Elisabeth Bronfen kocht Pasta gegen Weltschmerz
«Wir kochen immer mit unseren Gefühlen»

In ihrem neuen Kochbuch ordnet die Kulturwissenschaftlerin Rezepte nach Stimmungen. Ein Gespräch über Comfort Food, den Einfluss der amerikanischen Politik aufs Kochen und darüber, warum Zeit selbst eine Zutat ist.
Publiziert: 02.11.2025 um 15:42 Uhr
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Elisabeth Bronfen lädt zum Interview in ihre Küche.
Foto: Thomas Meier

Darum gehts

  • Elisabeth Bronfen spricht über ihr Kochbuch «Kochen nach Laune», das Gerichte nach Stimmungen ordnet
  • Zutaten beeinflussen Gehirn und Emotionen
  • Die Kochbuchautorin plädiert dafür, dass Essen keine Disziplin sei, sondern Freude machen sollte
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Sara BelgeriRedaktorin

Was kochen, wenn man traurig ist? Was, wenn es draussen immer kälter wird? Und welche Gerichte gelingen, wenn die Zeit knapp ist? Die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen ergründet in ihrem neuen Kochbuch «Kochen nach Laune. Meine Stimmungsküche», wie Gefühle das Kochen prägen. Blick traf sie zum Gespräch in ihrer Küche in Zürich – und bereitete mit ihr ein Gericht gegen Trübsal zu.

Frau Bronfen, wir kochen gerade Zitronen-Orzo mit Kohlrabi und Ricotta. Was ist daran tröstlich?
Elisabeth Bronfen: Die Mischung machts: Orzo mit Gemüse, Ricotta, Zitrone und Speck – süss, leicht säuerlich und würzig zugleich – wirkt beruhigend und tröstlich. Gelingt es, ist es weich, fast breiig, erinnert an Kinderessen, das man mit dem Löffel geniesst. Geschmack und Konsistenz machen es zu einem Gericht, das innerlich wärmt und Trübsal vertreibt.

Ihr neues Buch dreht sich um Stimmungen. Wie kamen Sie auf die Idee, ein Kochbuch nach Gefühlslagen zu ordnen?
Beim Schreiben meines ersten Kochbuchs ist mir aufgefallen, wie sehr der emotionale Zustand das Kochen beeinflusst. Kocht man, weil man traurig ist, nervös oder gelangweilt? Welche Atmosphäre und welche Gefühle will man produzieren?

Aber die meisten Menschen kochen doch je nach Zeit oder Lust.
«Lust» oder «Zeit» sind ja selbst Formen von Stimmung. In meinem Buch gibt es zum Beispiel die zwei Kapitel, «viel Zeit» und «wenig Zeit» – beide sind Ausdruck bestimmter innerer Zustände. Wenn man viel Zeit hat, kann das Ruhe bedeuten, aber auch Langeweile oder Einsamkeit. Vielleicht kocht man dann, um die Zeit zu füllen oder etwas zu verarbeiten. Zeit wird so zu einer Zutat. Und wenn man wenig Zeit hat, ist das nicht einfach ein Mangel, sondern eine Stimmung, die das Kochen prägt. Dann soll das Schnelle auch Teil des Gerichts sein. Ich wollte, dass die Leserinnen und Leser sich das bewusst machen: Wir kochen immer mit unseren Gefühlen.

Kochen nach Stimmung klingt subjektiv. Was sagt die Wissenschaft?
Ich habe natürlich recherchiert, wie bestimmte Lebensmittel das Gehirn beeinflussen: Zutaten wie Schokolade, Eier, Pasta oder Sahne produzieren Dopamin und Serotonin, sie beruhigen und beleben zugleich. Kein Wunder also, dass man in traurigen Momenten intuitiv zu solchen Dingen greift. Aber am Ende zählt das eigene Empfinden – was für mich tröstlich ist, muss es für andere nicht sein.

Gibt es Zutaten oder Produkte, die Sie immer zu Hause haben?
Butter, Mayonnaise, Senf, Kapern, Eier, Champagner und asiatische Würzen wie Teriyaki- und Ponzu-Sauce oder Chili Crisp. Und ich trockne viele meiner Kräuter selbst. Estragon, Dill, Thymian oder Majoran. Frische Kräuter sind toll, aber nicht immer verfügbar. Getrocknete Kräuter haben zu Unrecht einen schlechten Ruf.

Kulturwissenschaftlerin und Kochbuchautorin

Elisabeth Bronfen (67) war von 1993 bis 2023 Lehrstuhlinhaberin am Englischen Seminar der Universität Zürich und ist seit 2007 Global Distinguished Professor an der New York University. Die renommierte Kultur- und Literaturwissenschaftlerin hat zahlreiche Bücher veröffentlicht – ihr jüngstes Werk, «Kochen nach Laune», ist Anfang Oktober erschienen. Sie lebt in Zürich und New York (USA).

Elisabeth Bronfen (67) war von 1993 bis 2023 Lehrstuhlinhaberin am Englischen Seminar der Universität Zürich und ist seit 2007 Global Distinguished Professor an der New York University. Die renommierte Kultur- und Literaturwissenschaftlerin hat zahlreiche Bücher veröffentlicht – ihr jüngstes Werk, «Kochen nach Laune», ist Anfang Oktober erschienen. Sie lebt in Zürich und New York (USA).

In Ihrem Buch ist Fleisch erlaubt, Butter sowieso. Das ist fast ein Bekenntnis gegen den Zeitgeist.
Vielleicht. Aber ich liebe Butter, Rahm und Speck. Ich könnte natürlich fettarmes Joghurt oder Halbrahm empfehlen, aber wie der britische Starkoch Yotam Ottolenghi einmal sagte, muss das Fett durch etwas ersetzt werden. Und das ist dann meistens Zucker. Dann esse ich lieber weniger, aber dafür zum Beispiel Speck. Ich bin keine Anhängerin der Braten-und-Knödel-Küche, aber diese asketische Bowl-Kultur, in der Menschen nach Nährstofftabellen essen, finde ich sehr traurig. Da fehlt die Lust. Essen ist keine Disziplin, sondern soll Freude machen.

Manche würden sagen, Genusskultur sei ein Wohlstandsphänomen.
Das Gegenteil ist der Fall. Einige der besten Gerichte sind unglaublich einfach: etwa Gerichte mit Kartoffeln oder Suppen. Convenience-Food und Fertiggerichte sind meist teurer als frische Zutaten. Der wahre Luxus besteht darin, sich Zeit zum Kochen zu nehmen. Wenn man zum Beispiel pro Tag eine Stunde weniger auf Social Media verbringt, kann man in dieser Zeit ein wunderbares Essen kochen.

Wie hat Ihre Kindheit Ihre Beziehung zum Essen geprägt?
Ich bin im München der 60er-Jahre aufgewachsen, da gab es weder Mozzarella noch Tiramisu. Meine Mutter konnte gut kochen, klassisch deutsch: Königsberger Klopse, Hackbraten, Frikassee. Fleisch gab es aber nur einmal pro Woche. Manchmal gab es Griessauflauf mit Himbeersauce zum Abendbrot. Können Sie sich das vorstellen? Das würde heute niemand mehr machen.

Rezept gegen Trübsal

Zitronen-Orzo mit Kohlrabi und Ricotta

Zutaten für drei bis vier Personen

1 Stange Lauch

2 EL Olivenöl

1 EL Salzzitrone, fein gehackt

6 Scheiben Bratspeck

1 Kohlrabi

1 EL Estragon

1 gute Prise Chiliflocken

700 ml Gemüsebrühe

250 g Orzo

Saft und Zeste von 1 Zitrone

2 EL Parmesan, frisch gerieben

100 g Ricotta

Salz

Schwarzer Pfeffer

Als Erstes dünstet man den in feine Scheiben geschnittenen Lauch bei mittlerer Hitze im Olivenöl in einer Sautierpfanne mit einem hohen Rand an, ca. 4 Minuten, gibt dann die Salzzitrone dazu und lässt die weitere 3 Minuten andünsten. Nun gibt man den in feine Streifen geschnittenen Speck dazu, vermischt alles sorgfältig miteinander und lässt ihn weitere 5 Minuten anbraten. Als Nächstes schält und würfelt man den Kohlrabi und gibt ihn mit dem gehackten Estragon in die Pfanne, würzt mit Chiliflocken, frisch gemahlenem Pfeffer und Salz und durchmischt alle Zutaten gründlich. Der Kohlrabi soll bei mittlerer Hitze köcheln, bis er karamellisiert ist, ca. 15 Minuten. Dann gibt man die Brühe in die Pfanne, verrührt sie mit dem Bratensatz am Boden der Pfanne, wartet, bis sie zu köcheln beginnt, gibt dann die Zitronenzeste und den Orzo dazu, vermischt nochmals alles sorgfältig, deckt die Pfanne ab und lässt das Gemüse und die Pasta bei mittlerer Hitze fertig kochen, ca. 20 Minuten. Der Orzo soll zart werden und die Flüssigkeit fast ganz verdunsten. Um zu verhindern, dass der Orzo am Boden der Pfanne kleben bleibt, muss man zwischendrin die Speise immer wieder verrühren. Droht sie zu trocken zu werden, gibt man etwas mehr Brühe (oder heisses Wasser) dazu.

In der Zwischenzeit vermischt man den Ricotta mit dem Saft der Zitrone und dem geriebenen Parmesan und schmeckt mit Pfeffer ab. Vor dem Servieren bestreut man den Gemüse-Orzo mit gehackten Estragon und geriebenen Parmesan, um ihm noch mehr herzhafte Würze zu verleihen.

Zitronen-Orzo mit Kohlrabi und Ricotta

Zutaten für drei bis vier Personen

1 Stange Lauch

2 EL Olivenöl

1 EL Salzzitrone, fein gehackt

6 Scheiben Bratspeck

1 Kohlrabi

1 EL Estragon

1 gute Prise Chiliflocken

700 ml Gemüsebrühe

250 g Orzo

Saft und Zeste von 1 Zitrone

2 EL Parmesan, frisch gerieben

100 g Ricotta

Salz

Schwarzer Pfeffer

Als Erstes dünstet man den in feine Scheiben geschnittenen Lauch bei mittlerer Hitze im Olivenöl in einer Sautierpfanne mit einem hohen Rand an, ca. 4 Minuten, gibt dann die Salzzitrone dazu und lässt die weitere 3 Minuten andünsten. Nun gibt man den in feine Streifen geschnittenen Speck dazu, vermischt alles sorgfältig miteinander und lässt ihn weitere 5 Minuten anbraten. Als Nächstes schält und würfelt man den Kohlrabi und gibt ihn mit dem gehackten Estragon in die Pfanne, würzt mit Chiliflocken, frisch gemahlenem Pfeffer und Salz und durchmischt alle Zutaten gründlich. Der Kohlrabi soll bei mittlerer Hitze köcheln, bis er karamellisiert ist, ca. 15 Minuten. Dann gibt man die Brühe in die Pfanne, verrührt sie mit dem Bratensatz am Boden der Pfanne, wartet, bis sie zu köcheln beginnt, gibt dann die Zitronenzeste und den Orzo dazu, vermischt nochmals alles sorgfältig, deckt die Pfanne ab und lässt das Gemüse und die Pasta bei mittlerer Hitze fertig kochen, ca. 20 Minuten. Der Orzo soll zart werden und die Flüssigkeit fast ganz verdunsten. Um zu verhindern, dass der Orzo am Boden der Pfanne kleben bleibt, muss man zwischendrin die Speise immer wieder verrühren. Droht sie zu trocken zu werden, gibt man etwas mehr Brühe (oder heisses Wasser) dazu.

In der Zwischenzeit vermischt man den Ricotta mit dem Saft der Zitrone und dem geriebenen Parmesan und schmeckt mit Pfeffer ab. Vor dem Servieren bestreut man den Gemüse-Orzo mit gehackten Estragon und geriebenen Parmesan, um ihm noch mehr herzhafte Würze zu verleihen.

Sie sind Halbamerikanerin. Haben Sie das Gefühl, dass in den USA mehr nach Stimmung gekocht wird als hierzulande? Schliesslich gibt es dort Begriffe wie Comfort Food, während es im Deutschen kaum Entsprechungen gibt.
Es gibt im Deutschen tatsächlich keinen richtigen Ausdruck für Comfort Food, deshalb verwende ich in meinem Buch das englische Wort. Eine gute Übersetzung habe ich nie gefunden. Comfort Food beschreibt ja nicht nur ein Gericht, sondern ein Gefühl – etwas Vertrautes, das Geborgenheit schenkt, wie sich unter eine warme Decke zu kuscheln. Vielleicht musste man dieses Gefühl hierzulande nie benennen, weil es ohnehin Teil der Kultur ist: das Weihnachtsgebäck, das man mit den Kindern backt, das Fondue oder Raclette, das man mit der Familie isst. Das ist Gemütlichkeit und Tradition.

Gibt es Esstraditionen, die Sie pflegen?
Eigentlich nicht. Es gibt eher Dinge, die ich nicht übernommen habe – zum Beispiel den Griessauflauf meiner Kindheit. Auch an Thanksgiving habe ich früher oft gekocht, aber das ist mir heute einfach zu aufwendig, da steckt so viel Planung drin. Ich habe mir stattdessen meine eigenen Rituale geschaffen. Etwa mit einer kleinen Gruppe von Freunden, mit der ich mich regelmässig treffe, um Bücher zu besprechen – jeder bringt etwas mit, mal eine Suppe, einen Salat oder einen Auflauf. Aber feste Traditionen, wie zum Beispiel ein Festtagsmenü, habe ich nicht, da bin ich flexibel.

Hat die politische Stimmung in den USA Ihr Kochen beeinflusst?
Für mich hat die Politik wenig Einfluss darauf, wie ich koche. Aber klar kann man aufgrund der politischen Lage Weltschmerz fühlen und dementsprechend etwas kochen, um seinen Unmut oder seine Unsicherheit zu befriedigen. Zumindest in New York habe ich das Gefühl, dass die Leute eher mehr Alkohol trinken als dass sie mehr kochen.

Sie leben Teilzeit in New York. Wie erleben Sie die gesellschaftliche und politische Spaltung in den USA?
Viele Amerikaner ziehen inzwischen bewusst in Gegenden, wo politisch Gleichgesinnte leben – Republikaner und Demokraten begegnen sich kaum noch. Früher traf man sich auf denselben Schulhöfen oder Nachbarschaftsfesten, heute lebt man in getrennten Welten. Ich versuche trotzdem, mit ganz unterschiedlichen Menschen zu sprechen – auch mit überzeugten Trump-Wählern. Nicht, um sie zu überzeugen, sondern um zu verstehen, was sie bewegt. Und man sollte sich bewusst sein: Amerika war immer ein gespaltenes Land. 

Welches Klima herrscht an der New York University, wo Sie lehren?
Ich selbst bin in einer privilegierten Position – als Gastdozentin bin ich nicht direkt abhängig von der Institution. Aber natürlich spüre ich, dass das Klima vorsichtiger geworden ist. Viele Kolleginnen und Kollegen sagen den Jüngeren inzwischen: «Überlegt euch gut, was ihr im Seminar sagt.» Weil Äusserungen falsch verstanden oder über soziale Medien skandalisiert werden können. Zugleich sitzen in meinen Seminaren überwiegend internationale Studierende mit ganz konkreten Visa-Sorgen. Klar ist: Man muss sehr wachsam sein, um die Freiheit der Forschung zu verteidigen – nicht nur in den USA.

Wenn Ihnen die Weltlage doch mal auf die Stimmung schlägt, was kochen Sie dann?
Pasta. When in doubt, cook pasta.

Elisabeth Bronfen, «Kochen nach Laune. Meine Stimmungsküche», Echtzeit Verlag. 

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