Darum gehts
- Rösti zieht Notbremse nach Schlappe beim Autobahn-Ausbau und explodierenden Bahnkosten
- ETH-Professor Ulrich Weidmann präsentiert Analyse zur Verkehrsinfrastruktur
- Bahnausbau bis 2035 kostet über 30 Milliarden statt ursprünglich 16,4 Milliarden
Es war eine Schlappe für den erfolgsverwöhnten SVP-Bundesrat Albert Rösti (58): Vor einem Jahr lehnte die Schweiz den Autobahn-Ausbau ab. Kaum verdaut, folgte der nächste Schock: Die Kosten für den Bahnausbau bis 2035 explodieren. Rösti zog die Notbremse und beauftragte ETH-Professor Ulrich Weidmann (62) mit einer Analyse der Verkehrsprojekte. 500 Projekte hat er priorisiert. Eine Auswahl.
Region Zürich
Die Lücken bei der Oberlandautobahn sollen geschlossen werden, der Zimmerberg-Basistunnel und das vierte Gleis beim Bahnhof Stadelhofen wurden ebenfalls priorisiert. Das sei ein «essenzielles Projekt», so Weidmann.
Warten müssen hingegen die Glattalautobahn und der Fäsenstaubtunnel bei Schaffhausen. Eine teure Direktverbindung von Zürich bis Aarau wird es wohl erst nach 2045 geben.
Gar nicht erst überprüft wurde ein Milliardenprojekt zwischen Zürich und Winterthur, das mehr Gleise und den Ausbau des Brüttener Tunnel vorsieht. Dieses Projekt ist bereits gesichert.
Region Basel
Zu einem Rheintunnel hat das Volk im November 2024 eigentlich Nein gesagt. Eigentlich, denn Weidmann verteilt dem Projekt erste Priorität. Der Bahnhof Basel SBB, Westkopf inklusive Margarethenbrücke, soll ausgebaut werden, die Priorität liegt auf dem Tramausbau. «Dies als Zwischenschritt», so Weidmann. Ein angedachter Tiefenbahnhof des Bahnhofs Basel wird jedoch hintangestellt, da man dort noch nicht bereit sei.
Region Luzern
Die Bahnachse Zürich–Zug–Luzern sollte gestärkt werden. Der Bahnhof Luzern müsste dafür unterirdisch ausgebaut werden. Dieses Projekt erhält Rückenwind durch den Weidmann-Bericht.
Romandie
In der Romandie müssen Kapazitätsengpässe behoben werden – zum Beispiel auf der Strecke zwischen Genf und Lausanne, die teilweise nur einspurig befahren wird. «Wir erachten das als prioritär, weil das ein sehr fragiler Bereich ist», so Weidmann. Gleichzeitig werden Autobahnprojekte zurückgestellt.
Ostschweiz
In St. Gallen soll der Rosenbergtunnel trotz Volksnein wieder in die Diskussion aufgenommen werden. Auch der Doppelspurausbau bei der Bahnstrecke Walensee soll priorisiert werden.
Region Bern / Neuenburg
Die Strecke von Neuenburg bis La Chaux-de-Fonds NE und der Grimseltunnel haben eine grosse Bedeutung für die Region. Das sei eine «Option für die Zukunft», so Weidmann.
Basel sauer
Doch entscheiden kann Weidmann nichts, er hat nur die Vorarbeit geleistet. Die Projekte bestimmen nun Bundesrat und Parlament. Verkehrsminister Rösti liess sich jedoch noch nicht in die Karten schauen. Erst im Januar legt er dem Bundesrat seine Vorschläge vor.
Es brauche zuerst umfassende Diskussionen mit den Kantonen, so der Verkehrsminister. In Basel ist man beispielsweise gar nicht erfreut über das Ergebnis der ETH: Bau- und Verkehrsdirektorin Esther Keller (41, GLP) warnt sogar vor einem Verkehrschaos.
Bahnausbau möglicherweise mit neuen Einnahmen
Gleichzeitig soll Rösti einen Vorschlag ausarbeiten, wie mehr Geld für den Bahnausbau zur Verfügung stehen könnte. Der sogenannte Bahninfrastrukturfonds, der die Schweizer Schienen seit einigen Jahren finanziert, steht unter Druck – unter anderem aufgrund des Spardrucks des Bundes und wegfallender Mehrwertsteueranteile.
Nun braucht es also wohl mehr Einnahmen. Denkbar ist etwa eine Verlängerung des befristeten Mehrwertsteueranteils, der in den Geldtopf fliesst. Bleiben die Einnahmen so, wie sie sind, müssten wohl insbesondere Projekte in der Romandie hinten anstehen.
Kritik von den Grünen
Kritik kommt auch von den Grünen. Sie stören sich daran, dass die beiden Autobahntunnel in Basel und St. Gallen wieder priorisiert werden. Die restlichen vier Projekte, die vom Volk verworfen wurden, hat der Weidmann-Bericht zumindest zurückgeschoben. Dort komme man mit Pannenstreifen-Umnutzung und anderen Massnahmen «die nächsten 20 Jahre durch». Dennoch: Nach 2045 könnte auch dort gebaut werden.
Bundesrat Rösti stört das nicht. Das Volk habe nicht über einzelne Projekte abgestimmt, sondern über das ganze Paket. Ein Referendum sei zudem weiterhin möglich. Das Volk kann also ein zweites Mal Nein sagen, wenn es nicht überzeugt ist.
GLP fordert clevere Verkehrsplanung
Die GLP fordert statt möglich viel Ausbau eine clevere Nutzung. «Mehr Verkehrsintelligenz statt Beton muss der Weg der Zukunft sein», sagt GLP-Präsident Jürg Grossen in einer Medienmitteilung. Der Bericht gehe zu weit, so die Partei.
Grüne kritisieren Rösti
Der von Bundesrat Albert Rösti und dem Verkehrsdepartement in Auftrag gegebene Bericht der ETH Zürich zur Schweizer Verkehrsinfrastruktur kommt vielerorts nicht gut an. Bemängelt werden das Comeback der Autobahnausbauten und die im Vergleich dazu geringe Priorisierung von Bahn- und Agglomerationsprojekten.
Abgelehnte Projekte kämen erneut auf den Tisch und der im vergangenen November an der Urne abgelehnte Autobahnausbau werde untergraben, teilten die Grünen am Donnerstag mit. «Mit diesem Bericht bestellt Rösti neue Autobahnen im Umfang von neun Milliarden Franken», wird Präsidentin Lisa Mazzone zitiert. Die dringend nötige Diskussion über eine nachhaltige Zukunftsvision der Mobilität finde in diesem Gutachten nicht statt.
Auch die verkehrspolitische Umweltorganisation Umverkehr verurteilt das Comeback der abgelehnten Autobahnausbauten. Falls die Politik dieses Vorgehen nicht stoppe, werde das Referendum ergriffen, hiess es in ihrer Medienmitteilung. Es überrasche nicht, dass der Bericht von ETH-Professor Ulrich Weidmann grösstenteils seinem Auftraggeber Rösti folge. Der Autobahnausbau sei klimaschädlich und verhindere daher die gesetzlich verankerten und von der Bevölkerung beschlossenen Klimaziele.
Eine Gesamtschau des Verkehrsnetzes sei sinnvoll, aber ohne Kapazitätserweiterungen auf dem Nationalstrassennetz, schrieb der Verkehrs-Club der Schweiz (VCS). Der VCS fordere stattdessen, dass Projekte für Bahn-, Bus-, Velo- und Fussverkehr finanzpolitisch und planerisch priorisiert werden. Diese würden zur Verkehrswende beitragen und einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Schienenausbauten sollen Vorrang vor Strassenausbauten haben.
An den Strassenrand verdammt werde das Velo. Es spiele keine Rolle in den Verkehrsüberlegungen des Bundesrats bis Ende 2045, teilte der Verein Pro Velo Schweiz mit. Er fordert ein Umdenken bei der Verteilung der finanziellen Mittel, insbesondere mit Blick auf die Umsetzung des Veloweggesetzes.
Die SP forderte den Bundesrat dazu auf, die Bahninfrastruktur sowie Agglomerationsprojekte zu priorisieren und die Investitionen in diesen Projekten zu garantieren. Nur so könne ein Mobilitätssystem sichergestellt werden, das die regionale und soziale Gleichstellung, die Versorgungssicherheit, die Klima- und Umweltverträglichkeit und die Bewegungsfreiheit der Menschen gewährleistet, schrieb die Partei.
Die Interessensgemeinschaft öffentlicher Verkehr verlangte, dass der Bahninfrastrukturfonds um zehn Milliarden auf 24 Milliarden aufgestockt wird. Nur mit einer solchen Aufstockung seien die wichtigen Ausbauten möglich, die dringend erforderlich seien, um das Angebot zu erhöhen und die erhoffte Nachfragesteigerung auf der Bahn zu bewältigen.
Im Allgemeinen positiver bewertet wird der ETH-Bericht vom Touring Club Schweiz (TCS). Der Bericht schaffe eine wichtige Grundlage für die Weiterentwicklung der Verkehrsinfrastruktur, schrieb der TCS. Es sei insbesondere positiv, dass der Bericht straffere Planungs- und Bewilligungsprozesse empfehle. Die momentan lang andauernden Verfahren gefährdeten den Ausbau der Infrastruktur.
Die Kantone begrüssen die ganzheitliche Betrachtung der Mobilität und die Fokussierung auf die Bedürfnisse der Menschen. Das teilten die Konferenzen der kantonalen Direktorinnen und Direktoren für Verkehr sowie Bau, Planung und Umwelt mit. Sie fordern nun eine sichere und ausreichende Finanzierung der Infrastrukturprojekte. Insbesondere im Hinblick auf die klimapolitischen Ziele, welche sich die Schweiz gesetzt hat. (SDA)
Medienkonferenz beendet
Damit ist die Medienkonferenz beendet. In Kürze folgt hier eine Zusammenfassung.
Mehrere Abstimmungen möglich
Das Referendum bleibt sowohl für Strassen- als auch Bahnprojekte möglich. Dazu muss die Schweiz möglicherweise über die Verlängerung des Mehrwertsteuer-Zuschusses entscheiden. Das könne am gleichen Tag sein, müsse aber nicht, so Rösti. Das hänge auch vom Zeitplan des Parlaments ab.
Autobahn-Projekte «nicht bedenklich»
Rösti findet es «nicht bedenklich», dass die sechs Autobahnprojekte nun wieder aufs Tapet kommen. Das Volk habe nicht über einzelne Projekte abgestimmt, sondern über das ganze Paket.
Weiterhin sei ein Referendum möglich, das Volk könne nochmals «Nein» sagen. Es sei Teil der Politik, neue Lösungen zu suchen. «Mit diesem Nein wurde kein Problem.» Es sei aber kein Problem, solange das Volk erneut abstimmen könne.
Kampf um Mehrwertsteuerpromille
Ein kleiner Teil der Mehrwertsteuer wird für den Bahnausbau verwendet. Das ist befristet und müsste verlängert werden. Rösti sagt, es gäbe einen Vorstoss im Parlament, der genau das fordert. Dazu kämen weitere «gute Argumente» im Bericht.
Keine Verzögerungen, bis Parlament entschieden hat
Solange das Parlament nicht entschieden hat, soll es keine Verzögerungen geben, verspricht Rösti.
Die Schweiz verfüge über eine gute Infrastruktur. «Mein Ziel ist es, dass das auch in Zukunft so ist.» Nun gelte es, die Weichen für die nächsten Jahre zu stellen.
Abstimmung über Autobahn und Bahn separat
Neu soll es eine gemeinsame Vernehmlassung für Strassen und Bahn geben. Damit will man eine Gesamtsicht bieten. Auch Projekte nach 2045 könnten dort angesprochen werden.
Das Referendum an der Urne soll aber separat über Bahn und Nationalstrasse stattfinden.
9 Milliarden Franken für die Strasse
Für die Strasse stehen 9 Milliarden zur Verfügung. Für 4 Milliarden wird bereits gebaut oder geplant. «Das zeigt auch das Verhältnis von Bahn und Strassen.» Das Geld müsse nicht zwingend ausgeschöpft werden.
Mehr Geld für die Bahn?
Rösti muss eine Variante prüfen, die mehr Geld für den Bahnfonds vorsieht. Seit einigen Jahren werden unsere Schienen über eine Art Bahn-Zaubertopf finanziert. Der Bahninfrastrukturfonds wird kontinuierlich gespeist: Ein Teil der Mineralölsteuer fliesst hinein, ebenso Anteile aus der Mehrwertsteuer, dazu kommen Beiträge von Bund und Kantonen sowie Einnahmen aus den Trassenpreisen der Bahnbetreiber.
Auf den Fond kommen nun grosse Herausforderungen zu. Der Bundesbeitrag soll weniger werden, die MWST-Anteile sind zeitlich befristet und Vorschüsse müssen zurückgezahlt werden.
Rösti nennt als mögliche Massnahme unter anderem die Verlängerung der Mehrwertsteuer-Anteile. So könnte man auch Weidmanns teuere Variante umsetzen.
Bei der 14-Milliarden-Variante müsse man «sehr harte» Entscheide treffen. Mit den 24 Milliarden sei mehr möglich.
«Die bisherigen Beschlüsse umfassen ein Projektvolumen von 28 Milliarden, davon wurden 16 Milliarden nicht mehr überprüft», erinnert er.
Wird die 24-Milliarden-Variante gewählt, würde man wohl 2 Milliarden Franken pro Jahr ausgegeben.