Darum gehts
- Mauro Mantovani wurde von der Armee entlassen, nun tobt ein Rechtsstreit
- Der ehemalige Dozent verlor seinen Lehrauftrag an der ETH
- Er bestreitet alles und spricht von «konstruierten Kündigungsvorwürfen»
- Als Entschädigung fordert Mantovani eine Weiterbeschäftigung oder 24 Monatslöhne
Wie steht es um die Ukraine? Kann Trump den Krieg beenden? Ist Russland eine ernsthafte Bedrohung für Europa? Wenn solche Fragen aufkommen, ist Mauro Mantovani (61) gefragt. Sein Wort hat Gewicht. Jahrelang war er Strategieexperte und Dozent an der ETH-Militärakademie. Gerne ziehen ihn die Medien als Experten bei. Zuletzt in der «NZZ am Sonntag», da kommentierte er den Nutzen von Panzern. Oder Anfang Juni, da bat das SRF um seine Meinung zu neuen Artilleriesystemen.
2024 hat sich Mantovani von der ETH und der Armee getrennt. Das ist so weit bekannt. Was bislang aber unter Verschluss blieb: Die Armee hat Mantovani entlassen. Und seither tobt ein Rechtsstreit, eine Schlammschlacht, in der sich die Parteien gegenseitig schwere Vorwürfe machen.
Blick liegen die entscheidenden Dokumente in diesem Konflikt vor. Mantovani fühlt sich von der Armee zu Unrecht fallengelassen. Am Montag verhandelt das Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen seinen Fall. Im Zentrum steht die Frage, ob die Kündigung rechtens war. Doch letztlich geht es um mehr – um den Ruf eines Mannes, der seit Jahren zu den Top-Experten des Landes zählt.
Fazit: Note 1
Die Geschichte beginnt mit einem Brief. Im März 2024 erhält Mantovani eine Verfügung, ausgestellt vom Kommando Ausbildung der Schweizer Armee. Auf 17 Seiten, unterteilt in 70 Abschnitte, begründet die Armee minutiös, warum sie ihn entlässt. Es ist eine Chronologie der Eskalation – mit Daten, Gesprächen und einer langen Liste an Vorwürfen.
Ein erstes heikles Gespräch findet am 25. Januar 2023 statt. Dabei geht es um Mantovanis Job als Dozent an der ETH-Militärakademie. Der Experte erhält vorgetragen, wie die Armee seine Leistung im Zeitraum 2021/22 beurteilt. Und das Fazit fällt vernichtend aus: Gesamtnote 1 (von 4). Zahlreiche Ziele seien verfehlt worden, darunter in der Forschung. Für diesen Teilbereich gibt es ebenfalls die Note 1.
Mantovani musste ein Forschungsprojekt verfassen, mit dem Titel «Entwicklung der Schweizer Armee seit 1990». Das Manuskript, so heisst es in der Beurteilung, sei allerdings «ungenügend», der Text erfülle «keines der angestrebten Ziele» und entspreche nicht den «wissenschaftlichen Ansprüchen». Mantovani wehrt sich gegen diese Darstellung. Ein unabhängiger Experte prüft das Manuskript. Doch der externe Gutachter gelangt zum selben Schluss: Note 1.
Vorlesungen «nicht immer verstanden»
Monate vergehen, bis die nächste Beurteilung erfolgt. Diesmal erhält Mantovani die Gesamtnote 2 – doch im Bereich Lehre gibt es eine 1. Die Studierenden hätten seine Vorlesungen «nicht immer verstanden». Bereits in der vorherigen Bewertung hiess es: «Die Studierenden bemerkten, dass die Vorlesungen monoton und aufgrund der langsamen Sprechgeschwindigkeit ermüdend und schwerfällig seien.»
Der als «schlecht» beurteilte Unterricht hat Konsequenzen. Am 30. Oktober 2023 erhält Mantovani keinen neuen Lehrauftrag an der ETH ausgestellt – auf unbestimmte Zeit. Der zuständige Professor begründet den Entscheid auch damit, dass Mantovani bei Wiederholungsprüfungen die exakt gleichen Fragen verwendet habe – abgesehen von der Reihenfolge.
Mantovani war nun also Dozent ohne Lehrauftrag. Sein Arbeitgeber – die Armee – kam deshalb zum Schluss, er könne seinen Job nicht mehr vollumfänglich ausüben. Also bot man ihm eine neue Stelle an – als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einer anderen Abteilung, fünf Lohnklassen tiefer als bisher. Mantovani lehnte ab. Sein Vorgesetzter ordnete eine Zwangsversetzung an und leitete die Entlassung ein. Mantovanis letzter Arbeitstag war der 31. Juli 2024.
Vietnamreise als «mobiles Arbeiten»
Die Armee schreibt in der Verfügung von einer «schwerwiegenden Summe» an arbeitsrechtlichen Verletzungen. Mantovani habe unter anderem auch wiederholt «eigenmächtig Ferien» bezogen. Ein Beispiel: Mantovani wollte seine Tochter in Vietnam besuchen und die Reise als «mobiles Arbeiten» abrechnen. Sein Vorgesetzter habe nur per Zufall davon erfahren, einen Tag vor Abflug. In den Akten steht trocken: «Der Arbeitnehmer ist gleichwohl abgereist.»
Mantovani spricht von einem «Missverständnis» bei seiner Vietnamreise. Von «wiederholtem eigenmächtigem Ferienbezug» könne nicht die Rede sein. In einer 17-seitigen Beschwerde ans Gericht bestreitet er sämtliche «Kündigungsvorwürfe». Die Entlassung sei nicht nur «unrechtmässig», sondern auch «missbräuchlich».
In seiner Beschwerde betont Mantovani mehrmals, wie lange er für die Armee tätig war (25 Jahre). Und dass er stets «gute bis sehr gute Leistungen» erbracht habe. Die zwei Ausreisser (Gesamtnote 1 und 2) seien Einzelfälle – wenn überhaupt. Denn die ETH-Unterrichtsevaluation, die zur Beendigung seines Lehrauftrags führte, sei fraglich. Nur 6 von 14 Studierenden hätten daran teilgenommen. «Nicht einmal die halbe Klasse.»
Eine «konstruierte» Kündigung?
Mantovani findet, eine Ermahnung oder «mildere Massnahmen» wären angemessen gewesen. Sein Vorgesetzter innerhalb der Armee habe sich aber nicht gewehrt, «keine Rückendeckung» gewährt, als ihm die ETH den Lehrauftrag entzog. Dies zeige: Seine Entlassung sei von Anfang ein «Fait accompli» gewesen. In Wirklichkeit, so schreibt Mantovani, handle es sich um ein «verstecktes Spiel». Sein Vorgesetzter habe die Zusammenarbeit zwischen Militär und ETH neu ausrichten wollen – und Mantovani passe nicht mehr in dieses Konzept. Die Kündigungsgründe seien daher «konstruiert», um ihn «loszuwerden».
Mantovani galt in der Armee als Querdenker. Er stellte Grundsatzfragen, zweifelte etwa öffentlich an, ob Panzer und Artillerie noch von Nutzen seien, während die Offiziere in Bundesbern für mehr Rüstungsgelder weibeln. Mantovani vermutet deshalb, seine Vorgesetzten hätten die Gelegenheit genutzt, um ihn rauszuwerfen und durch einen genehmeren Nachfolger zu ersetzen. Heute arbeitet Marcel Berni (37) als Dozent für Strategische Studien an der ETH – und übernimmt damit jene Rolle, die früher Mantovani im Armee-Kosmos innehatte: den Medien Einschätzungen zu Militärfragen abgeben.
Mantovani fordert vor Gericht, dass ihn die Armee weiter unbefristet beschäftigt – oder alternativ 24 Monatslöhne als Entschädigung zahlt. Die Schlammschlacht ist noch nicht entschieden. Aber unbefleckt kommt keiner davon.