Er kämpft gegen das Vergessen: «Was am 16. April 1942 in dieser kleinen Westschweizer Stadt geschah, ist an sinnloser Grausamkeit kaum zu überbieten», sagt Bruno Ganz (75). Dann ergänzt er: «Ich denke, es ist gut, ab und zu an die Schrecknisse auf heimischem Boden erinnert zu werden.»
Bruno Ganz spricht von Arthur Bloch (1882–1942), einem jüdischen Viehhändler aus Bern, der an jenem Tag vor 74 Jahren von vier jungen Männern in Payerne VD bestialisch ermordet wurde. Die Männer zerstückelten Blochs Leiche, um sie dem Naziführer Hitler als Geburtstagsgeschenk nach Berlin zu schicken. Das Vorhaben scheitert, die Polizei verhaftet die jungen Nazi-Sympathisanten innerhalb weniger Tage.
Als Nestbeschmutzer beschimpft
Über das blutige Verbrechen wurde in Payerne kein Wort verloren, bis 2009 der dort geborene Schriftsteller Jacques Chessex (1934–2009) das Buch «Un Juif pour l’exemple» (Ein Jude als Exempel) veröffentlichte. Darin rollte er den Fall neu auf – und wurde in der Romandie als Nestbeschmutzer beschimpft.
Der neue Film mit gleichem Titel verwebt nun auf geniale Weise die beiden Dramen von Arthur Bloch und Jacques Chessex. Die Verfilmung dieser doppelten Tragödie liege ihm sehr am Herzen, so Ganz: «Der Film ist wichtig für unser Land. Wir sind nicht das Unschuldsparadies, für das wir uns gerne halten.»
Zwölf Jahre, nachdem Ganz im preisgekrönten «Untergang» Adolf Hitler spielte, verkörpert er jetzt den todgeweihten jüdischen Kaufmann. Ein Jahr, nachdem er im Heimat-Epos «Heidi» den Alpöhi gab, setzt er sich kritisch mit der Schweiz auseinander.
Nur die Geschichte zählt
Die immense Vielfältigkeit seiner Rollen zeichnet den wohl grössten Schauspieler deutscher Zunge schon seit Jahrzehnten aus. Ihn interessiere jeweils nur die Geschichte, erklärt Ganz. «Das Drehbuch muss mich packen, mich reizen, mich verführen.» Und: «Ich will mich mit meinen Rollen nicht wiederholen.»
Seine Neugierde, sein Eifer und vor allem sein Talent führten den Zürcher Schauspieler auch in ein Dutzend Hollywood-Produktionen, etwa «Unknown Identity» (2003) mit Liam Neeson oder «The Manchurian Candidate» (2004) mit Denzel Washington. Auf diesem Niveau geht es weiter: Soeben stand Ganz in Berlin für das neue Werk von US-Kult-Regisseur Terrence Malick (72, «The Tree Of Life») vor der Kamera. Als nächstes kommt er an der Seite von Kristin Scott Thomas (56, «The English Patient») in «The Party» auf die Leinwand.
Er denke nie «in grossen oder kleinen Produktionen», sagt Ganz. «Nur weil ein Hollywood-Film in der Regel mehr Augenfutter hergibt, heisst das noch lange nicht, dass er auch emotional mehr berührt.» Die sparsame, fast nüchterne Erzählweise von «Un Juif pour l’exemple» komme diesem Ziel näher: «Dieser Film lässt niemanden kalt.»
Ganz gönnt sich eine Pause
Er habe in diesem Jahr sehr viel arbeiten dürfen, sagt Ganz. «Deswegen will ich mir nächstes Jahr eine längere Pause gönnen.» Gerade habe er aber wieder ein spannendes Drehbuch erhalten. «Ich lese es jetzt mal durch. Dann entscheide ich, ob ich die Pause wirklich machen werde.»
Lächelnd fügt er an: «Ich habe nichts anderes gefunden, das mich ähnlich erfüllen würde wie die Schauspielerei.» Zu seinem Haus am Zürichsee gehöre leider kein Garten. Also drehe er weiter Filme: «Bis ich irgendwann nicht mehr kann.»
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