50 Jahre «Schreckmümpfeli»
Beliebte Serie feiert Jubiläum mit eisigen Geschichten

Vor 50 Jahren gab es das erste Krimi-Kurzhörspiel im Schweizer Radio. Mit annähernd siebenhundert «Schreckmümpfeli» ist es die Serie mit den meisten Folgen. Und das Ende mit Schrecken ist ein Schrecken ohne Ende – die Erfolgsgeschichte geht weiter.
Publiziert: 02.11.2025 um 10:45 Uhr
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Darum gehts

  • Schreckmümpfeli: Beliebte Kurzhörspielserie feiert 50-jähriges Jubiläum auf Radio SRF1
  • Geschichten mit kaltblütigen Morden, coolen Stimmen und eisiger Geräuschkulisse
  • Fast siebenhundert Ausstrahlungen, längste Hörspielserie im deutschsprachigen Raum
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft

Ein Glockenschlag. Dann Donnerblech, das unheimlich vibriert. Zwei Paukenschläge, die bedrohlich nachhallen. Schliesslich das helle Glockenspiel, das die bekannte Melodie des Wiegenlieds «Guten Abend, gut’ Nacht» von Johannes Brahms (1833–1897) anklingen lässt.

Als dieses Signet erstmals im Radio erklang, lagen viele Schweizerinnen und Schweizer unter der warmen Bettdecke, denn die Uhr zeigte am Mittwoch, 5. November 1975 nach 23 Uhr an. Doch ans Einschlafen war nicht zu denken. Denn es folgte kein Bettmümpfeli: Die «Schreckmümpfeli»-Premiere stand auf dem Programm von DRS 1 – gruselig sollts werden.

50 Jahre später verkünden lauter Herzschlag, pfeifender Wind und Brahms' Melodie auf der singenden Säge das «Schreckmümpfeli». Aber noch immer folgt danach ein rund zehnminütiges Kurzhörspiel, Woche für Woche – nicht mehr am Mittwoch, sondern montags nach 23 Uhr auf Radio SRF 1, wie es heute heisst. 

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Mit bald 700 Folgen ist das «Schreckmümpfeli» die erfolgreichste Hörspielserie im deutschsprachigen Radio.
Foto: Zvg

Fast 700 Ausstrahlungen sind es bis jetzt. Damit ist es die Hörspielserie mit den meisten Folgen im deutschsprachigen Raum. Der «ARD Radio Tatort» bringt es auf 200 Folgen, «Die drei Fragezeichen» auf rund 240 und «Die haarsträubenden Fälle des Philip Maloney» – wie das «Schreckmümpfeli» eine Produktion des Schweizer Radios – auf etwas mehr als 400.

«Wie ein gut erzählter Witz»

Weshalb wollen wir das «Schreckmümpfeli» seit Jahrzehnten hören? Sind es die Geschichten mit den kaltblütigen Morden? Die Sprecherinnen und Sprecher mit ihren coolen Stimmen? Die eisige Geräuschkulisse, die uns erschauern lassen? Oder schlicht und einfach Routine und Tradition?

«Weil wir uns nach wie vor gerne, wie Kinder bei der Gutenachtgeschichte vor dem bösen Wolf oder der Hexe, unter die Bettdecke verkriechen», sagt «Schreckmümpfeli»-Produzentin Päivi Stalder (58), «weil wir uns wohlig-schaurig gruseln und schmunzelnd in den Schlaf wiegen wollen.» Denn oftmals haben die Kurzhörspiele eine witzige Pointe.

«Ein ‹Schreckmümpfeli› ist wie ein gut erzählter Witz», sagt die Berner Autorin Stef Stauffer (60), die schon ein Dutzend Folgen geschrieben hat. «Ein Witz, der in einem kleinen Schrecken oder einem kalten Schauer gipfelt, nicht aber in einem Lacher.» Allenfalls in einem erleichterten Schmunzeln, weil man wieder einmal davongekommen ist.

Ein geschlossener Raum, Menschen im Dialog, der Schrecken des Todes: Nach diesem Grundmuster sind die meisten Folgen des «Schreckmümpfeli» gestrickt, egal, wer die Geschichte geschrieben hat. Die erste Folge mit dem Titel «Nachsaison» aus der Feder des deutschen Autors Peter Neugebauer (1929–2020) ist gewissermassen die Blaupause.

2013 erstmals Tod im Titel

Ein Mann kommt dort zur Polizei: «Guten Abend, Herr Wachtmeister, ich möchte eine Beobachtung melden.» Es geht um einen Mann in Badehose, der auf einem Handtuch am Strand liegt – an sich nichts Besonderes. Doch die nächsten Tage ist er noch immer dort. Nun nimmt der Polizist das Protokoll auf: «Westerland, den 12. Dezember …», Schluss.

Auch auf der norddeutschen Insel Sylt mit ihrer Hauptstadt Westerland ist im Dezember Nachsaison. Wer dann tagelang am Strand liegt, muss tot sein. «Auf die Aufklärung des Verbrechens verzichtet das ‹Schreckmümpfeli›», sagt die Solothurner Autorin Maria Ursprung (40), die zwei Folgen geschrieben hat. «Jemand wurde getötet, Ende.» Das unterscheide es vom Krimi, der Recht, Schuld und Sühne wolle.

Trotz der unzähligen Leichen in all den Folgen schaffte der Freiburger Autor Simon Chen (53) noch vor zwölf Jahren eine Premiere. «Als ich 2013 ‹Tod im Liegewagen› geschrieben habe, sagte mir jemand vom Radio, dass das der erste ‹Schreckmümpfeli›-Titel sei, in dem das Wort ‹Tod› vorkomme», sagt Chen.

Vergiften, erschiessen, erstechen: Der Tod kann vergleichsweise vorhersehbar daherkommen und wenig erschaudern lassen. Richtig unter die Haut gehen «Schreckmümpfeli» erst, wenn der Tod raffinierter zuschlägt und unerwartet ein liebliches Antlitz hat oder eine unheimliche Fratze zeigt.

Mehr Krimi- als Gruselgeschichten

Etwa in «So ein süsses Baby» (1988) von der Zürcher Schriftstellerin Milena Moser (62): Das Kleinkind begeistert alle – ist es allerdings mit seiner Mutter allein, dann bringt es sie mit seinem Gebrüll um den Verstand. «Es will mich umbringen», sagt sie – und springt mit dem Kind vom Hochhaus: Sie stirbt, es überlebt.

Oder «Der Alpaufzug» (1982) von Franz Hohler (82) und «Das Gewitter» (1980) von Charles Lewinsky (79), die in der Bündner beziehungsweise Walliser Bergwelt spielen: In Ersterem kommt jemand durch eine alte Sage ums Leben, in Letzterem begegnet ein Wandererpaar einer 81-Jährigen und ihrem untoten Grossvater. 

Ja, manchmal kann selbst das Gegenteil von Tod erschreckend sein. Warum gibt es nicht mehr von solchen klassischen Gruselgeschichten? «Es werden im Vergleich mit Krimis viel weniger bis kaum Schauermärchen geschrieben und uns zugeschickt», sagt Stalder. Sie vermutet, dass bei Krimis die Ironie und das Augenzwinkern einfacher zu erfinden sei.

Der Text muss stimmig sein, aber erst Stimmen machen die Kurzhörspiele zum Kult. Das fängt beim Signet an: Bis vor zehn Jahren kündigte der Deutsche Rainer Zur Linde (1943–2015) die Folgen an, seither ist der Zuger Samuel Streiff (50) die «Schreckmümpfeli»-Stimme, bekannt als Kriminalfahnder Reto Doerig aus der TV-Serie «Der Bestatter».

Die Mutter des «Schreckmümpfeli»

«Die Stimme über dem Herzschlag und dem heulenden Wind: C’est moi!», sagt Streiff. Doch er ist nicht nur fürs Signet zuständig: 2011 sprach er mit dem Monolog «Elvira» seine erstes «Schreckmümpfeli». Schon seit Anfang 2000 ist Franziska von Fischer (52) als Sprecherin dabei. Wie viele Auftritte sind es bis heute? «Schwer zu sagen», sagt sie, «mit all den Liveauftritten sicher eine dreistellige Zahl.»

Und welche Sprechrolle liegt ihr mehr: die des Opfers oder die der Täterin? «Ein bisschen lieber bin ich Täterin», sagt von Fischer, «da kann ich so richtig gemein sein, was ich mich im realen Leben nie getrauen würde.» Dafür getraute sich vor 50 Jahren eine andere Frau und schritt im realen Leben zur Tat: Edith Bussmann (1935–2023).

Bussmann gilt als Mutter des «Schreckmümpfeli». In ihrer Kindheit in St. Gallen war es ihr unter der Bettdecke am wohlsten, je schauerlicher das Märchen war, das ihr die Mutter vorlas. Dieses Gefühl wollte sie bei Erwachsenen erzeugen – statt mit Märchen einfach mit Krimis.

«Soll Aufnahme archiviert werden?», steht auf dem Begleitzettel zur ersten Aufnahme vom 24. Oktober 1975 aus dem Radio-Studio Bern. «Nein, nach Sdg. zurück an Bussmann.» Tatsächlich befindet sich «Nachsaison» nicht unter den archivierten Sendungen im Internet, dafür Dutzende andere «Schreckmümpfeli» – für jede und jeden ein Ohr voll Horror mit Humor.

«Schreckmümpfeli», jeweils montags, nach 23 Uhr, auf Radio SRF 1

Zum Jubiläum kommt es am 10. November zu einer Aufzeichnung des «Schreckmümpfeli» in einem Haushalt in Kaltbrunn SG; zur Ausstrahlung kommt diese Wohnzimmerlesung mit Franziska von Fischer am 14. November um 20 Uhr auf Radio SRF 1.

Die Gäste im Wohnzimmer von Kaltbrunn sorgen zudem für die Geräuschkulisse im «Schreckmümpfeli – Zum Geburtstag» von Stef Stauffer am 24. November auf Radio SRF1

Alte «Schreckmümpfeli» im Hörspielarchiv: www.srf.ch/audio/schreckmuempfeli

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