Missionars-Tochter Krüsi als Kind missbraucht:
«In der Sonntagsschule vergewaltigten sie mich»

Ihre Eltern lebten als Missionare in Bolivien. Für Christina Krüsi erwiesen sich die Bibelmänner als Teufel.
Publiziert: 02.07.2013 um 11:35 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 16:35 Uhr
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Christina Krüsi und ihr zweiter Ehemann Roland in ihrem Haus in Winterthur ZH.
Foto: NICOLAS ZONVI
Von Kaye Anthon

Sie ist sechs Jahre alt, als ihr die Kindheit geraubt wird. Christina Krüsi geht fünf Jahre lang durch die Hölle – als Sexsklavin von Missionaren im bolivianischen Urwald. Die Schweizerin ist heute 45, schrieb ein Buch über ihr Martyrium: «Mein Paradies war die Hölle».

Es begann an Halloween: Mit vier Schulkameraden tappt Christina im Wald in eine Falle. Mehrere Männer lauern ihnen auf, vergewaltigen sie. Christina erinnert sich: «Ein unbeschreiblicher Schmerz fuhr mir zwischen die Beine, und etwas drohte mich innerlich zu zerreissen. Mir wurde schwarz vor den Augen.»

Die Vergewaltiger markieren ihre Opfer mit Schnitten an beiden Knien. «Wir wurden so als Freiwild deklariert. Ich war ihre Sexsklavin.» Immer wieder vergehen sich die pädophilen Missionare an Christina und 16 weiteren Kindern: vor der Klavierstunde, auf dem Heimweg, nach der Schule. «Selbst während der Sonntagsschule vergewaltigten sie mich. Es gab kein Entkommen. Egal wie ich ihnen auswich – sie fanden mich.»

Christina Krüsi kam zwar in der Schweiz zur Welt, aber ihre Eltern lebten für die christliche Missionarsgesellschaft Wycliffe in Bolivien. Für die Chiquitano-Indianer übersetzten die beiden Sprachforscher die Bibel. Sie wollen ihnen die «Verheissungen der Bibel» näherbringen. Aber ­einige der bibelfesten Männer erwiesen sich als Teufel!

Nach fünf Jahren Marty­rium kehrt Christina mit ihrer Familie in die Schweiz zurück – Schock und Erleichterung zugleich. Christina: «Das war nicht mein Zuhause, auch hier lernte ich die Gefahren kennen. Aber ich wurde nie mehr vergewaltigt. Ich war in Sicherheit.»

Christina Krüsi kann das Erlebte nicht verarbeiten, nur verdrängen. Sie heiratet mit 19 den fünf Jahre älteren Roger aus der christlichen Gemeinde, schenkt ihm zwei Söhne, Raphael und Timon (heute 23 und 21).

Aber das Glück ist eine Illusion. Die Hölle, die an Halloween begann, bricht immer wieder auf: Albträume nachts und tags Flashbacks. Dann sind sie wieder da, die Schmerzen, die Narben, die brutalen Männer.

Eines Tages bricht Christina beim Joggen zusammen, verliert ihre Sprache. Es ist, als hätte ihre Seele keine Worte mehr. Die Fähigkeit zu riechen hat Christina schon im Urwald verloren – zu oft vergingen sich Männer in den stinkenden öffentlichen Toiletten des Missionarsdorfs an ihr und betäubten sie mit Äther.

Mit 35 Jahren beginnt Christina Krüsi, sich gegen die Teufel zu wehren, die immer noch in ihr wüten. Sie will kein Opfer sein: «Mein Scheinleben brach zusammen, als ich begann, meine Geschichte zu erzählen.»

Die Ehe zerbricht, aber Christina Krüsi schafft, wovon sie träumte: «Endlich ein normales Leben zu führen.» Sie absolviert zwei Master-Studiengänge, ­einen in Bildungsmanagement, einen in Kulturmanagement, wird Schulleiterin. Und Künstlerin. Sie schafft Skulpturen und Bilder, die codiert ihren Urwald-Albtraum widerspiegeln.

Mit ihrem zweiten Mann ­Roland (45) lebt Christina Krüsi heute in einem grossen Haus mit Garten in Winterthur ZH. Er sagt: «Das Buch ist eine Befreiung, Abschluss eines Prozesses. Ich habe versucht, meine Frau zu unterstützen. Das war in den intensiven Zeiten anstrengend.»

Mit der Kunst und ihrem Mann hat Christina Krüsi die Hölle hinter sich gelassen: «Ich habe mich mit meiner Vergangenheit ausgesöhnt.»

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