Blick: Justizminister Beat Jans hat das EU-Vertragspaket im SonntagsBlick-Interview mit dem Rütlischwur verglichen: Es handle sich in beiden Fällen um ein «gegenseitiges Versprechen in schwierigen Zeiten».
Thomas Aeschi: Das ist eine Verhunzung der Schweizer Geschichte. Offensichtlich hat Bundesrat Jans in Basel-Stadt nie Geschichtsunterricht genossen. Ich bin schockiert über seine Aussage, mit der er in meinen Augen unsere Ahnen in den Dreck zieht.
Wieso?
Damals haben sich Uri, Schwyz und Unterwalden zusammengeschlossen, um selber über sich zu bestimmen, um frei über ihr Land zu regieren und einander beizustehen, wenn sie von aussen angegriffen werden. Der Bundesrat präsentiert mit dem Unterwerfungsvertrag das Gegenteil: eine einseitige Anbindung an die Europäische Union.
Einseitig? Es ist ein Kompromiss zweier Parteien.
Wir werden gezwungen, EU-Recht zu übernehmen. Auch in wichtigen Bereichen wie der Zuwanderung oder beim Zugang zum Schweizer Sozialstaat. Wenn es Streitigkeiten gibt, urteilt der Europäische Gerichtshof abschliessend über die Schweiz, also das Gericht der Gegenpartei. Es steht schwarz auf weiss im Vertragstext, dass das Urteil der EU-Richter «bindend» ist. Wenn wir Stimmbürgerinnen und Stimmbürger anders entscheiden, als die EU will, dann darf uns die EU sogar mit Sanktionen bestrafen.
Ihre Seite redet von Unterwerfungsvertrag und Kolonialvertrag und tritt mit Hellebarde auf – auch das ist ein fraglicher Umgang mit Geschichte. Ihr Problem ist doch, dass der Schweizer Unterhändler Patric Franzen sehr gut verhandelt und deutliche Verbesserungen im Vergleich zum institutionellen Abkommen von 2021 herausgeholt hat.
Beide Abkommen sind identisch, was unsere Grundkritik betrifft: Wir müssen zwingend EU-Gesetze und die EU-Bürokratie übernehmen. Und wir müssen uns dem Europäischen Gerichtshof unterstellen. Unser Präsident Marcel Dettling hat das auf dem Rütli sehr gut illustriert: 1291 hat ein einseitiges Pergamentpapier gereicht, eine Seite mit einer klaren Botschaft: Wir wollen selber bestimmen, wir wollen keine fremden Richter. Heute Morgen habe ich das ganze EU-Paket ausgedruckt. Das ist ein Stapel von über 1800 Seiten. Dazu kommen noch Hunderte EU-Verordnungen. Ein Bürokratiemonster sondergleichen.
Bei manchen zwischenstaatlichen Verträgen kennen wir schon heute dynamische Rechtsübernahme und «fremde Richter». Und die Schweiz steht immer noch.
Das kann man so vereinfacht nicht sagen. Wir müssen zum Beispiel beim Schengen-Dublin-Abkommen alles übernehmen. Obwohl das EU-Asylsystem überhaupt nicht funktioniert. Dieses Beispiel zeigt, dass wir wieder selber handeln müssen. Wir müssen unsere Grenzen schützen, und wir müssen die kriminell organisierte Asylmigration eigenständig stoppen. Mit dem geplanten EU-Unterwerfungsvertrag müsste die Schweiz alle EuGH-Urteile von 1999 bis heute übernehmen. Und einverstanden: Mit der WTO haben wir ein Schiedsgericht. Aber der grosse Unterschied ist, dass das echte Schiedsgerichte sind. Unser «Schiedsgericht» wäre dem EU-Gerichtshof unterstellt – das ist ein Witz.
Sie fokussieren sehr auf die Souveränität. Das andere grosse Thema ist die Zuwanderung. Dazu haben Sie die Nachhaltigkeits-Initiative lanciert – und gefährden damit die Bilateralen.
Das ist eine falsche Unterstellung unserer politischen Gegner. Die Nachhaltigkeits-Initiative «Keine 10-Millionen-Schweiz» will, dass bis 2050 nicht mehr als 40'000 Personen pro Jahr netto in die Schweiz einwandern. Das ist eine grosszügige Zahl. Der Bundesrat versprach vor der Abstimmung zur Personenfreizügigkeit, dass nicht mehr als 8000 Personen pro Jahr in die Schweiz kommen. Jetzt kommen 60'000 bis 70'000! Wenn der Bundesrat seine Versprechen einhalten und Bundesrat Jans das Asylchaos stoppen würde, dann müssten wir solche Diskussionen gar nicht führen.
Es ist ja nicht der Bundesrat, der die Einwanderung verursacht, sondern unser Wohlstand – und die Firmen, die Leute aus dem Ausland rekrutieren. Auch in Ihrem Kanton Zug.
Falsch: Die Mehrheit im Bundesrat lässt Jans gewähren. Es kommen jedes Jahr Zehntausende Asylschmarotzer aus der ganzen Welt in die Schweiz – hauptsächlich aus muslimischen Ländern. Das muss man stoppen. Wir haben dafür die Grenzschutz-Initiative lanciert. Das Asylchaos kostet uns 7 bis 8 Milliarden Franken im Jahr. Wir können froh sein, dass auch ein paar gute Firmen und Steuerzahler in die Schweiz kommen. Die sind sicher nicht das Problem.
Reden wir nochmals über die Rolle der Wirtschaft.
Wir erwarten auch von der Wirtschaft eine gewisse Selbstbeschränkung.
Eine Selbstbeschränkung?
Richtig. Eine Selbstbeschränkung. Nehmen Sie etwa die Gastronomie. Die hat eine der höchsten Arbeitslosenquoten mit mehr als 10'000 Arbeitslosen – gleichzeitig werden jedes Jahr Tausende neue Mitarbeiter aus dem EU-Raum in die Schweiz geholt, weil sie billiger sind. Hier muss das Volk mit unserer Initiative korrigierend einwirken. Und wir helfen mit – ich möchte wirklich das Versprechen abgeben: Wir helfen mit, eine einfache, unbürokratische Lösung zu finden, dass die benötigten Fachkräfte weiterhin reinkommen können.
Viele betroffene Branchen – etwa Gastro, Finanz oder Landwirtschaft – sind eng mit Ihrem Wählermilieu verbunden. Jetzt kritisieren Sie als SVP-Vertreter auch Ihre eigene Klientel.
Es sind alle gemeint, jeder einzelne Betrieb. Ich bin aber ziemlich sicher, dass viele SVP-KMU einen hohen Anteil von Schweizern beschäftigen. Es gibt so viele Beispiele von 60-jährigen Schweizerinnen und Schweizern, die gerne arbeiten möchten. Auch der Blick hat schon x-fach über Beispiele berichtet.
Die Verbände entgegnen, dass ihre Mitglieder auf qualifiziertes Personal angewiesen sind.
Ich bin überzeugt, dass die Schweizer Firmen weiterhin spezialisierte Fachkräfte aus dem Ausland holen können. So wie es vor der totalen Freizügigkeit jahrzehntelang der Fall war. Aber wir müssen uns selbst beschränken. Wir können uns dieses einseitige Wachstum nicht mehr leisten, wo einige profitieren, aber sehr viele verlieren. Die masslose Zuwanderung treibt die Wohnungspreise nach oben. Wir haben grosse Probleme an den Schulen, wenn kaum ein Kind mehr richtig Deutsch spricht. Es zeigt sich immer mehr, dass die Schweizerinnen und Schweizer die Nachteile tragen müssen, während der einzelne Konzern den Profit hat.
Jetzt tönen Sie wie ein Linker: Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren.
Unterdessen erkennen auch linke und grüne Wählerinnen und Wähler die negativen Auswirkungen der masslosen Zuwanderung.
Sind Sie mit Ihrer Haltung überhaupt noch eine Wirtschaftspartei?
Selbstverständlich. Wenn ich gerade sehe, wie die FDP ein völlig sinnloses Bürokratiemonster namens «Individualbesteuerung» unterstützt: Jeder Haushalt müsste künftig zwei Steuererklärungen ausfüllen. Das sind 1,7 Millionen zusätzliche Steuererklärungen. Die Kantone müssten Tausende neue Steuerbeamte einstellen.