn Globi mit dem Seeräuberkapitän kämpft, heisst es: «Eimal Zwätschge, zweimal Zwätschge, drüümal Zwätschge». Sie sind eine Art Tresor unserer Sprache, Sie hüten einen Wortschatz.
Bis zu einem gewissen Grad ist das mein Anliegen. Ich versuche immer, einen wichtigen Teil dieser Ausdrücke zu bewahren – ohne puristisch oder missionarisch zu sein. Es gibt aber auch Wörter, die ich mittlerweile vermeide, weil die Jungen sie gar nicht mehr verstehen.

Zum Beispiel?
Alfred Bruggmann, der früher diese Texte geschrieben hat, hat beim Globi von der «tötzlete Hose» geschrieben. Wissen Sie, was das ist?

Nein.
Das sind «ghüüsleti Hose» ...

Karierte Hosen.
Ich spreche auch nicht mehr von Nidel, sondern von Rahm. Und von Butter statt Anken. Sprachlich nehme ich es genau. Wie heisst schon wieder der Kinderumzug im Herbst mit den Laternen?

Sie meinen den Räbeliechtli-Umzug.
Eben nicht! Sondern Räbeliechtli (Müller betont das ä wie bei Esel, nicht wie bei Ärmel.) Die Räbe ist ja die Traube. Ich will nicht Kinder erziehen, aber ich möchte, dass gewisse Dinge erhalten bleiben.

Da haben sie einen schwierigen Job – Ihre Gegner sind Tiktok, Snapchat und Instagram … kommuniziert wird mit Textschnipseln und Kurzvideos.
Und mit Emojis. Kinder haben immer mehr Mühe mit der Orthografie. Ich bekomme SMS, bei denen mir die Haare zu Berge stehen. Ein junger Kollege schrieb mir mal: «Bisch mit em Cabrio unterwegs?» Er schrieb aber Caprio. Ich antwortete ihm: Ich bin nicht auf Capri.

Zur Ehrenrettung der Jungen sollten wir aber auch erwähnen: Die neue Generation auf der Bühne geht unglaublich virtuos mit der Sprache um.
Absolut! Als Parodist ist mir die Musikalität enorm wichtig. Das hilft mir dabei, einen Dialekt zu lernen. Es gibt Schauspieler, die keinen Dialekt imitieren. Die sprechen vielleicht Züritüütsch und schaffen es, ein einigermassen gutes Bühnendeutsch zu sprechen. Aber beim St. Galler Dialekt oder Baseldytsch oder Bärndütsch hört es für sie auf. Weil es an Musikgehör fehlt.

Ist die Musikalität Ihr Schlüssel, um Politiker zu imitieren?
Am wichtigsten ist die Begabung. Ich habe das Talent geschenkt bekommen, genau wie Birgit Steinegger. Natürlich habe ich an diesen Dialekten gearbeitet, musste aber auch feststellen, dass es Dialekte gibt, die ich nicht kann. Etwa den Innerschweizer. Ein Rätsel ist mir das Walliserdeutsch ...

Eine Art konserviertes Althochdeutsch – die Sprache Barbarossas.
Es ist eine hohe Hürde, das Walliserdeutsch zu lernen, ich weiss nicht, wieso ich das so gut kann (WAM gibt ein paar Muster in tadellosem Walliserdeutsch zum Besten).

Scheitern Sie wie bei Dialekten auch an manchen Politikern?
Absolut. Den ehemaligen FDP-Präsidenten Franz Steinegger konnte ich nicht parodieren, nicht zuletzt wegen seines Urner Dialekts. Mit Adolf Ogi hatte ich Probleme, weil er Berner Oberländer ist. Das ist auch wieder schwierig. Und Ogi kommt mir von der Physiognomie her nicht entgegen.

Auf der anderen Seite hatten Sie Ihre Steckenpferde …
Ich kann natürlich sofort in den Moritz Leuenberger einsteigen. Und Christoph Blocher ist meine Lieblingsfigur.

Wieso?
Aus einem einfachen Grund: Blocher kommt mir physiognomisch am nächsten. Auch Flavio Cotti war als Figur sehr dankbar, nicht zuletzt der Sprache wegen.

Sie hatten stets ein gutes Verhältnis zu denen, die Sie imitierten. Sind die Empfindlichkeiten heute anders?
Ich stelle einen höheren Empfindlichkeitsgrad fest. Die Latte des Beleidigtseins liegt mittlerweile schon viel tiefer. Aber in der Schweiz waren wir sowieso immer braver als die englischen und amerikanischen Comedians. Die Schweizer sind enorm schnell beleidigt und fühlen sich angegriffen. Es gab einmal eine Nachrichtensprecherin, die damals meine Kollegin Birgit Steinegger verklagen wollte, weil die sie in einem Sketch im Fernsehen imitiert hatte. Solche Leute checken gar nicht, dass es eine Ehre ist, wenn man parodiert wird.

Heute kommen noch andere Befindlichkeiten dazu. Im Circus Knie versucht der tollpatschige Clown Chistirrin, einer attraktiven Zirkusdame den Hof zu machen, natürlich erfolglos. Die Aktivistin Agota Lavoyer wirft ihm nun die Verharmlosung sexualisierter Gewalt vor.
Das ist absurd! Haben wir keine anderen Probleme? Man muss die Nummer nicht lustig finden. Aber wenn der Clown im Zirkus einem Glatzkopf über die Glatze streichelt oder sich einer Dame auf den Schoss setzt, hat das nie und nimmer eine sexuelle Komponente. Ich finde diese Entwicklung beunruhigend.

Weshalb?
Wenn ich jetzt Ihre Hand berühre, könnten Sie sagen: «Der hat mich angefasst!» Ich hätte keine Argumente dagegen. Ich könnte ja nicht beweisen, dass das nicht sexuell gemeint war. Wo soll das hinführen? Bei solchen Debatten verstehe ich die Welt nicht mehr. Heute ist Entertainment ein Drahtseilakt. Die Gefahr, links oder rechts hinunterzufallen, ist enorm gross.

Sie beneiden Ihre jungen Kollegen nicht?
Nein! Aber nicht nur deshalb. Als ich angefangen habe, hatten wir es einfacher – wobei wir auch kämpfen mussten, aber anders.

Wen hatten Sie da auf Ihrer Seite?
Ruedi Walter, Margrit Rainer, Inigo Gallo, Ines Torelli und wie sie alle hiessen. Also die ganz grossen Namen: Das war ein Clan, der zusammenhielt. Die machten zu einer Zeit Theater, Fernsehen und Film, als es nichts anderes gab als den Landessender Beromünster, das Schweizer Fernsehen und vielleicht noch einen deutschen Sender. Damals war es relativ einfach, berühmt zu werden. Als ich mit Ursula Schaeppi, Birgit Steinegger und anderen dazustiess, mussten wir uns behaupten, um da reinzukommen. Das war wie eine Mauer. Wir durften vielleicht mal in einem Hörspiel drei, vier Sätze sagen, mehr nicht. Bei mir fiel der Groschen erst, als ich Hans Gmür kennenlernte, der mich für eine Satire-Sendung am Samstagmittag im Radio verpflichtete. Dann ging es los. Bald spielte ich in «Der kleinen Niederdorfoper» den 18-jährigen Jüngling – mit 35 Jahren!

Da haben es die jungen Künstlerinnen und Künstler heute leichter.
Wenn ich sehe, was es alles für Fernsehsendungen und Onlinekanäle gibt, Programme, wo du überall Comedy machen kannst. Jeder kann in einem Club auf die Bühne stehen und kriegt ein paar Minuten. Bei dieser Vielfalt herauszustechen, ist allerdings ungleich schwerer als damals.

Als Sprungbrett bleiben immer noch Radio und Fernsehen.
Das SRF macht wenig. Wobei ich Verständnis dafür habe, dass es sparen muss. Als ich damals Bundesrat Hans Rudolf Merz imitierte, sass ich zwei Stunden in der Maske. Heute ist alles nur noch Stand-up-Comedy: Ein Typ mit einem Zettel und einem Mikrofon auf der Bühne. Das kostet in der Produktion viel weniger. Wieso SRF aber nicht öfter aufzeichnet, bleibt mir schleierhaft. Die «Trittligass» von Christian Jott Jenny 2023 zum Beispiel war ein riesiger Erfolg. Aufgezeichnet hat es Tele Züri. Als kurz danach leider unser Kollege Jürg Randegger verstarb, ging das richtig ab. Wo war SRF?

Sie proben jetzt «Dinner for WAM», das an Ihrem 80. Geburtstag im Casinotheater Winterthur Premiere feiert.
Sie wollen mich fragen, ob das meine Abschiedsnummer ist!

Erraten.
Als mich das Casinotheater anfragte, dachte ich, dass das mein Abschied werden könnte. Dann meldeten sich die Produzenten des Stücks «Der Tag, an dem der Papst gekidnappt wurde», das ich 200 Mal gespielt habe. Im Winter führen wir es wieder auf.

Sie sind gleich alt wie der US-Präsident. So gesehen, gibt es keinen Grund, aufzuhören.
Solange die Gesundheit mitmacht! Ich hatte schon zwei Lungenentzündungen. Im Juni, zum Zeitpunkt der ersten Probe für das Casinotheater, fing ich plötzlich wieder an zu husten und dachte: Das kann ich nicht mehr. Ich konnte kaum mehr sprechen und hatte eine ganz feine Stimme.

Für Moritz Leuenberger hätte es sicher gereicht.
Meine Ärztin hat mir geholfen, fit zu werden. Jetzt freue ich mich auf die Premiere! Irgendwann möchte ich dann aber reisen – und chillen.

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