Autor und SPD-Politiker Thilo Sarrazin provoziert wieder. Nach der These «Deutschland schafft sich ab» über Zuwanderung, wachsende Unterschicht und Geburtenrückgang die Einwanderung legt er das nächste Buch nach. «Europa braucht den Euro nicht», sagt er darin. Und trifft damit den Nerv der Euro-Krise.
Wirtschafts-Autor Werner Vontobel hat Sarrazins These unter die Lupe genommen.
Wie hätte sich Deutschland ohne den Euro entwickelt?
Die Frage lässt sich natürlich nicht direkt beantworten. Aber man kann die Zeiten vor und nach dem Euro vergleichen und dieser Vergleich gibt Thilo Sarrazin recht: Den Deutschen ginge es ohne den Euro vermutlich deutlich besser.
Weniger Wachstum
Der Einfachheit halber haben wir die 22 Jahre seit dem Mauerfall in zwei gleiche Perioden aufgeteilt – 1989 bis 2000 und die Zeit danach. Der Euro wurde zwischen 1999 (Fixierung der Wechselkurse) und anfangs 2002 (Ausgabe der Euronoten) eingeführt. Hier sind die Ergebnisse:
Vor dem Euro (1989 bis 2000) betrug das Wirtschaftswachstum 25.2 Prozent, in den elf Jahren danach nur noch 12.9 Prozent.
Pro Kopf gerechnet ist der Unterschied noch grösser: 23,8 Prozent vor dem Euro, 9.7 Prozent danach.
Auch der Vergleich mit Nicht-Euroländern fällt zuungunsten des Euro aus. In Schweden etwa stieg das BIP pro Kopf seit 2000 um 25 Prozent in der Schweiz um 14 Prozent und selbst das krisengeschüttelte Island brachte es auf 15 Prozent.
Interessant ist auch ein Vergleich der Lohn- und Zinseinkommen des typischen deutschen Haushalts: Von 1991 bis 1999 nahm er noch jährlich um immerhin 0,5 Prozent zu, seither ist er jährlich um 0.7 Prozent gesunken.
Deutsche suchen Jobs im Ausland
Dass Deutschland unter dem Euro-Regime eher leidet als aufblüht, zeigt auch die Bevölkerungsentwicklung. Bis 2000 nahm sie noch um 4 Millionen zu, seither ist sie um 700‘000 geschrumpft.
Die Deutschen suchen die Jobs dort, wo es sie noch gibt und wo sie gut bezahlt sind – nämlich ausserhalb des Euro-Raumes. Zum Beispiel in der Schweiz.
Die Kehrseite der Abwanderung zeigt sich bei der Entwicklung der Zahl der Arbeitslosen. Sie ist seit der Einführung des Euro um etwa 700‘000 zurückgegangen. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil die Zahl der Arbeitsstunden pro Beschäftigten um etwa 5 Prozent gesunken ist.
Bleibt der Export. Sarrazins Gegner sehen die positive Veränderung der deutschen Leistungsbilanz (zwischen 2000 und 2011) von minus 36 auf plus 135 Milliarden Euro als Erfolgsausweis für den Euro.
Das Gegenteil ist wahr. Die chronischen Überschüsse von Deutschland, Holland, Österreich und Belgien von fast 200 Milliarden Euro allein 2011 sind der Hauptgrund für die aktuelle Krise des Euro.
Dass auch Sarrazin selbst diesen Zusammenhang von deutschen Überschüssen und Finanzkrise partout nicht sehen will, gibt ihm doppelt recht: Der Euro hat Deutschland nicht nur materiell, sondern auch intellektuell ärmer gemacht.