Darum gehts
- SVP-Initiative gegen Bevölkerungswachstum: Beratungen im Nationalrat
- Gegner warnen vor Gefährdung der bilateralen Verträge mit der EU
- Schweizer Bevölkerung nähert sich 9,1 Millionen, SVP will 10-Millionen-Grenze verhindern
Die kurze Zusammenfassung: Was bisher in der Debatte geschah
Der Nationalrat hat am Montag mit der Debatte zur SVP-Initiative «Keine 10 Millionen-Schweiz» begonnen. Es gab aber so viele Parlamentsmitglieder, die sprechen wollten (115 insgesamt!), dass die Debatte am Donnerstag fortgeführt wird.
In der Sitzung am Montag waren die Meinungen längst gemacht. In der Debatte ging es den Parteien vor allem darum, ihre Argumente öffentlichkeitswirksam zu präsentieren.
- Die SVP warnt vor einer Schweiz, deren Infrastruktur nicht mehr nachkommt: Zu teure Mieten, verstopfte Strassen, überfüllte Züge, Kriminalität, etc. seien die Folge der Zuwanderung, die die SVP konsequent als «masslos» bezeichnet.
- GLP, Mitte, SP, Grüne und FDP sind gegen die Initiative. Sie warnen davor, dass der Schweiz Fachkräfte fehlen würden, etwa im Pflegebereich. Zudem gefährde die Initiative die Bilateralen Verträge mit der EU. Würden diese wegfallen, schade sich die Schweiz wirtschaftlich selbst.
- Ein weiteres Argument der Gegner: Ohne die Zuwanderung seien in der immer älter werdenden Schweiz auch die Finanzierung der Renten und Sozialsysteme nicht mehr gesichert.
- Die Mitte befürchtet, dass die Initiative vom Volk angenommen werden könnte. Deshalb hat sie einen Gegenvorschlag eingebracht. Dieser will konkrete Massnahmen, wenn die Bevölkerung 9,5 Millionen erreicht. Die Bilateralen Verträge sollen dabei aber nicht gefährdet werden. Die Chancen sind nicht gross. Die GLP will dagegen Massnahmen prüfen, damit ältere Arbeitnehmende mehr arbeiten, bzw. häufiger angestellt werden.
Die ausführlichen Argumente der Parteien findest Du unten im Ticker.
Fertig mit der Debatte
Abruptes Ende: Nationalrats-Vize Pierre-André Page unterbricht die Debatte. Sie wird nun unterbrochen und am Donnerstag fortgeführt.
FDP-Nantermod: Infrastruktur braucht Aufmerksamkeit
FDP-Redner Philippe Nantermod warnt: Wenn die Schweiz nicht wachse, sterbe sie einen Tod in Raten. Denn die Schweiz könne sich nicht alleine erneuern. Die Bevölkerung werde rasch älter, es gebe zu wenige Geburten. Der Walliser Nationalrat betont: Es gebe Städte in der Welt, wo man mit mehr als 10 Millionen Einwohnern ganz gut leben könne. Wichtig seien aber die Infrastrukturen. Er fragt sich, wie die SVP auf 10 Millionen komme und warum nicht bei 8 oder 12 Millionen Schluss sein soll. Für Nantermod ist klar: Letztlich zielt die Initiative auf die Kündigung der Bilateralen Verträge ab.
SVP-Burgherr: «Es kommen die Falschen»
«Wie kann es sein, dass wir nach 20 Jahren und 2 Millionen Personen Zuwanderung noch immer zu wenig Arbeitskräfte haben?», fragt sich SVP-Nationalrat Thomas Burgherr und antwortet gleich selbst: «Es kommen die Falschen.» Zudem entwickle sich ein Teufelskreis. Wer zuwandere sorge dafür, dass wieder neue Arbeitskräfte benötigt würden, etwa weil die Infrastruktur ausgebaut werden müsse.
SVP-Guggisberg: 450'000 neue Wohnungen nötig
SVP-Nationalrat Lars Guggisberg bringt doch noch neue, konrketere Argumente. Er warnt, dass die Schweiz massiv gefordert wäre, wenn sie von 9 auf 10 Millionen Einwohner wachse: Nötig wären 450'000 zusätzliche Wohnungen, eine halbe Million mehr Arbeitsplätze und damit neue Bürogebäude, zehn Prozent mehr Busse, Trams und Züge, neue Schulhäuser, zusätzliche Spitalbetten.
SVP-Büchel: «Herr Flach, Sie kommen flach raus»
Der St. Galler Nationalrat Roland Rino Büchel kommt auf das Bruttoinlandprodukt zu sprechen. Zwar ist dieses in den letzten Jahren gestiegen. Aber schaue man sich das Bruttoinlandprodukt pro Kopf an, sei diese nicht genügend gewachsen. Das sei entscheidend. «Was bringt es, wenn das Bruttoinlandprodukt wächst, aber es der Bevölkerung nicht besser geht?», fragt Büchel. Dann sorgt er für ein Raunen im Saal: Büchel greift seinen Vorredner Beat Flach (GLP) an. Zu dessen Argumenten sagt er: «Herr Flach, Sie kommen flach raus!»
Übrigens: Bei der Gegenseite sieht es nicht anders aus als bei der SVP. Jetzt betont GLP-Nationalrat Beacht Flach, wie wichtig die Fachkräfte seien. Auch das hatten seine Vorredner schon vielfach erwähnt. Flach fordert, dass schneller gebaut werden kann.
SVP: Wohnungsnot wiederholt sich
Noch ein Redner der SVP: Auch der Waadtländer Nationalrat Michaël Buffat spricht die Probleme auf dem Wohnungsmarkt an. Wie schon einige Redner vor ihm. Im Ständerat gilt: Argumente, die schon gebracht worden sind, wiederholt man nicht. Der Nationalrat kennt ein solches ungeschriebenes Gesetz nicht.
Mitte-Meier: «Wer starr deckelt, schadet zuerst den Kleinen.»
Mitte-Nationalrat Andreas Meier spricht die Wachstumsschmerzen der Schweiz an. «Diese müssen wir ernst nehmen.» Die Initiative klinge gut, sei aber gefährlich. Am Ende würde sie den Druck nicht mindern, sondern verschärfen. Renten und Sozialwerke würden leiden. «Die starre Regelung blendet Realitäten aus.» Seine Eltern hätten früher wegen der Kontingente die nötigen Personen im Kleinbetrieb nicht anstellen können. «Wer starr deckelt, schadet zuerst den Kleinen.»
Die Rednerliste ist lang. Sehr lang
Es braucht etwas Geduld, liebe Leserinnen und Leser: Jetzt spricht gerade die Genfer Nationalrätin Céline Amaudruz. Doch nach ihr haben sich noch 110 Ratsmitglieder (! – in Worten: hundertzehn) als Einzelrednerinnen und -redner eintragen lassen. Entscheide wird der Nationalrat deshalb heute möglicherweise noch keine fällen. Dann wird die Debatte am kommenden Donnerstag fortgesetzt.
Fast 9,1 Millionen Menschen leben in der Schweiz. Und viel mehr sollen es nicht werden, wenn es nach der SVP geht. Sie will mit ihrer Initiative «Keine 10-Millionen-Schweiz» verhindern, dass bis 2050 die Schweiz weiter wächst und dereinst die 10-Millionen-Marke erreicht.
Am Montag beginnt der Nationalrat mit den Beratungen zur Initiative. Zwei Themen werden im Raum stehen: Gegnerinnen und Gegner der Initiative werden andere Möglichkeiten zur Beschränkung des Zuwanderungs-Anstiegs ins Feld führen – und die Wichtigkeit von ausländischen Arbeitskräften betonen, etwa in der Pflege. Und die Gegnerinnen und Gegner dürften die Wichtigkeit der bilateralen Verträge mit der EU hervorheben.
Gegner sagen: Initiative gefährdet Wohlstand
Denn die Initiative könnte aus ihrer Sicht diese Verträge gefährden. Das Volksbegehren sieht nämlich vor, dass der Bund Massnahmen ergreifen muss, wenn die Bevölkerung die 9,5-Millionen-Grenze knackt. Nützen diese nicht, müsste letztlich das Freizügigkeitsabkommen mit der EU gekündigt werden.
Aus Sicht des Bundesrates würde dies nicht nur der Schweizer Wirtschaft schaden. Er befürchtet auch eine stärkere Zuwanderung ins Asylsystem, wenn die Schweiz nicht mehr am europäischen Schengen-Dublin-System teilnehmen könnte.
SVP warnt vor höheren Mieten
Die SVP dagegen warnt vor einer «regelrechten Bevölkerungsexplosion», die die Infrastruktur überfordere, der Natur schade und für höhere Mietkosten sorge.
Das Parlament könnte nun einen Gegenvorschlag erarbeiten. Danach sieht es derzeit aber nicht aus. Der Bundesrat selbst wollte keinen Gegenvorschlag zur Initiative, sondern stattdessen beim Asylsystem ansetzen, beim Arbeitskräftepotenzial im Inland und beim Wohnungsmarkt.
Blick berichtet am Montagnachmittag live von der Debatte.