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Junge Schweizer im Trading-Elend
«Ich will Millionär werden», dachte Nicolas – und verlor alles

Junge Männer wollen zunehmend mit Börsengeschäften reich werden – und rutschen in eine Onlinetrading-Sucht. Jetzt, wo die Kurse wegen Trump so instabil sind, zocken noch mehr an der Börse. Suchtfachleute sind besorgt.
Publiziert: 25.05.2025 um 00:01 Uhr
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Aktualisiert: vor 42 Minuten
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Die Börsen spielen verrückt. Der Bitcoin ist auf einem Allzeithoch. Das zieht viele an die Börse – auch junge Männer.
Foto: Getty Images/Westend61

Darum gehts

  • Wirtschaftsturbulenzen zieht viele Hobbytrader an die Börse
  • Besonders gefährdet sind junge Männer
  • Unter den Hobbybörsianern nimmt das Suchtverhalten zu
  • Manche sitzen deshalb auf bis zu 250'000 Franken Schulden
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Rebecca WyssRedaktorin Gesellschaft

Donald Trump schubste kürzlich die Börsen mit seinen Zollankündigungen in den Abgrund, die Kurse fielen und fielen. Danach sah es zwar wieder etwas besser aus, doch just am Freitag startete er die nächste Zollattacke: 50 Prozent auf EU-Waren – der nächste Börsentaumel. Gleichzeitig sind die Kryptokurse auf einem Allzeithoch, vor allem der Bitcoin. All das hat direkte Folgen in der Schweiz. Besonders für jene Männer, die daheim am Computer Day-Trading betreiben – den kurzfristigen Kauf und Verkauf von Wertpapieren an der Börse. Sie verlieren ihr Geld und manchmal sich selbst.

Das spürt die Zürcher Suchtfachstelle Radix. Die Psychologin Beatrice Gschwend sagt: «Wir haben derzeit mehr Anfragen bezüglich Trading.» Betroffene und Angehörige melden sich. Erstere, weil sie die aktuellen Schwankungen der Börse ausnutzen wollen und nicht mehr vom Traden loskommen. Darunter sind auch solche, die früher bereits bei Radix in Behandlung waren. Gschwend sagt: «Wir beobachten mehr Rückfälle.»

Es ist die Spitze eines Phänomens, das vor Trump begonnen hat und auch abseits der grossen Zentren in der Schweiz verbreitet ist. Betroffen ist eine ganz bestimmte Gruppe, wie Boris Simic von Suchtprävention und Gesundheitsförderung Perspektive Solothurn-Grenchen weiss: «Tatsächlich beobachten wir, dass junge Leute in letzter Zeit vermehrt auf den Trend des Tradings stossen und dabei viel riskieren.» Da das Problem zugenommen habe, hätten in der Deutschschweiz in den letzten anderthalb Jahren vermehrt Suchtfachleute Weiterbildungen für Jugendarbeitende zum Thema angeboten.

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Es geht um junge Männer. Buben, die plötzlich im Gymi nicht mehr mitmögen oder ihre Lehrstelle aufs Spiel setzen, weil sie nur noch zocken. Vor vier, fünf Jahren kam es deshalb im Umfeld der Berufsfachschule Langenthal BE zu Lehrvertragsauflösungen, wie der damalige Rektor auf einem Berufsbildungsportal des Kantons Bern zitiert wird. Warum sind gerade Jungs so empfänglich? Und wie wird aus Spass am Traden eine Abhängigkeit? Einblicke geben Suchtfachleute sowie der 26-jährige Nicolas, der im Kanton Zürich lebt und in Wirklichkeit anders heisst. Er ist wegen seiner Trading-Abhängigkeit bei Beatrice Gschwend von Radix in Behandlung. Er weiss von anderen jungen Betroffenen, will mithelfen, dass nicht noch mehr in die Sucht rutschen. Deshalb spricht er mit uns.

Bulle und Bär stehen für das Auf und Ab an der Börse. Dieses bringt oft Leid.
Foto: RMS Visuals / Priska Wallimann / Midjourney

Ständig droht ein Rückfall

Vor kurzem hat er wieder dieses Kribbeln gespürt. Er las die Berichte über Trump und den Handelskrieg und bäm! – das Verlangen war wieder da. Er sagt: «Das war mein Wiedereinstiegsmoment.» Jetzt will er ein Aktiendepot anlegen, nachdem er sich länger von der Börse ferngehalten hat, abstinent war. Gefährlich klingt das, darauf angesprochen sagt er: «Natürlich darf ich jetzt nicht wieder all-in gehen wie damals.» Der Rückfall, er lauert ständig. Und reisst manchmal ganze Familien mit in den Abgrund.

Nicolas tradete jahrelang Kryptowährungen, machte richtig viel Geld – und verlor alles. Mit 19 fing es an. Ein Arbeitskollege erzählte ihm vom Day-Trading. Brachte es ihm bei. «Ich war ein Greenhorn», sagt Nicolas. Fasziniert vom grossen Vermögen, das sich der Kollege aufgebaut hatte. Nicolas wollte auch. Und war anfangs erfolgreich.

Sein «Wallet», das digitale Portemonnaie, füllte sich schnell. Über 120’000 Franken machte er im ersten Jahr. Das pushte sein Selbstvertrauen: «Ich glaubte, ich sei mega talentiert.» Er war stolz, zeigte den Gewinn seinem Vater. Dieser riet: Junge, lass dir das Geld auszahlen. Nicola wollte nicht. Er wollte mehr. Er dachte, so sagt er: «Wenn es so einfach ist, will ich Millionär werden.»

Recherche-Hinweise

Haben Sie Hinweise zu brisanten Geschichten? Schreiben Sie uns: recherche@ringier.ch

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Was er nicht wusste: Sein Gewinn war pures Glück. Und wurde ihm zum Verhängnis. Der anfängliche Geldsegen fixte ihn an.

Auf das Hoch folgte das Tief. Die grosse Zahl, die Nicolas eingespielt hatte, schrumpfte und schrumpfte. Ein grosser Stress. Nicolas wollte unbedingt wieder in die Gewinnzone kommen. Wurde leichtsinnig. Er ging auf volles Risiko, arbeitete mit Hebeln.

Der Hebel ist eine hochriskante Wette auf Kredit. Man handelt mit mehr Geld, als man besitzt. Bei einem Hebelverhältnis von 1:10 kann man mit nur 100 Franken Einsatz eine Position im Wert von 1000 Franken eröffnen. Der Broker leiht praktisch die Differenz von 900 Franken. Man kann so schon von kleinen Kursbewegungen profitieren, umgekehrt aber auch riesige Verluste einfahren, da man mit mehr Geld handelt, als man selbst investiert hat. Die deutsche Finanzaufsicht Bafin will solche Hebel-Zertifikate nun verbieten. In der Schweiz sind sie erlaubt.

Nicolas verlor alles und häufte Kreditkartenschulden von mehreren Tausend Franken an. Ein weiteres Problem schlich sich ein.

Der junge Mann konnte sich nicht mehr von den Börsencharts lösen. Er war nonstop am Computer. Oder am Handy. Genau das ist das Verheerende bei Trading-Apps: Sie sind rund um die Uhr verfügbar. Sie reissen die Leute in die Sucht. Nicolas erinnert sich an einen Zivildienst, den er in einem Spital absolvierte. «Während der Arbeit hatte ich auf dem Handy immer einen Trade offen.» Tagsüber nutzte er jede freie Minute, um nachzusehen, wie es um sein Investment steht. Nachts schlief er nur noch zwei, drei Stunden, so sehr drängte es ihn an den Bildschirm. «Ich verlor die Kontrolle.»

Börsen-Influencer werben mit Luxus und einem frühen Ruhestand.
Foto: RMS Visuals / Priska Wallimann / Midjourney

Fragwürdige Influencer und Trading-Netzwerke

Trading-Abhängigkeit nimmt zu. Die E-Games-Studie von Sucht Schweiz zeigt: 2018 wies jeder Zehnte, der daytradet, ein erhöhtes Risikoprofil auf, 2021 waren es dreimal so viele. Schuld daran ist die Biochemie. Ist ein Trade erfolgreich, schüttet das Hirn Dopamin aus, ein Glücksgefühl setzt ein. Geschieht dies mehrfach am Tag und über Wochen, beginnt man abzustumpfen, man spürt weniger. Man braucht immer mehr Onlinetrades, um sich überhaupt lebendig zu fühlen. Der Anfang einer Sucht. Beatrice Gschwend sagt: «Ein junger Mensch ist anfälliger dafür.» Das hat mit dem Frontallappen im Hirn zu tun, er ist zuständig für die Impulskontrolle. Bei Jugendlichen ist dieser noch nicht ausgereift. Day-Trading begünstigt impulsives Verhalten zudem noch, weil man schnell entscheiden muss. Hinzu kommt, so die Psychologin: «Die Identitätsentwicklung ist in vollem Gange.» Junge suchen nach Anerkennung, sind leichter beeinflussbar, orientieren sich an Vorbildern.

Manchmal an den falschen.

In den letzten Jahren hat sich ein Trend etabliert: Die Trading-Influencer. Männer, die den Sprung vom Teenagerzimmer zum Privatjet versprechen. Sie treten in grossen Hallen vor Publikum auf, fluten Tiktok und Instagram mit prahlerischen Bildern, auf denen sie um die Welt jetten, in Luxushotels traden und Sportwagen fahren. Manche gehören fragwürdigen Netzwerken an. Vergangenes Jahr berichtete das SRF-Reportageformat «rec.» über «Retired Young». Reichtum und vorzeitiger Ruhestand – damit wirbt das Netzwerk junge Menschen an. Diese zahlen jeden Monat ein und erhalten dafür Zugang zu Trading-Schulungen. Die SRF-Recherche zeigt: Die meisten, die mitmachen, haben finanziell keinen Erfolg. Fest steht: Day-Trading ist ein Glücksspiel. Der viel zitierte US-Ökonom Brad Barber hat mit 450’000 Day-Tradern eine Studie durchgeführt, die zeigt: Langfristig verlieren bis zu 99 Prozent der Trader ihr Geld.

Sie klammern sich an ein uraltes Männerbild

Geld, Gold, Sportwagen – dass dies zieht, hängt mit einer aktuellen Krise der Männlichkeit zusammen. Viele Jungs fühlen sich abgehängt, sind verunsichert. Der frauenverachtende Business-Influencer Andrew Tate ist deshalb so erfolgreich. Er verkörpert ein traditionelles Männerideal, mit Sixpack, Virilität, Geld und Macht. Die Jungs suchen dann ebenfalls Anerkennung durch finanziellen Erfolg.

Sportwagen gehören bei den Börsen-Influencern zum Must-have.
Foto: RMS Visuals / Priska Wallimann / Midjourney

Das bekommen Suchtfachleute zu spüren. Martin Meyer sagt: «Bei den Tradern, die zu uns kommen, spielt das eine grosse Rolle.» Der Suchtmediziner behandelt im Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel jene, die mit ambulanten Hilfen nicht aus der Sucht herausfinden, die eine stationäre Therapie brauchen. Schwere Fälle. Das Alter ist deutlich gesunken, sagt er. Früher sah er vor allem gestandene Kerle, Banker, Profibörsenhändler. «Heute haben wir 25-Jährige, die den Erbvorbezug verzockt haben und die deren Familie retten muss.» Im Extremfall sitzt jemand auf 250’000 Franken Schulden – mit noch nicht einmal 30, das ist eine Hypothek fürs Leben.

Nicolas hat Glück. Seine Eltern kümmern sich um ihn. Im Beratungszimmer von Radix sagt er: «Sie haben die Schrauben angezogen.» Die Mutter sprach an, dass er ein Problem hat. Erst wehrte er ab: Sicher nicht! Doch sie liess nicht locker. Und er begriff: Ich muss etwas tun. Er löschte alle Tradingkonten. Und meldete sich bei Radix. Heute führt die Mutter sein Bankkonto. Geblieben ist der Kampf gegen das Craving, das unbändige Verlangen, zu traden. Jetzt, wo die Börsen Kapriolen machen, hätte er gut wieder einen «Krypto long» durchziehen – auf steigende Kursgewinne spekulieren – und das Ding «hebeln» können, sagt er aufgeregt. Doch er lässt es bleiben. «Ich bin noch nicht über den Berg.» Er weiss: Das ist ein lebenslanger Prozess.

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