Darum gehts
Am 10. November 2024 knallt es im Val d’Hérens im Zentralwallis: Die Wölfin F238 stirbt. Dabei hätte das Jungtier nie gejagt werden sollen. F238 ist ein Kollateralschaden der präventiven Wolfsjagd.
Damit ist die junge Wölfin in trauriger Gesellschaft. Von September 2024 bis Januar 2025 hat das Wallis 34 Wölfe geschossen. Nur die Hälfte davon gehörte zu einem vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) zum Abschuss freigegebenen Rudel. Das zeigen Verwandtschaftsanalysen aus dem Labor der Universität Lausanne, die SonntagsBlick gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz vorliegen. Die restlichen Tiere waren zur falschen Zeit am falschen Ort – wie F238, ein Welpe eines benachbarten Rudels.
Rudelkenntnisse sind zentral
Seit der Teilrevision des Jagdgesetzes 2023 wird der Wolf proaktiv reguliert: Im Herbst und Winter dürfen einzelne Wölfe oder ganze Rudel geschossen werden – auch ohne grossen Nutztier-Schaden. Das Bafu muss die Gesuche der Kantone für die Regulierung bewilligen. Die Kantone legen das Abschussgebiet anhand von gesammelten DNA-Proben, Fotofallen oder Beobachtungen fest. Das Revier muss präzise definiert werden – denn Wildhüter erkennen im Feld nicht, welchem Rudel ein Wolf angehört.
Umweltschützer werfen dem Wallis vor, bei diesem Monitoring grobe Fehler zu machen. David Gerke (40), Geschäftsführer der Gruppe Wolf Schweiz, kritisiert mangelndes Interesse an guter Überwachung. Die vielen unnötigen Abschüsse im Wallis resultierten aus schlechter Kenntnis der Rudelstrukturen. Gerke sagte bereits vor einem Jahr: «Für die Wolfsgegner im Wallis ist nur ein toter Wolf ein guter Wolf.»
Seit der Einführung der präventiven Jagd versucht das Wallis, möglichst ganze Rudel zu eliminieren. Gelungen ist das nicht. Bei der ersten Regulierung (Dezember 2023 und Januar 2024) wurden zwar 27 Wölfe getötet. Bereits damals zeigten die Analysen: Fast jeder zweite Abschuss betraf einen falschen Wolf. Bei der zweiten Regulierung stieg die Fehlerquote weiter. Rudel wurden destabilisiert statt ausgelöscht, was Überwachung und Regulation künftig erschwert.
Graubünden gilt als Musterschüler
Anders sieht das im zweiten «Wolfskanton» Graubünden aus. Hier wurden im letzten Herbst und Winter 48 Wölfe geschossen, davon nur fünf ohne Rudelzuordnung. Grund dafür ist unter anderem der andere Ansatz: Graubünden konzentriert sich auf den Abschuss von Jungwölfen, die sogenannte Teilregulierung.
Das ermöglicht eine viel zielgenauere Jagd, ist aber deutlich aufwendiger, da nicht auf alle Wölfe im Abschussgebiet angelegt werden darf. Die Jagd auf Jungtiere stoppte Graubünden Anfang Jahr frühzeitig, weil Jungwölfe Grösse und Gewicht erwachsener Wölfe erreichten – das Risiko von Fehlabschüssen wurde zu gross.
Für Umweltschützer gilt Graubünden deshalb als Musterschüler, das Wallis als Rüpel auf dem Pausenplatz. Für Gerke ist klar: Das Bafu muss beim Wallis wegen der vielen rudelfremden Abschüsse noch genauer hinschauen. «Das Bundesamt ist eine Prüfbehörde», sagt er, die Dossiers und besonders die beantragten Abschussgebiete müssten kritischer durchleuchtet werden.
Die Walliser Dienststelle für Jagd, Fischerei und Wildtiere verweist auf Anfrage darauf, dass alle Abschüsse legal erfolgt seien: Jeder Wolf im definierten Gebiet darf geschossen werden, egal, ob er zum Problemrudel gehört oder nicht. Plant das Wallis trotzdem Massnahmen gegen rudelfremde Abschüsse? Die Dienststelle betont, auch künftig alle Abschüsse im bewilligten Perimeter vorzunehmen. Auf Kritik der Gruppe Wolf Schweiz antwortet der Kanton, das Monitoring der Grossraubtiere im Wallis sei bereits «stark ausgebaut».
Bundesamt für Umwelt: kein Kommentar
Unterstützung erhalten die Walliser Behörden vom Bafu. «Die Erfahrungen aus den bisherigen Regulierungen zeigen, dass die Kantone bei der Umsetzung mit der gebotenen Sorgfalt vorgehen», schreibt das Amt. Der Bund tausche sich regelmässig mit Kantonen aus, um den Vollzug der Wolfsregulierung zu vereinfachen und zu vereinheitlichen.
Die hohe Zahl rudelfremder Abschüsse im Wallis kommentiert das Bafu nicht, betont aber, dass solche auch künftig nicht ausgeschlossen werden könnten. Trotz Rudelverteidigung streiften fremde Tiere durch das Revier, beispielsweise umherziehende Einzelwölfe.
Gerke bestreitet das nicht und lobt die Arbeit der Wildhüter insgesamt. Dennoch ist er überzeugt, dass unnötige Abschüsse wie jener von F238 mit politischem Willen deutlich reduziert werden könnten.
Doch welcher Ansatz ist für die Reduktion von Nutztierrissen während des Schweizer Alpsommers effektiver? Der Versuch des Wallis, ganze Rudel auszulöschen, oder die gezielte Jagd auf Jungtiere der Graubündner Wildhut? Die Stiftung Kora gibt an, im Rahmen von zwei Doktorarbeiten die Auswirkungen der präventiven Wolfsjagd zu untersuchen. Für wissenschaftlich fundierte Antworten sei es zu früh.