Darum gehts
Daniel Rossi sitzt mit verschränkten Armen im Büro, das er sich im Erdgeschoss seines Hauses eingerichtet hat. Sein Blick wandert über einen Stapel Dokumente, er schüttelt den Kopf: «Ich kann es mir bis heute nicht erklären.»
Daniel Rossi, 79, stammt ursprünglich aus Süditalien. Bis zu seiner Pensionierung führte er im Kanton Freiburg ein kleines Handelsgeschäft. Er hat kurze, graue Haare, ein sympathisches Gesicht, das fast ununterbrochen lächelt. Doch man merkt, dass den Rentner etwas beschäftigt. Niemals hätte er gedacht, dass er – ein Unternehmer, der stets auf der Hut gewesen sei – betrogen werden könnte.
«Schreib mir über Whatsapp»
Doch genau das ist ihm passiert. Es war im Oktober 2024, da wurde Rossi, der eigentlich anders heisst, von einer unbekannten Nummer kontaktiert. Er war gerade in einer Töffwerkstatt, als ihn die Nachricht erreichte.
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«Hallo Papi, ich habe eine neue Nummer. Schreib mir über Whatsapp.»
Rossi war zwar erstaunt, dass er auf diese Weise kontaktiert wurde. Doch er zweifelte keine Sekunde, dass es sich um einen seiner zwei erwachsenen Söhne handeln müsse. So fragte er zurück: «Wer bist du, Federico oder Manuel?»
Das war sein erster grosser Fehler. Das sieht auch Rossi heute so: «Ich hätte die Namen meiner Söhne nie angeben sollen.» Dass der Unbekannte dann ausgerechnet Manuel auswählte, war ein unglücklicher Zufall.
Die verhängnisvolle Express-Zahlung
«Ich bin es, Manuel. Kannst du mir helfen? Ich muss eine Rechnung bezahlen, kann mich über dieses Handy aber nicht in mein Bankkonto einloggen. Kannst du die Zahlung für mich tätigen? Ich gebe es dir dann am Freitag zurück.» – «Kein Problem. Schick mir die Angaben.» – «Express-Zahlung von 5700 Franken an …»
Just eine Woche zuvor hatte der echte Manuel erzählt, dass er auf Reisen gehen werde. «Es schien mir deshalb plausibel, dass er vielleicht sein Handy verloren hatte und nun im Ausland Hilfe brauchte», sagt Daniel Rossi. Ausserdem hatte er seinen Sohn schon einmal finanziell unterstützen müssen. Trotzdem zögerte er kurz. Die Summe erschien ihm für eine einfache Rechnung doch sehr gross.
«So viel Geld? Wofür brauchst du das? Hast du ein neues Auto gekauft?»
Das war Rossis zweiter Fehler. Denn mit dieser Information lief er dem Betrüger neuerlich ins offene Messer.
«Ja, es ist für ein Auto. Es ist sehr dringend. Wenn ich heute nicht zahle, gerate ich in Schwierigkeiten.»
Der verantwortungsvolle Vater fühlte sich gezwungen, seinem Sohn zu helfen: «Ich wollte nicht, dass er Probleme bekommt.» Und bezahlte.
Rossi dachte, damit sei die Sache abgeschlossen. Doch sie fing gerade erst an.
Er ruft bei der Bank an – zu spät
«Noch eine Rechnung habe ich vergessen, Papi. Kannst du bitte 3300 Franken auf dieses Konto überweisen, ExpressZahlung bitte.» – «Das Ganze ist mir etwas suspekt. Ich hoffe, du bist nicht in Schwierigkeiten?» – «Mach dir keine Sorgen. Solange du die Rechnung bezahlst, ist alles in Ordnung.»
Nach dieser Nachricht wurde der Rentner zum ersten Mal richtig misstrauisch. «Ich fand es merkwürdig, dass mein Sohn eine anscheinend so wichtige Zahlung einfach hatte vergessen können», erinnert er sich.
Mehrfach versuchte er, seinen Sohn auf dessen eigentlicher Nummer zu erreichen, um der Sache nachzugehen. Vergeblich. Und so überwog schliesslich die Sorge – und Rossi beglich auch diese Rechnung. Nach dem gleichen Muster überwies er am selben Tag noch zwei weitere Male Geld. Am Ende waren es rund 18’800 Franken, die er auf drei verschiedene Konten einzahlte.
Der Whatsapp-Betrug fliegt auf
Erst als Daniel Rossi seinen echten Sohn ans Telefon bekam, flog der Betrug auf. Aber da war es zu spät. Rossi rief noch am selben Tag bei der Bank an, doch die Überweisungen waren bereits abgeschlossen. Weil er die Option Express-Zahlung gewählt hatte, war das Geld innerhalb von Minuten weg.
Der unbekannte Anrufer war so dreist, es am nächsten Tag noch einmal bei Rossi zu versuchen. Rossi blockierte wütend die Nummer – und erstattete Anzeige gegen unbekannt.
Die ersten Wochen nach dem Betrug drehen sich im Kopf von Daniel Rossi immer wieder dieselben Fragen – und bis heute kann er sie nicht schlüssig beantworten: «Wieso habe ich so gehandelt? Wieso habe ich nicht bis zum Abend gewartet, um die Sache in Ruhe mit meiner Frau zu besprechen?»
Geldesel gehen sofort zu Bankomat
Nach der Anzeige hört Rossi erst einmal lange nichts mehr. Warum, erfährt er erst, als er einen Anwalt einschaltet und dieser die Untersuchungsakten einfordert. Es zeigt sich: Die Staatsanwaltschaft hat den Fall zwar aufgenommen. Zunächst muss sie aber über Wochen hinweg abklären, welcher Gerichtsstand zuständig ist. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass es in diesem Fall unterschiedliche «Tatorte» gibt.
Die Staatsanwaltschaft Freiburg will zum konkreten Fall keine Stellung nehmen. Aus den Untersuchungsakten lässt sich allerdings teilweise rekonstruieren, was mit dem ergaunerten Geld von Rossi geschah. Denn sie enthalten unter anderem Bankauszüge der mutmasslichen Begünstigten. Die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaften legen nahe, dass es sich bei den Personen, denen Rossi das Geld seinerzeit überwiesen hatte, um sogenannte Money Mules handelt.
Money Mules – übersetzt: Geldesel – sind Personen, die ihr Konto für derlei Geschäfte zur Verfügung stellen. Oft werden sie übers Internet rekrutiert – mit dem Versprechen, schnelles Geld zu verdienen. Sobald die erschwindelte Summe bei ihnen gelandet ist, überweisen sie das Geld an die eigentliche Täterschaft weiter. Manchmal wissen diese Money Mules gar nicht, dass sie sich damit strafbar machen – und Geldwäscherei begehen.
Die Zahl solcher Money-Mule-Fälle hat gemäss der polizeilichen Kriminalstatistik in der Schweiz stark zugenommen. Im Jahr 2020 waren es landesweit noch knapp 1700 Fälle, 2024 bereits 3700. Ein Anstieg um fast 120 Prozent.
Die Geldesel: Alles junge Leute
Im Fall von Rossi waren drei verschiedene «Geldesel» beteiligt. Gemäss Untersuchungsakten handelte es sich um einen Essenslieferanten, eine Influencerin und einen vorbestraften Detailhandelsfachmann, alle drei zwischen 23 und 26 Jahre alt.
Der Ablauf war bei allen drei praktisch identisch. Nur wenige Minuten nachdem das Geld von Rossi auf ihrem Konto eingetroffen war, gingen sie zu einem Bankomaten in ihrer Wohngegend und hoben Summen zwischen 5000 und 8000 Franken in bar ab. Sie hatten alle ein Konto bei derselben Grossbank, darüber hinaus scheint sie nichts miteinander zu verbinden.
Die Bank will keine Stellung nehmen
«Wie kann es sein, dass eine Bank solche Machenschaften nicht bemerkt?», sagt Rossi und schüttelt den Kopf. Ihn ärgert das gewaltig. Zumal die eingespannten Money Mules offenbar sonst kaum Geld auf ihren Konten gehabt hätten. «Warum konnten sie dann plötzlich so hohe Summen abheben, ohne dass das jemandem aufgefallen wäre?»
Trotz mehreren Nachfragen erhielt Rossi von der betroffenen Bank nur eine floskelhafte Antwort auf Englisch; man könne ihm keine Antwort geben und das Geld auch nicht zurückzahlen. Punkt. Auch auf Anfrage des Beobachters äussert sich die betreffende Bank nur sehr zurückhaltend und schreibt, dass sie zu Einzelfällen keine Stellung nehmen könne.
Falsche Person, falsche Adresse
Nachdem das Geld abgehoben wurde, verliert sich dessen Spur. Trotz mehrfachen Kontaktversuchen konnte der Beobachter nur einen der verdächtigen Money Mules erreichen. Zu einer Stellungnahme war er nicht bereit.
Auch wem die Nummer gehört, über die Daniel Rossi an jenem Tag im Oktober kontaktiert wurde, lässt sich nicht eindeutig sagen. Er vermutet dahinter die wahren Betrüger. Ermittlungen der Polizei ergaben, dass die Telefonnummer offenbar auf eine Frau mit ukrainischem Pass registriert worden war. Sie soll angeblich im Kanton Appenzell Ausserrhoden wohnhaft gewesen sein. Doch weder die Person noch die angegebene Adresse existieren. Mittlerweile ist die Nummer gesperrt.
Handy-Nummern zu betrügerischen Zwecken
«Ich verstehe nicht, dass niemand so etwas überprüft», sagt Rossi. Digital Republic – der Mobilfunkanbieter, bei dem die Telefonnummer registriert war, über die der Erstkontakt stattfand – räumt auf Anfrage ein: Man sei sich bewusst, dass die Telefonnummern auch zu betrügerischen Zwecken verwendet werden könnten. Eine Überprüfung der Adresse führe Digital Republic bei der Registrierung neuer Nummern jedoch nicht durch.
Auch das – Rossi versteht es nicht. Wie er so vieles nicht versteht, was seinen Fall angeht. Doch die Schuld, die sieht er zuallererst bei sich selbst: «Wie konnte ich nur so blöd sein?»
Untersuchung wegen Betrugs wurde eingestellt
Noch hofft er, wenigstens einen Teil seines Geldes zurückzubekommen. «Es hat mich sehr viel Zeit und Nerven gekostet, für mein hart erarbeitetes Geld zu kämpfen», sagt er. Doch gross ist die Hoffnung nicht mehr. Die Polizei wie auch sein Anwalt erklärten ihm bereits, dass das Geld höchstwahrscheinlich verloren sei. Denn sämtliche Ermittlungen scheinen ins Leere zu laufen.
Vor kurzem erhielt Rossi einen Brief: Die Untersuchungen wegen Betrugs werden eingestellt. Es konnte nicht ermittelt werden, wer sich dahinter verbirgt. Die Vermutung liegt nahe, dass die Täterschaft aus dem Ausland agierte. In solchen Fällen stossen die Ermittlungsbehörden schnell an ihre Grenzen. Damit sinkt auch die Wahrscheinlichkeit, dass Rossi sein Geld je wiedersehen wird. Ein Funken Hoffnung bleibt noch: Gegen die drei Money Mules wird wegen Geldwäscherei ermittelt. Womöglich ergeben sich daraus noch neue Hinweise auf die eigentlichen Betrüger.
Vorderhand bleibt Rossi damit nur noch eine Warnung: «So etwas kann jedem passieren. Auch Leuten wie mir, die das Gefühl haben, über alles informiert zu sein», sagt er. Und wenn er durch das Erzählen seiner Geschichte im Beobachter ähnliche Fälle vermeiden könne, dann sei wenigstens nicht alles umsonst gewesen.