«Ich tippe, die Schweiz kommt in den Final»
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FC Länggasse im EM-Fieber:«Ich tippe, die Schweiz kommt in den Final»

Alarm in den Gemeinden – Fussballplätze fehlen
«Wir platzen aus allen Nähten»

So wie der FC Länggasse in Bern kämpfen viele Schweizer Vereine um genügend Spielfläche. Es wird umgezont, verhandelt, verdrängt. Und die Frauen-EM dürfte den Verteilkampf noch verschärfen. Welche Lösungen gibt es?
Publiziert: 23.06.2025 um 00:39 Uhr
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Aktualisiert: 23.06.2025 um 07:41 Uhr
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Thomas D'Ascoli ist Juniorenobmann und Vizepräsident beim FC Länggasse in Bern.
Foto: Thomas Meier

Darum gehts

  • Fussballvereine im ganzen Land leiden unter Platzmangel
  • Frauen-EM könnte zusätzliche Herausforderung werden
  • Fussballverband arbeitet derzeit an Lösungen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Thomas D'Ascoli (41) kickt einen Ball weg, die Fussballplätze hinter ihm sind rappelvoll. Bei schwüler Sommerhitze trainieren die Junioren des FC Länggasse in grell-orangen Trikots. Eine Hälfte des Platzes muss dafür reichen – auf dem gleichen Feld wollen auch noch 30 andere Kinder tschutten.

«Wir platzen aus allen Nähten», sagt D'Ascoli. Er ist Juniorenobmann und Vizepräsident beim FC Länggasse. Am Samstag feierte der Stadtberner Verein sein 115-Jahr-Jubiläum – in den vergangenen 15 Jahren hat sich die Spieleranzahl verdoppelt, 200 Mitglieder sind dazugekommen. Kürzlich musste der Verein einen temporären Aufnahmestopp verhängen. Obwohl so viele Kinder spielen möchten, kann er kaum neue Teams gründen: «Dazu fehlt uns schlicht der Rasen», so D'Ascoli.

Frauen-EM wird «enorme Herausforderung»

Mit der bevorstehenden Fussball-Europameisterschaft der Frauen dürfte sich das Problem weiter zuspitzen. Der Schweizerische Fussballverband (SFV) hat sich nämlich zum Ziel gesetzt, die Anzahl der fussballspielenden Mädchen und Frauen in der Schweiz bis 2027 zu verdoppeln.

«Das wird eine enorme Herausforderung für uns», sagt D'Ascoli. Mehr Platz herbeizaubern könne man nicht. «Dann müssen wir halt kreativ werden.» Trainings würden vermehrt in Posten organisiert oder die Spielfelder geviertelt, damit mehr Kinder gleichzeitig spielen können.

Das grosse Buhlen um Fläche

So wie dem FC Länggasse geht es Fussballvereinen in der ganzen Schweiz. Immer mehr Junioren und Mädchen möchten Fussball spielen, gleichzeitig fehlt es vor allem in Städten an Spielflächen. Es wird umgezont, verhandelt und verdrängt.

In Stäfa ZH liess im Juni ein Entscheid der Gemeindeversammlung die Wogen hochgehen: Wertvolles Landwirtschaftsland soll einem Fussballplatz weichen. Landwirte und verschiedene Ortsparteien kritisierten den Entscheid. Trotzdem überzeugte letztlich das Argument der Sportvereine: Sie bräuchten dringend mehr Platz, auf der Warteliste des Fussballklubs Stäfa stünden derzeit mehr als 100 Kinder.

In Basel war es ein Schreiben des Sportamts und des regionalen Fussballverbands an Vereine, das für Aufregung sorgte. Darin wird eine Prioritätenliste bei Trainingsbelegungen vorgeschlagen, wie die «Basler Zeitung» berichtete. Damit dürften vor allem Senioren unter Druck geraten – obwohl sie auf der Prioritätenliste weit hinten stehen, profitieren sie derzeit in vielen Vereinen von beliebten Trainingszeiten.

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Hoffnungsträger Kunstrasen

Um den Platzmangel etwas zu lindern, arbeitet Patrick Karrer (34) an einem Leitfaden für Vereine, Sportämter und Gemeinden. Karrer ist beim Schweizerischen Fussballverband (SFV) verantwortlich für Infrastrukturprojekte. «Wirklich viel Fläche für neue Rasenplätze gibt es nicht», sagt er. Zudem seien viele Standorte durch Zonenpläne blockiert. Dennoch sieht Karrer Optimierungspotenzial.

Posten- und Kleinfeldtrainings seien wichtige Massnahmen, um mehr Kinder aufs Feld zu bringen. Weiter könnten rote Tartanplätze mit Kunstrasen belegt werden. Generell lohne es sich, vermehrt auf Kunstrasen zu setzen: Er ist robuster, wetterunabhängiger und das ganze Jahr bespielbar. Häufig scheitere es aber auch an fehlender Beleuchtung – hier könnten Sportämter mit Lichtanlagen nachhelfen. Auch Schulrasenflächen blieben vielerorts noch ungenutzt.

Es fehlen Frauen-WCs und getrennte Duschen

Lydia Dubach (32) ist Co-Leiterin der Mädchen- und Frauenförderungsprojekte beim Fussballverband Bern-Jura. Schon seit einigen Jahren sei der Frauenfussball am Boomen, sagt sie. «Jährlich kommen mehrere Hundert Spielerinnen dazu. Unsere oberste Priorität ist deshalb nicht die weitere Rekrutierung, sondern zu schauen, dass die Vereine diesen Zuwachs überhaupt bewältigen können.»

Neben genügend Platz fehlt es nämlich auch an Personal und Infrastruktur. «Wenn ein Verein ein neues Mädchenteam aufstellen will, braucht es mindestens zwei zusätzliche Trainer oder Trainerinnen», sagt auch Karrer. «Und die muss man erst einmal finden.»

Die Garderoben seien ebenfalls ein schwieriges Pflaster. Fussball sei lange ein Männersport gewesen, die Infrastruktur teils 30 oder 40 Jahre alt. «Toiletten und Duschen wurden damals vor allem für Männer gebaut», so Karrer. 

«Keine Luxuslösungen»

Zurück beim FC Länggasse. Thomas D'Ascoli zeigt auf die weissen Container, die neben dem Spielfeld stehen. Sie sollen Abhilfe leisten für die Garderoben, die auch beim Berner Verein fehlen. «Die wurden eher behelfsmässig hingestellt», sagt D'Ascoli. «Aber sie funktionieren.»

Sowieso setzt D'Ascoli gern auf innovative Lösungen. Für den erwarteten Fussballboom nach der EM hat er etwa eine App mitentwickelt, die zeigt, welche Vereine in der Region noch freie Plätze haben. So wolle man Wartelisten möglichst verhindern. D'Ascolis Devise: «Wir brauchen keine Luxuslösungen. Wir brauchen einfach Platz zum Fussballspielen.»

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