«Es ist rückständig, dass es in der Schweiz nicht legal ist»
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Baby um jeden Preis
So teuer ist die künstliche Befruchtung in der Schweiz

Verzweifelte Paare geben sehr viel Geld für ihren Kinderwunsch aus – ohne Erfolgsgarantie. Die künstliche Befruchtung ist ein undurchsichtiges Business.
Publiziert: 16.05.2025 um 10:52 Uhr
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Aktualisiert: 16.05.2025 um 11:43 Uhr
Das Geschäft mit der Hoffnung floriert.
Foto: Shutterstock

Darum gehts

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Charlotte Theile
Beobachter

An ihren ersten Versuch, mit künstlicher Befruchtung schwanger zu werden, erinnert sich Christina Schmid, die in Wirklichkeit anders heisst, noch genau. Im Sommer 2024, sie war damals 37 Jahre alt, setzte sie sich die erste Hormonspritze, ein Präparat namens Ovaleap. Doch nach ein paar Tagen merkte sie, dass sie die Spritze nicht richtig bedient hatte. Die Hormondosis war zu niedrig, um eine Vielzahl von Eizellen reifen zu lassen. Diese werden für die In-vitro-Fertilisation (IVF) benötigt.

Ihre Klinik in Zürich ging mit diesem Fehler relativ locker um. «Eine Ärztin sagte mir, das sei nicht so schlimm. Ein anderer dachte darüber nach, den Versuch abzubrechen», erzählt Schmid dem Beobachter. In den folgenden Tagen sass sie jedes Mal einer anderen Fachperson gegenüber. Die Ultraschallüberprüfungen und Bluttests sahen nicht besonders gut aus, nur wenige Eizellen reiften heran. Ein paar Tage später war klar: Keine der Eizellen war befruchtet worden.

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Rechnungen von mehr als 6500 Franken

Für Christina Schmid und ihren Partner war das eine Katastrophe. Sie hatten eine Pauschale von 6500 Franken für den Versuch gezahlt. Die waren nun weg. Und nicht nur das. Zwei Wochen später erhielt Schmid nochmals eine Rechnung. Für ein paar Hundert Franken Zusatzkosten. «Ich habe in der Klinik angerufen und mich beschwert», erinnert sich Schmid.

6513 Frauen waren 2023 in einer der 27 Kinderwunschkliniken der Schweiz in Behandlung. Einige in den unspektakulären Räumlichkeiten eines Unispitals, viele andere in Hochglanzpraxen mit teurem Eichenparkett und cremeweissen Couchgarnituren. Sie alle wissen, dass viel Geld fällig wird – unabhängig davon, ob sie am Ende schwanger sind. Und das werden längst nicht alle. 2023 wurden 2511 Kinderwunschbabys geboren.

In der Schweiz müssen Paare alles selber zahlen

Anders als in den meisten europäischen Ländern müssen diese Paare fast alle Leistungen privat finanzieren. In Deutschland zahlen die Krankenkassen unter bestimmten Bedingungen die Hälfte, in Frankreich werden sogar alle Behandlungen von Frauen unter 43 von den Krankenkassen erstattet.

In der Schweiz dagegen stehen die Paare ganz allein da. Das bedeutet auch: 30 Prozent der Frauen und Männer mit Kinderwunsch können sich künstliche Befruchtung nicht leisten. Kinder sind für viele also schon eine Geldfrage, lange bevor die Kita-Rechnungen anfallen.

Dazu kommt: Die Ausgaben, die Christina Schmid hatte, sind im Vergleich sogar moderat – manche Kliniken in Zürich berechnen für die gleiche Leistung etwa 2000 Franken mehr. Und viele Zentren veröffentlichen nur ungefähre Daten. Da heisst es dann zum Beispiel, eine In-vitro-Fertilisation könne zwischen 5000 und 9000 Franken kosten. Genauere Informationen erhält häufig nur, wer bereits beim Beratungsgespräch in der Praxis sitzt.

Auch Elisa Maier erinnert sich noch an dieses erste Gespräch. Die Klinik war ihnen empfohlen worden, die Ärztin, die sie betreute, sympathisch. Über Geld wurde lange gar nicht gesprochen, zumindest nicht konkret. «Ungefähr 10’000 Franken» würden alles in allem anfallen, hiess es irgendwann.

Anders als bei Christina Schmid war bei Maier eine sogenannte intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) notwendig – eine nochmals teurere Behandlung, die bei schwerer männlicher Unfruchtbarkeit zum Einsatz kommt. «Wir haben gewusst, dass das eine eher hohe Summe ist», erzählt Maier dem Beobachter.

Intensive Behandlung mit zahlreichen Terminen

Warum haben sie sich trotzdem dafür entschieden? «Je weiter wir von Zürich weggegangen wären, desto günstiger wäre es vermutlich geworden», sagt sie. «Aber so richtig klar war uns das nicht. Dazu kommt: Die Behandlung ist sehr intensiv. Vor der Punktion hatte ich mehrere Check-up-Termine in der Woche. Wenn ich dafür jeweils hätte reisen müssen, hätte mich das noch mehr gestresst.»

Trotzdem ärgert sie sich heute, damals nicht genug recherchiert zu haben. «Wir haben unterdessen vier Embryotransfers hinter uns. Da machen 1000 oder 2000 Franken Unterschied pro Versuch schon viel aus.»

Michael Häberle bestätigt, was Patientinnen wie Schmid oder Maier beschreiben: «Der Markt ist komplett unreguliert», erklärt der Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin (SGRM), der in der Zürcher Klinik Gyn Art jedes Jahr Hunderte Paare betreut. «Jedes Zentrum legt seine Preise selbst fest. Für die Paare ist oft nicht ersichtlich, wie die Preise zustande kommen und welche Erfolgsquoten dahinterstehen.»

Was er Menschen raten würde, die sich in diesem Dschungel zurechtfinden müssen? Häberle empfiehlt den Paaren, verschiedene Kliniken per Mail anzuschreiben und nach Kosten und Erfolgsquote zu fragen – dann fällt ihm ein, dass seine eigene Klinik diese Fragen vermutlich nicht beantworten könnte. «Und ich selbst kenne die Zahlen meiner Mitbewerber auch nicht», sagt er zum Beobachter. Ausserdem seien Erfolgsraten und Kosten individuell sehr verschieden.

Kosten werden oft erst nicht hinterfragt

Und überhaupt: «So richtig teuer werden Kinder erst nach Geburt», sagt Michael Häberle mit einem Lachen. Es ist ein Satz, den er schon viele Male gesagt hat. Und der natürlich stimmt. Man kann ihn aber auch so interpretieren: Kinder sind ein so emotionales und kostspieliges Unterfangen – da fragt sich kaum jemand, ob man eine entsprechende Behandlung auch anderswo hätte günstiger haben können.

«Es gibt viele Entwicklungen in diesem Markt, die wir genau beobachten», sagt Lena Feusi, Praxismanagerin des Kinderwunschzentrums in Baden AG. Die Klinik, für die sie arbeitet, behandelt seit 40 Jahren Paare, die ungewollt kinderlos sind. Jeder Fall werde individuell beurteilt. Die langjährige Erfahrung zeige aber: «Mit höherem Übergewicht und zunehmendem Alter sinkt die Wahrscheinlichkeit eines Behandlungserfolgs.»

Und wenn die Chancen zu gering seien «oder die gesundheitlichen Risiken für die Frau und das Kind zu hoch», verzichte man auf eine Behandlung. Anders gesagt: Wer bestimmte Parameter nicht erfüllt, wird in Baden nicht behandelt, sagt sie dem Beobachter.

Zweifelhafte Google-Rezensionen

Das ist bisweilen schlecht fürs Geschäft. Schliesslich lässt sich mit Patientinnen und Patienten, die besonders kompliziert sind, auch besonders viel Geld verdienen. Und wer wegen seines Alters oder seines Übergewichts in Baden abgewiesen wurde und dann anderswo schwanger wird, hinterlässt gern mal eine böse Google-Rezension. Oft mit dem bitteren Zusatz: «Wenn ich auf euch gehört hätte, gäbe es meine Tochter nicht.» Lena Feusi sagt trotzdem: «Wir verlassen uns auf unsere eigenen Einschätzungen, Erfahrungen und Prinzipien.»

Am Schluss sind es diese Rezensionen, auf die sich Paare bei der Suche verlassen müssen. Und genau da liegt das Problem. Denn es gäbe sehr viele aussagekräftigere Informationen, die Patientinnen und Patienten nicht erhalten. So zum Beispiel die Erfolgsquoten der einzelnen Kliniken.

Geheime Erfolgsquoten und geheime Preise

2014 konnte der SRF-«Kassensturz» diese Quoten anonymisiert einsehen – und stellte fest, dass es Kliniken gab, die eine Erfolgswahrscheinlichkeit von nur 13 Prozent aufwiesen, während andere bei jedem zweiten Transfer eine Schwangerschaft ausweisen konnten.

Die Zahlen des Bundesamts für Statistik für 2023 zeigen, wie viel sich in nicht einmal zehn Jahren getan hat: Die durchschnittliche Schwangerschaftsrate lag damals bei 36 Prozent, heute liegt sie gut zehn Prozent höher.

Noch geheimer sind nur die Preise, die die IVF-Kliniken gern über die Grundversicherung abrechnen würden. Seit 2023 liegt ein Gesuch in Bern. Darin steht, was die Fortpflanzungsmediziner den Krankenkassen in Rechnung stellen würden. Man kann davon ausgehen, dass diese Sätze deutlich tiefer sind als diejenigen, die derzeit auf dem freien Markt verlangt werden.

Ob er uns diese Preise nennen könnte? SGRM-Präsident Michael Häberle winkt ab. «Höchst vertraulich» sei diese Liste. Ein Blick in die Nachbarländer zeigt, dass die Kassensätze etwa 20 Prozent unter den Preisen des unregulierten Marktes liegen.

Behandlungen im Ausland oft billiger

In den letzten Jahren ist das Stigma rund um den Kinderwunsch kleiner geworden. Immer mehr Frauen und Männer berichten offen von ihren Erfahrungen – und immer mehr Länder haben entschieden, Kinderwunschpaare finanziell zu unterstützen.

«Neben der Schweiz gibt es nur noch ein europäisches Land, das sich hier querstellt», sagt Häberle. «Und da kommt es vielleicht weniger darauf an.» Häberle spricht vom Vatikan. Dort leben weniger als 1000 Menschen, viele davon im Zölibat. In der Schweiz dagegen erlebt er es häufiger, dass Grosseltern und weitere Verwandte einspringen, um eine Kinderwunschbehandlung zu finanzieren.

In Spanien, Tschechien oder Österreich sind die Preise niedriger – weil aber oft einige Flugreisen plus Hotelaufenthalte notwendig sind, lässt sich nur wenig sparen. «Interessant sind diese Optionen vor allem für Paare, die Behandlungen brauchen, die in der Schweiz nicht erlaubt sind», sagt Häberle. Dabei geht es hauptsächlich um die Eizellspende, die nach dem Willen des Bundesrats jedoch auch in der Schweiz bald legalisiert werden soll.

Christina Schmid, die erst eine Pauschale von 6500 Franken überwiesen hatte und dann nochmals mehr zahlen sollte, hatte mit ihrer Beschwerde Erfolg. Die Zusatzrechnung wurde umgehend erlassen. Und nicht nur das: Die Klinik erarbeitete mit ihr einen neuen Plan, mit neuem Präparat und enger Betreuung. Ein paar Monate später wagte sie einen neuen Versuch.

Das ist nun gerade fünf Wochen her. «Und was soll ich sagen? Ich bin schwanger», sagt Schmid, etwas ungläubig. Was am Ende dazu geführt hat, ist ihr ein Rätsel. «Obwohl es am Anfang nicht danach aussah, bin ich jetzt sehr zufrieden damit, wie alles gelaufen ist. Und ich würde die Klinik auch jederzeit weiterempfehlen.» Schmid lacht. «Wir haben jetzt 14’000 Franken ausgegeben, um ein Kind zu bekommen. Eigentlich ein fairer Preis.»

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