Darum gehts
- Bündner Gastro-Unternehmer wegen sexueller Belästigung einer Angestellten kritisiert
- Michel Péclard: Sexuelle Belästigung im Gastgewerbe schwer abzugrenzen
- 60 Prozent der befragten Frauen erlebten potenzielle sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz
Die frivolen Chatnachrichten an seine Angestellte Berta F.* (33) fliegen dem Bündner Gastro-Unternehmer Roberto Giovanoli (35) derzeit um die Ohren. Auf organisatorische Fragen oder Kritik ihrerseits antwortete er mit Sprüchen wie: «Wenn du willst, gebe ich dir einen Fick, dann sind wir quitt.»
Die junge Mitarbeiterin aus Italien wirft ihrem Ex-Boss nun sexuelle Belästigung vor. Er spricht indes von «dummen Sprüchen» – und beteuert: «Sie hat mit dem Flirten angefangen.»
Der Zürcher Kult-Beizer Michel Péclard (58) kennt die Problematik von sexueller Belästigung in seiner Branche. Er selbst führt zahlreiche Restaurants und Bars mit Hunderten von Mitarbeitenden. Man kennt ihn als einen, der kein Blatt vor den Mund nimmt, der provoziert.
«Das geht zu weit»
Zu Giovanolis Nachrichten sagt Péclard aber klar: «Als Chef kann man sich so etwas nicht erlauben. Das geht zu weit.»
Ihn selber beschäftigen aber mehr die weniger klaren Fälle von sexueller Belästigung. Péclard sagt: «Ich frage mich oft selbst: Wo fängt sexuelle Belästigung an?» Das sei oft schwierig abzugrenzen.
Eine Definition liefert das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG): Zur Kategorie zählen demnach «sexuelle oder sexistische Verhaltensweisen, die von der betroffenen Person unerwünscht sind und als die Integrität verletzend empfunden werden.»
Belästigung durch Vorgesetzten
In einer aktuellen Studie des EGB geben rund 60 Prozent der befragten Frauen an, dass sie schon einmal am Arbeitsplatz sexuell belästigt wurden. Bei einem Drittel der Fälle ging die Belästigung vom Vorgesetzten aus.
Michel Péclard stimmt das nachdenklich. «Ich behandle meine Mitarbeiter wie eine Familie. Wir sind per du und umarmen uns», sagt er und fügt selbstkritisch an: «Manchmal fürchte ich, man könnte deshalb auch mir sexuelle Belästigung vorwerfen.»
Häufiger als von den Vorgesetzten werden Mitarbeiter von Kollegen belästigt. Und im Gastgewerbe natürlich auch von den Kunden. Die EGB-Studie hält fest, entsprechende Übergriffe fänden im Gastgewerbe überproportional häufig statt.
«Ich halte mich da raus»
Péclard überrascht das nicht: «Die Leute kommen in eine Bar, trinken zu viel, sind sexuell geladen. Das ist unser Business», erklärt er.
Ausserdem seien die Angestellten häufig noch jung. Und oft selber partyfreudig. «Als Chef halte ich mich da raus», so Péclard. «Wenn sie nach dem Mitarbeiterfest noch in den Club gehen, mache ich mich auf den Heimweg.»
Wenn Fälle von Übergriffen an ihn herangetragen würden, müsse man natürlich handeln, betont Péclard. «Je nachdem ist das dann auch ein Fall für die Polizei.»
Berta F. wechselte Job
Für Berta F. hatten die «dummen Sprüche» ihres Chefs weitreichende Folgen. Sie konnte nicht mehr schlafen, wurde krankgeschrieben. Mittlerweile arbeitet sie in einem anderen Betrieb.
Roberto Giovanoli führt sein Unternehmen weiter. Seine Position im Vorstand des Arbeitgeberverbandes Gastro Graubünden hingegen hat er inzwischen aufgegeben.
* Name geändert