Jörg Schneider spricht erstmals über seinen Krebs
«Mit Glück habe ich noch ein Jahr»

Krebs raubt Jörg Schneider die Kraft für die Bühne. Den Tod fürchtet er nicht.
Publiziert: 05.10.2014 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 02:54 Uhr
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Der grosse Volksschauspieler (79) hat Leberkrebs. Erstmals spricht er über seine lebensbedrohende Krankheit.
Foto: Jorma Müller
Interview: Fibo Deutsch, Peter Hossli, Fotos: Jorma Müller

Ein Wohnblock neben den Gleisen in Wetzikon ZH. Die Tür im vierten Stock steht offen. Jörg Schneider (79) empfängt drei Reporter. Er ist bleich. Wegen seiner Frau Romy (76) wohnt der Schauspieler hier. Seit 51 Jahren sind sie verheiratet. Sie ist querschnittgelähmt, angewiesen auf einen Lift. Jörg Schneider hatte vor, nach dem Ende seiner letzten Tournee abzutreten und sie zu pflegen. Sein Plan geht nun nicht auf. Er ist selber schwer erkrankt – und sitzt wie seine Frau im Rollstuhl.

SonntagsBlick: Herr Schneider, Sie wollen nie mehr auf eine Bühne treten …
Jörg Schneider:
Falsch! Ich möchte gerne wieder auf die Bühne, aber ich kann das nicht mehr.

Warum haben Sie keine Kraft?
Weil ich an einem schweren Leberkrebs erkrankt bin. Die erste Chemotherapie habe ich bereits hinter mir. Es ist gar nicht lustig.

Wie lautet die Prognose?
Der Arzt sagt, es sei schwierig. Wirkt die Chemotherapie, kann ich noch ein bisschen leben. Allzu lange wird es wohl nicht mehr hinhalten. Es steht schlimm um mich.

Eine Krebsdiagnose verändert einen. Wie haben Sie reagiert?
Im Moment war ich einfach nur leer. Dann dachte ich an meine Frau.

Wie viel Zeit bleibt Ihnen noch?
Das ist vorerst reine Spekulation. Es kann ein halbes Jahr gehen. Mit Glück habe ich noch ein Jahr.

Was verursachte Ihren Krebs?
Viele Menschen haben Krebs. Bei mir gibt es keine Erklärung. Der Leberkrebs kommt einfach.

Wie haben Sie bemerkt, dass bei Ihnen etwas nicht mehr stimmt?
Ich war wahnsinnig müde, konnte nicht mehr, hatte keine Kraft. Bei der Kontrolle sagte ich dem Arzt, dass ich furchtbar schwach sei. Auf dem Röntgenbild entdeckte er den Krebs.

Wie weit ist er fortgeschritten?
Er hat Metastasen gebildet. Tritt Leberkrebs nur an einem Ort auf, kann man ihn operieren. Meiner hat sich auf der ganzen Leber ausgebreitet. Eine Operation ist jetzt unmöglich.

Ihr Krebs ist bösartig ...
... Krebs ist immer bösartig ...

... auf etwas Böses ist man wütend. Auf wen sind Sie wütend?
Auf niemanden. Was nützte es mir, wenn ich wütend wäre? Ich möchte bloss noch etwas länger leben.

Kurt Felix sagte, die Diagnose sei ein Schock gewesen. Er stürzte ab. Dann kämpfte er gegen den Krebs. Wie kämpfen Sie?
Momentan kämpfe ich nicht.

Sie geben auf?
Nein, ich möchte noch ein bisschen da sein, ich gebe nicht auf. Aber mir fehlt einfach die Kraft für diesen Kampf. Als die Diagnose kam – ich nenne es mein Urteil –, brach alles zusammen. Ich hatte noch viel vor.

Was wollten Sie noch tun?
Meine Tournee hätte ich wahnsinnig gerne fertig gespielt. Ich fühle mich schuldig, wenn ich absage.  Kollegen verlieren ihre Arbeit. Billette, die im Vorverkauf weg sind, müssen wir zurückzahlen. Für meinen Geschäftspartner tut mir das leid.

Woher nehmen Sie noch Kraft?
Von meiner Frau. Sie stösst mich an, sie sagt immer: «Gib nicht auf!»

Wie werden Sie behandelt?
Vor zwei Wochen hatte ich im Spital Uster eine erste Chemotherapie. In zehn Tagen folgt die nächste.

Wie reagiert Ihr Körper?
Wie Sie sehen, sind mir die Haare noch nicht ausgefallen. Vielleicht fallen Sie nach der zweiten Chemo aus. Zum Glück ertrage ich sie gut.

Sie haben keine Nebeneffekte?
Ich bin einfach immer müde und ich fühle mich sehr schwach.

Wie gut schlafen Sie?
Schlecht. Der Appetit fehlt. Nach ein paar Häppchen habe ich genug.

Bald kommt Ihr Film «Usfahrt Oerlike» ins Kino. Sie spielen einen alten Mann, der sterben will – und sich Gift besorgen lässt. Verstehen Sie diesen Wunsch?
Ja, ich kann ihn nachvollziehen, aber ich persönlich habe ihn nicht.

Unter welchen Umständen würden Sie freiwillig sterben?
Im Moment unter keinen. Exit ist für mich kein Thema. Das könnte ich meiner Frau nie antun.

Wie wichtig ist Ihnen der Film?
Ich bin sehr froh, konnte ich ihn fertig drehen. Alle haben mir geholfen, die Dreharbeiten durchzustehen – insbesondere Filmpartner Mathias Gnädinger, ein feiner Kollege.

Sie drehten im Sommer bereits im Wissen, Leberkrebs zu haben?
Nein, damals wusste ich es noch nicht. Ich fühlte mich aber schwach, kraftlos, sass oft im Rollstuhl.

Schneiders Mobiltelefon klingelt. «Oh Ines, darf ich dich zurückrufen, ich bin gerade in einem Interview.» – «Wie lange haben wir noch?» – «Eine Stunde.» – «Okay, Ines, ich rufe in einer Stunde an. Merci, gäll.»

Fürchten Sie den Tod?
Eigentlich nicht, nein. Ich weiss jetzt aber, dass er kommt.

Wie stellen Sie sich den Tod vor?
Darüber denke ich nicht mal nach.

Und wie hat der Krebs Ihr Verhältnis zum Sterben verändert?
Von sehr jung an wissen wir, dass wir jeden Tag sterben können. Daran denken wir aber nur selten. Jetzt habe ich zwar keinen festen Termin zum Sterben, aber die Zeit läuft nun schneller ab als bisher. Und daran denke ich oft.

Wie stellen Sie sich den Tod vor?
Gar nicht. Ich bin nicht religiös und erwarte kein Leben nach dem Tod.

Dann glauben Sie nicht an Gott?
Sicher nicht in der Form eines bärtigen alten Mannes im Himmel. Aber irgendwo wird es schon etwas geben, das unser Schicksal lenkt.

Wenn nicht bei Gott, wo finden Sie Halt?
Bei Freunden, in der Familie. Jetzt hat eben Ines Torelli aus Kanada angerufen. Es hilft zu wissen, dass Menschen an mich denken.

Liebevoll pflegen Sie Ihre querschnittgelähmte Frau. Jetzt sterben Sie vielleicht vor ihr.
Vermutlich. Sicher ist das nicht.

Wie ändert Krebs die Beziehung?
Sie ist nochmals enger geworden. Wir halten zueinander, geben uns Kraft. Vor allem sie mir. Der Krebs hat uns noch mehr verbunden.

Sie haben Ihr Leben gezielt umgestellt, um Ihre Frau zu pflegen.
Das ist jetzt leider ausgeschlossen. Das geht nur noch mit Spitex. Meine Frau hat viel gemacht für mich, mir vieles ermöglicht. Es war mein Bedürfnis, ihr Leben im Rollstuhl so lebenswert wie möglich zu machen. Jetzt sitze ich selber im Rollstuhl und kann ihr nur noch durch Empfinden und Gefühle helfen – nicht mehr im praktischen Alltag.

Wie prägt der Krebs diese Liebe?
Wir hatten einander immer sehr gerne. Der Krebs hat uns nochmals ein Stück näher gebracht. Wir wollen die bleibende gemeinsame Zeit so gut wie möglich in Frieden über die Stunden bringen.

Wie schwierig ist es, das Ende Ihrer Karriere zu akzeptieren?
Das geht ganz gut, damit kann ich leben. Im Frühling hätte ich ja ohnehin aufgehört. Es ärgert mich nur, die Tournee abzusagen.

Auf der Bühne sterben wollen Sie nicht?
Ganz sicher nicht! Ich bin ja nicht der Molière. Es gibt keine Rolle, die ich unbedingt noch spielen wollte. Höchstens den Bösewicht in einem James-Bond-Film.

Und was steht auf der Liste der Dinge, die Sie noch tun wollen?
Ein paar banale Alltäglichkeiten – finanzielle Sachen, die ich noch in Ordnung bringen möchte.

Nichts, das Ihnen Freude bereitet?
Ich habe eine fast fertig geschriebene Biografie. Vielleicht schreibe ich noch ein paar Seiten mehr. Nächstes Jahr soll das Buch erscheinen.

Krebs ist ein Grund, Bilanz zu ziehen. Bereuen Sie etwas?
Nein, nicht gross. Ich bin wahnsinnig gerne Schauspieler geworden. Viel wichtiger: Ich habe als junger Mann die richtige Frau kennengelernt. Wunderschön ist, dass wir noch immer zusammen sind.

Sie sind Komiker. Hilft Humor, den Krebs zu akzeptieren?
Mal ehrlich: Ich war immer ein Optimist, es macht mir grosse Freude, die Menschen zum Lachen zu bringen. Aber momentan ist mein Humor auf den Nullpunkt gesunken.

Sie können Krebs nicht mit einem Witz übertölpeln?
Im Moment nicht, vielleicht später.

Es heisst: Lache, wenn es zum Weinen nicht reicht.
Beides liegt nahe beieinander.

Was ist bei Ihnen näher?
Derzeit klar das Weinen.

Sie können richtig weinen?
Ja, ich habe sehr traurige Mo­mente. Die gehen aber vorbei.

Sie bringen andere zum Lachen. Haben Sie selbst Humor?
Ich habe viel Humor – gehabt!

Welche Komiker beeindrucken Sie?
Sicher Chaplin. Loriot. Mir gefallen Mr. Bean und Woody Allen.

Ihre bekannteste Rolle ist der Kasperli. Was bedeutet er Ihnen heute?
Sein Erfolg ist ein kleines Wunder, darauf bin ich stolz. In der Schweiz ist das wohl einzigartig. Andererseits bin ich zu oft als Kasper abgestempelt worden. Das stört mich.

Sie haben für andere Rollen zu wenig Wertschätzung erhalten?
Nein, ich bin zufrieden mit der Wertschätzung. Aber der Kasper steht bei vielen schon zuoberst.

Sie haben den «Kasperli» geschrieben, ihm die Stimme gegeben. Wie reich hat er Sie gemacht?
Er hat mir einen gewissen Wohlstand beschert. Dank dem Kasper habe ich ein angenehmes Leben geführt, kann im Restaurant essen, was ich will. Eine Yacht oder ein Privatflugzeug kann ich mir nicht leisten. Aber das will ich gar nicht.

Was bedeutet Ihnen Geld?
Geld brauche ich einzig, um komfortabel zu leben. Schauspieler können mit Geld Erfolg messen.

Warum werden dramatische Schauspieler höher eingestuft als komische?
Das ist überall so, in Kunst, Musik, Literatur. Dabei machen wir Komiker unsere Arbeit genauso seriös. Gute Komik ist schwierig.

Sie sind ein grosser Volks­schauspieler und wohnen in einem Wohnblock in Wetzikon. Warum nicht auf einem üppigen Bauernhof?
Wir hatten ein Einfamilienhaus, das habe ich verkauft, weil es für meine Frau in der Wohnung mit Lift einfacher ist. Zwar mag ich Blumen, aber ein Gärtner bin ich nicht.

Wie lebendig ist in der Schweiz die Volksschauspielerei noch?
Ich kenne noch Walter Andreas Müller, Beat Schlatter, Hanspeter Müller-Drossaart und Mike Müller.

Wie soll man sich an Jörg Schneider erinnern?
Darf man das überhaupt sagen? Vielleicht so: als einen anstän­digen Schauspieler, der vielen Freude gebracht hat.

Letzte Frage: Wie geht es Ihnen, Herr Schneider?
Schlecht. Es geht mir nicht gut. Sicher nicht. Ja, so ist das jetzt. Danke.

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