EU-Knatsch in der FDP
Cassis interveniert bei der Parteispitze

Die FDP ist in der Europa-Frage tief gespalten. Parteimitglieder geben mit Sololäufen zu reden. Nach der Einigung zum Lohnschutzpaket gab man sich zurückhaltend. Bei Aussenminister Ignazio Cassis kam das nicht gut an: Er beschwerte sich bei der Parteispitze.
Publiziert: 30.03.2025 um 08:54 Uhr
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Aktualisiert: 30.03.2025 um 13:51 Uhr
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Vergangene Woche präsentierten Guy Parmelin und Staatssekretärin Helene Budliger Artieda ein Massnahmenpaket für den Lohnschutz.
Foto: keystone-sda.ch

Darum gehts

  • FDP ringt um Position zu EU-Verträgen, Cassis kritisiert Parteihaltung
  • Partei plant Delegiertenversammlung im Oktober zur offiziellen Positionierung
  • Zwölf Personen sollen Haltung erarbeiten, sechs kritisch, sechs befürwortend
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Eigentlich herrschte letzte Woche Aufbruchstimmung in Bundesbern. Wirtschaftsminister Guy Parmelin (65, SVP) präsentierte ein Massnahmenpaket, das den Lohnschutz in der Schweiz sichern soll. Es war ein Wendepunkt im Ringen um die neuen EU-Verträge. Zuvor haben Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände monatelang verhandelt und öffentlich Spitzen gegeneinander ausgeteilt. Mit den Gewerkschaften im Boot schien der Weg für eine breite Europa-Allianz geebnet: alle gegen die SVP. Die Grünen jubelten bereits: «Weg frei für die Bilateralen», schrieben sie.

Wenig Enthusiasmus kam hingegen von der Wirtschaftspartei FDP. Das Generalsekretariat gab eine interne Sprachregelung raus, die Blick vorliegt. Darin steht etwa: «Die FDP wird die neuen Verträge mit der EU inkl. der innenpolitischen Begleitmassnahmen bewerten, wenn sie vorliegen. Entscheidend für die Beurteilung ist, dass die Vorteile für die Bevölkerung und die Unternehmen überwiegen.» Das Motto ist klar: Zurückhaltung.

Bei Aussenminister Ignazio Cassis (63) sorgte das für Unmut. Nachdem sich sogar die Wirtschaftsverbände zu einer Einigung durchringen konnten, war die FDP-Kommunikation doch etwas arg unterkühlt. Dem Vernehmen nach beschwerte sich Cassis per E-Mail bei Parteichef Thierry Burkart (49) und dem Fraktionspräsidenten Damien Cottier (49). Der Aussenminister zeigte sich enttäuscht über die Position seiner Partei.

Das Vorgehen offenbart, wie blank die Nerven beim EDA-Vorsteher liegen. Cassis' grösster politischer Erfolg ist für ihn zum Greifen nahe. Jetzt droht ihn ausgerechnet die eigene Partei alleine zu lassen.

Sowohl Cottier als auch Burkart wollen dazu keine Stellung nehmen. Das Aussendepartement schreibt auf Anfrage: «Bundesrat Cassis tauscht sich regelmässig mit der Spitze der FDP aus. Zu den Inhalten äussern wir uns nicht.»

Gespaltene Partei

Die Intervention von Cassis ist nur das letzte Kapitel im Ringen der FDP um eine Position im EU-Dossier. Erst an der Delegiertenversammlung im Oktober will die Partei offiziell zum neuen Vertrag Position beziehen. Bis dahin soll ein Rat aus zwölf Personen eine Haltung erarbeiten, mit der alle leben können – sechs davon beurteilen die neuen Verträge kritisch, sechs befürworten sie.

Es ist eine schier unmögliche Aufgabe, denn die Partei ist tief gespalten. Eigentlich haben die Mitglieder die Anweisung erhalten, sich mit Äusserungen im Namen der Partei zurückzuhalten. Doch unterdessen tragen einige Köpfe den Richtungsstreit, der in der Partei schwelt, öffentlich aus.

Zuletzt gab FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen (43) mit einem Sololauf in der «SonntagsZeitung» zu reden. Er äusserte Kritik an den Lohnschutzmassnahmen: «Ich bin klar gegen diese Massnahmen unter dem Deckmantel des Lohnschutzes», so Wasserfallen. Der Bundesrat, Economiesuisse und der Arbeitgeberverband seien vor den Gewerkschaften eingeknickt. «So kommt es heraus, wenn man auf Gedeih und Verderb die Linken im Boot haben muss.»

Michel vs. Wasserfallen

Bei seinem Gegenspieler, dem Nationalrat und Ypsomed-Unternehmer Simon Michel (48), sorgte das für Missfallen. Er gilt als prominenter Verfechter der neuen Verträge – auch er tut seine Ansichten regelmässig in den Medien kund. Nun teilt er direkt gegen sein Parteigspänli Wasserfallen aus: Arbeitgeber und Gewerkschaften hätten Dutzende Runden verhandelt, der Schulterschluss sei ein grosser Erfolg. «Ich finde es ungeschickt, dass sich Wasserfallen so kurz danach kritisch äussert, denn die Inhalte sind noch gar nicht bekannt», so Michel. «Wenn die Arbeits- und Wirtschaftsverbände grünes Licht geben, kann das Ergebnis gar nicht so schlecht sein, wie er sagt.»

Pikant: Die Antipoden Michel und Wasserfallen sind privat verbandelt. Die Lebenspartnerin von Christian Wasserfallen, Alexandra Thalhammer, ist persönliche Mitarbeiterin von Simon Michel. Sie ist Senior Consultant bei Furrerhugi und unterstützt Michel inhaltlich und organisatorisch in einem Mandat von 40 bis 50 Prozent.

Auch bei anderen prominenten Parteimitgliedern kam Wasserfallens Kritik nach dem Lohnschutz-Meilenstein nicht gut an. Hinter vorgehaltener Hand äussern sie ihr Missfallen über das Vorpreschen.

Wasserfallen nimmt den Unmut seiner Parteikollegen gelassen: «Dicke Luft gehört manchmal dazu, gerade bei einem Thema, bei dem es verschiedene Ansichten gibt.»

Gelingt es Parteiboss Thierry Burkart und Fraktionschef Damien Cottier, die Fliehkräfte der FDP bis Oktober auf eine gemeinsame Linie zu bringen? Ausgang ungewiss.

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