Seilziehen um PFAS
«Ewiges Gift» in der Umwelt: Wer zahlt für die Sanierungen?

Die Industriechemikalien PFAS verseuchen ganze Landstriche. Sanierungen kosten Millionen. Jetzt will der Bund die Industrie stärker zur Kasse bitten.
Publiziert: 31.05.2025 um 21:16 Uhr
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Aktualisiert: 02.06.2025 um 13:05 Uhr
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PFAS sind fett- und wasserabweisend. Sie werden etwa in Teflonpfannen, Outdoorbekleidung, Lebensmittelverpackungen oder Kosmetika eingesetzt.

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Tina Berg
Beobachter

Trinkwasserverbot beim Flughafen Basel, Verzögerung beim Neubau der Berner Fachhochschule: Überall müssen wegen der sogenannten Ewigkeitschemikalien Böden und Gewässer saniert werden.

«Das PFAS-Problem überrollt uns gerade alle von hinten. Das kann man nicht anders sagen», sagt Bettina Flury. Sie leitet die Sektion Altlasten beim Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft des Kantons Zürich. Momentan ist sie vor allem damit beschäftigt, überhaupt einmal etwas Licht ins Dunkel zu bringen rund um die gefährlichen Industriechemikalien. PFAS sind menschengemachte Stoffe, die sehr stabil, fett- und wasserabweisend sind. Sie werden deshalb etwa in Teflonpfannen, Outdoorbekleidung, Skiwachs, Lebensmittelverpackungen, Feuerlöschschäumen und Kosmetika eingesetzt.

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Möglicherweise krebserregend

In der Schweiz sind nur wenige PFAS verboten, die EU diskutiert aber zurzeit eine weitreichendere Begrenzung. Die Chemikalien gelten als möglicherweise krebserregend und werden mit einer Vielzahl an gesundheitlichen Problemen in Zusammenhang gebracht.

Momentan fordert das Thema die Behörden sehr, denn es gibt kein Inventar zur PFAS-Belastung in der Schweiz. Niemand weiss so genau, wo man überhaupt danach suchen muss. Und: Welche Betriebe und Branchen verwenden heute noch PFAS in ihren Produkten und Prozessen – und wissen die das selber? 

Im Kanton Zürich wurden deshalb Fische, Gewässer und Böden im Siedlungsgebiet und in der Landwirtschaft untersucht. Bettina Flury hat alle Gemeinden im Kanton angeschrieben und aufgefordert, Angaben über die Tätigkeiten ihrer Feuerwehren zu machen, weil Löschschaum vor allem früher PFAS enthielt. Zwar gibt es erste Resultate, aber noch kein belastbares Gesamtbild, sagt Flury.

Regionalgefängnis Altstätten SG: Das PFAS-belastete Material wird in geschlossenen Mulden abtransportiert.
Foto: Kanton St.Gallen

Im Kanton St. Gallen hat man bei gewissen Landwirtschaftsbetrieben bereits erhöhte PFAS-Werte entdeckt. Diese Betriebe müssen jetzt Massnahmen ergreifen, es droht ein Verkaufsverbot für ihr belastetes Fleisch.

«Zum ersten Mal mussten wir Massnahmen verfügen, die Produzentinnen und Konsumenten sehr direkt betreffen», sagt Niklas Joos, Leiter des St. Galler Umweltamts. «Das hat grosse Verunsicherung in der Landwirtschaft und Bevölkerung ausgelöst – und eine neue Dynamik.»

Sanieren und gleichzeitig neu verschmutzen

Bei PFAS-Verschmutzungen ist vieles anders als bei anderen Altlasten. «Wie man diese Stoffe reguliert, ist komplex und muss sorgfältig geprüft werden. Aus Sicht der Altlastensanierung am schwierigsten ist aber, dass manche der Chemikalien heute noch eingesetzt werden dürfen», sagt Christiane Wermeille, Abteilungschefin Abfall und Rohstoffe beim Bundesamt für Umwelt (Bafu). Sprich: Gleichzeitig, wie ein Ort saniert wird, wird anderswo weiter verschmutzt.

Grenzwert sehnlichst erwartet

Andere Altlasten wie PCB und Dioxine sind nicht so mobil. Sie bleiben im Boden und gelangen selten ins Grundwasser. PFAS hingegen sind sehr mobil und verbreiten sich überall hin. «Was wir jetzt herausfinden müssen: Ab wann gibt es einen Sanierungsbedarf, welche Belastung ist vertretbar? Wir können schliesslich nicht die halbe Schweiz sanieren», sagt Wermeille.

Auf dieses entscheidende Puzzleteil – einen national verbindlichen Grenzwert – warten kantonale Behörden sehnlichst. Bis 2026 soll er definiert sein.

Auch wenn das ganze Ausmass noch nicht bekannt ist: Mittlerweile ist doch immerhin klar, dass das Aufräumen der PFAS-Verschmutzung sehr aufwendig wird. Deshalb ist eine Frage zentral: Wer bezahlt das eigentlich? 

Gemäss Bafu-Spezialistin Wermeille gibt es bei den «üblichen Altlasten» klare finanzielle Regeln, die durch die Rechtsprechung x-mal bestätigt worden seien. Weil es dabei um viel Geld gehe, gebe es trotzdem viele Gerichtsfälle. Der Bund beteiligt sich mit dem Vasa-Altlastenfonds unter bestimmten Bedingungen an den Kosten, grundsätzlich aber gilt das Verursacherprinzip. 

Ein Protokoll lässt aufhorchen

Bei PFAS scheint der Fall nicht so klar. Das zeigt ein Protokoll einer Sitzung von Vertretern des Kantons Wallis und des Bundesamts für Umwelt vom Sommer 2023. Der Kanton hält fest, dass die hohen Kosten der Sanierung herausfordernd seien. Und weil rechtliche Grundlagen fehlten, sei es ausserdem schwierig, die Haftungsfrage zu klären. Und dann wirds interessant: «Das Bafu bringt die Möglichkeit, die Haftungsproblematik über die Produkthaftpflicht anzusprechen, ins Spiel», heisst es im Protokoll. 

Industrie stärker in die Pflicht nehmen

Was bedeutet das? Es gehe um eine mögliche Erweiterung des Verursacherprinzips, erklärt das Bafu auf Anfrage. Das klingt trocken, hat es aber in sich. Denn das könnte bedeuten, dass Firmen zum Beispiel nicht mehr nur für Verschmutzungen auf ihrem Gelände und im umliegenden Grundwasser oder Boden verantwortlich wären. Sondern dass sich künftig auch Herstellerinnen und Importeure finanziell an der Behebung von Schäden beteiligen müssten.

Das Bafu macht derzeit eine vertiefte Analyse, um Regelungslücken im Verursacherprinzip zu erkennen und zu schliessen. In der zweiten Jahreshälfte 2025 sollen voraussichtlich Resultate publiziert werden. Klar ist, dass das ein Paradigmenwechsel wäre, der die Industrie künftig viel stärker in die Pflicht nehmen würde als heute. 

Regionalgefängnis Altstätten SG: Das PFAS-belastete Material wird triagiert und zum Abtransport bereitgestellt.
Foto: Kanton St.Gallen

Das dürfte noch für Kontroversen sorgen. Immerhin geht es um ordentlich viel Geld. Das zeigt ein Beispiel aus St. Gallen. Auf dem ehemaligen Zivilschutz- und Feuerwehrübungsgelände beim Regionalgefängnis Altstätten musste vor dem geplanten Erweiterungsbau zuerst der verschmutzte Boden saniert werden.

Allein für die erste Etappe budgetierte der Kanton mehr als 17 Millionen Franken, wobei noch geklärt wird, welche Kosten am Ende tatsächlich wo hängen bleiben. Die zweite Sanierungsetappe steht noch bevor. Und kompliziert war es: 36’000 Tonnen schadstoffbelastetes Material wurden insgesamt entsorgt – auf Lastwagen und mit der Bahn musste es ins Ausland verfrachtet werden, weil die entsprechenden Anlagen in der Schweiz noch fehlen. Dort wurde ein Teil des Materials gewaschen, der andere bei mehr als 1000 Grad verbrannt. Nur so lassen sich die extrem stabilen PFAS zerstören.

Wallis: Aufwendige historische Untersuchung

Die zweite grössere PFAS-Sanierung der Schweiz zahlte die Firma Lonza. Ihr firmeneigener Brandübungsplatz in Visp war belastet. Weil die Lonza dort bauen wollte, musste sie zuerst sanieren. 25 Millionen Franken kostet das Unterfangen insgesamt – inklusive Behandlung und Überwachung des Grundwassers für die nächsten fünf bis zehn Jahre.

Die Grundwasserbelastung im Abstrom der ehemaligen Tamoil-Raffinerie in Collombey-Muraz im Kanton Wallis ist heute mit Hilfe von neun grossen Pumpen unter Kontrolle. Die Finanzierungsfrage der Sanierung ist komplizierter zu klären, sagt Christine Genolet-Leubin, Chefin der Walliser Dienststelle für Umwelt. «Dort machen wir momentan eine aufwendige historische Untersuchung, um einen Kostenteiler zwischen der Tamoil und der öffentlichen Hand zu finden.» Dafür steigt man tief ins Archiv, wertet Dokumente und Berichte aus – und berechnet, wer welche Verantwortung trägt.

Regionalgefängnis Altstätten SG: Der PFAS-belastete Untergrund wird schichtweise abgetragen, bis das Sanierungsziel erreicht ist.
Foto: Kanton St.Gallen

Dass bei PFAS-Sanierungen Gesetze und Gerichtsurteile fehlen, sei ein Problem für die Kantone, sagt Genolet-Leubin. «Je mehr wir untersuchen, desto mehr Belastung finden wir. Ich bin schon besorgt, wenn ich daran denke, wie wir das alles finanzieren sollen. Es geht neben den reinen Sanierungskosten ja auch um Studien zu verseuchten Fischen, zur Landwirtschaft und um jahrelange Überwachung und Behandlung des Wassers.» 

Eine gewisse Erleichterung für die Kantone bringt eine Anpassung des Umweltschutzgesetzes mit sich, die letzten Herbst beschlossen worden ist. Aus dem Vasa-Fonds für Altlastensanierung dürfen neu unter gewissen Umständen auch für PFAS-Sanierungen Gelder bezogen werden. 

Hinweis: Dieser Artikel wurde am 24. Oktober 2024 erstmals publiziert und am 28. Mai 2025 aktualisiert. 

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