Herr Gaydoul, gegessen wird immer, selbst in schwierigen Zeiten wie heute. Haben Sie es jemals bereut, Denner an die Migros verkauft zu haben?
Philippe Gaydoul: Nein, wenn ich heute zurückschaue, hätte der Zeitpunkt für den Verkauf nicht besser sein können.
Warum?
Beispielsweise wegen der deutschen Discounter Aldi und Lidl, die dazumal in den Schweizer Markt drängten.
Jetzt sind Sie Modeunternehmer. Wie sind Ihre Marken Navyboot und Jetset unterwegs?
Ich kann nicht leugnen, dass auch unser Geschäft unter der Krise im Detailhandel leidet. Wir können uns bislang aber noch gut halten.
Sie haben kürzlich den Chefposten bei Navyboot abgegeben – ein Zeichen, dass die Firma nun auf Kurs ist?
Wir haben Navyboot in den letzten zehn Monaten strategisch komplett neu aufgestellt. Hätten wir das nicht richtig hinbekommen, hätte ich die Führung nicht abgegeben.
Was hat sich für die Kunden geändert?
Heute ist unsere Marke klar verständlich. Wir stehen für Schuhe und Accessoires im mittleren Preissegment. Wir sind modischer, jünger und innovativer. Und unsere Kollektionen drehen schneller. Das heisst: Heute finden Sie bei uns acht Kollektionen im Jahr, früher waren es zwei.
Ist Navyboot in der Gewinnzone?
Das kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Es ist kein Geheimnis, dass es im letzten Jahr noch nicht ganz für schwarze Zahlen gereicht hat.
Wie sieht die Lage bei Jetset aus?
Die Marke ist jetzt ebenfalls klar aufgestellt. Auch hier bin ich sehr zuversichtlich.
Unter dieser Marke verkaufen Sie Skihosen für über 1000 Franken. Nichts für den Normalbürger!
Wir haben auch Skihosen, die für weniger als 1000 Franken zu haben sind. Aber Jetset gehört ins obere Segment, dies entspricht unserer Positionierung. Und im Vergleich mit Marken wie Bogner oder Lasse Kjus sind unsere Preise keineswegs überrissen. Jetset ist heute allerdings keine reine Wintersport-, sondern eine Ganzjahresmarke.
Sie putzen Jetset für den Verkauf heraus?
Die Marke steht nicht zum Verkauf.
Mit der Uhrenmarke Hanhart und dem Strumpfhersteller Fogal haben Sie zwei Firmen wieder abgestossen. Was lief falsch?
Den Eintritt ins Uhrengeschäft habe ich nicht gesucht. Ich bin da eher durch Zufall hineingerutscht. Bei Fogal mussten wir uns eingestehen, dass ein Alleingang keine Chance hat.
Der Schweizer Detailhandel wird durchgeschüttelt wie noch nie. Was würde wohl Ihr verstorbener Grossvater, der legendäre Denner-Chef Karl Schweri, dazu sagen?
Mein Grossvater würde nichts anderes sagen als ich: Es ist, wie es ist. Wir müssen nach vorne schauen. Der Schweizer Detailhandel hat das schlechteste Jahr seit 35 Jahren hinter sich. Knapp zwei Milliarden Umsatz gingen verloren. Das ist happig.
Wenn Ihrem Grossvater etwas nicht passte, lancierte er eine Volksinitiative. Welche wäre es heute?
Es wäre falsch, auf Hilfe der Politik zu hoffen. Mein Grossvater hätte sich wohl eher neue Geschäftsideen ausgedacht. In unserer schnelllebigen Zeit spüre ich eine Rückbesinnung der Konsumenten auf traditionelle Werte. Die Leute wollen wissen, wofür eine Marke steht. Sie haben keine Lust mehr auf das Anonyme, auf Wischiwaschi-Konzepte. Und sie haben keine Lust, verschaukelt zu werden.
Wo werden die Kunden verschaukelt?
Wenn zum Beispiel internationale Marken im Ausland identische Produkte um über 50 Prozent günstiger anbieten als in der Schweiz.
Sie haben mal gesagt, man solle den Ausverkauf wieder gesetzlich regeln. Was würde das bringen?
Ich möchte eins klarstellen: Eine gesetzliche Regulierung der Ausverkaufszeiten habe ich nie gefordert. Wir haben Ende Januar mit dem Ausverkauf bei Navyboot aufgehört. Bei anderen lief er noch bis in den März hinein. Man muss den Rhythmus selber brechen. Das kann schmerzhaft sein, ist langfristig aber das richtige Rezept. Man muss wieder vernünftiger sein.
Es herrscht Unvernunft?
Im Markt herrscht Panikstimmung. Internationale Modeketten zum Beispiel schrieben die Preise zehn Tage vor Weihnachten um 70 Prozent herunter. Das ist ein klares Zeichen für Panik. Manche haben auch Liquiditätsprobleme. Sie geben die Ware für 50 Prozent weg, damit sie wenigstens etwas in der Kasse haben. Was das langfristig für Folgen hat, überlegen sie sich nicht. Das sieht man erst, wenn man durch die Innenstädte läuft: Da schliesst ein Laden nach dem anderen.
Aber der Foodbereich ist immerhin stabil.
Haben Sie eine Ahnung! Im letzten Jahr flossen durch den Einkaufstourismus rund elf Milliarden Franken ab. Das betrifft auch Nahrungsmittel. Dort gibt es ebenfalls grosse Preisunterschiede. Laut Ökonomen ist der Frankenschock bereits ausgestanden. Ökonomen haben von der Praxis in der Regel keine Ahnung. Solche Aussagen sind nichts als Schönfärberei. Der Frankenschock ist noch lange nicht ausgestanden. Sonst wären die Zahlen nicht so schlecht, wie sie sind.
Dieses Jahr geht die Talfahrt also weiter?
Davon bin ich überzeugt. Die Umsätze werden dieses Jahr noch keinen Boden finden.
Letztes Jahr ging eine ganze Reihe von Unternehmen in Konkurs – Bernie’s und Companys sind nur zwei Namen. Werden weitere folgen?
Es wird weitere Konkurse geben. Ich erhalte immer wieder Dossiers von Unternehmen, die verzweifelt einen Käufer suchen. Viele haben geglaubt, wir hätten es nur mit einem vorübergehenden Unwetter zu tun, und nicht gemerkt, dass die Veränderungen tiefer gehen. Bei vielen ist es bereits zu spät, um zu handeln, weil ihnen der Schnauf fehlt.
Kommen wir in eine Abwärtsspirale?
Wir sind schon mittendrin. Am Detailhandel hängen Hunderttausende von Arbeitsplätzen. Eine Milliarde Umsatzverlust kostet ungefähr 2000 Jobs. Nun hat die Branche zwei Milliarden verloren, das bedeutet: Rund 4000 Arbeitsplätze sind weg! Wenn es dem Handel schlecht geht, bekommen dies andere Branchen auch zu spüren. Zum Beispiel die Landwirtschaft, das Transportgewerbe, die Medien und viele weitere Branchen.
In Ihrer Firma haben Sie die Löhne um 20 Prozent gesenkt.
Ja, aber nur im Management.
Kommen als Nächstes die Löhne beim Verkaufspersonal dran?
Das wäre wirklich die letzte Massnahme, die wir ergreifen würden.
Wer meistert die Krise am besten?
Unternehmen, die seit Jahren konsequent eine Strategie verfolgen. Ein Beispiel ist Zara. Die Spanier sind auch in schwierigen Zeiten erfolgreich. Solche Beispiele gibt es aber wenige.
Viele suchen das Heil im Online-Handel.
Das Online-Geschäft wird sicher an Bedeutung gewinnen, aber es wird den stationären Handel nicht beerdigen. Die Online-Shops rentieren alle auch nicht. Mit Retourenquoten von 60 oder 70 Prozent wird das auch in Zukunft nicht der Fall sein. Man sieht bereits eine Gegenbewegung: Grosse Online-Anbieter wie Amazon und Zalando haben herausgefunden, dass es ohne Läden nicht geht. Erfolgreich ist, wer die beiden Welten am besten verlinkt.
Wie gross ist der Vorteil von internationalen Ketten gegenüber nationalen und lokalen Geschäften?
Natürlich haben die Grossen Vorteile bei der Beschaffung und den Kosten, aber sie leiden auch. Bei H & M ist der Gewinn um 30 Prozent eingebrochen. Grosskonzerne sind in der Regel komplizierter und langsamer. Da haben die Kleinen einen Vorteil. Wer am schnellsten, agilsten und am innovativsten ist, hat die besten Chancen.
Aber die Multis verdrängen doch immer mehr die lokalen Geschäfte.
Das stimmt nur bedingt. Auch viele Grosse ziehen sich zurück, Beispiele sind Bata oder Reno. Die Schweiz ist für die grossen internationalen Ketten nicht mehr so interessant. Wie gesagt: Sie haben jahrelang abgeschöpft und verlangten um 50 Prozent höhere Preise als im Ausland. Heute goutieren die Kunden das nicht mehr.
Das Veröden der Innenstädte sehen Sie also nicht als Problem?
Doch, wenn mehr und mehr Geschäfte verschwinden, wird das Angebot kleiner. Und wenn wir dann noch so dumm sind und die Parkplatzgebühren wie in Zürich verdoppeln, hilft das auch nicht.
Sie haben auch einen Anteil daran: Der Spielwarenhändler Franz Carl Weber kann sich die Miete in Ihrem Haus an der Zürcher Bahnhofstrasse nicht mehr leisten.
Davon kann keine Rede sein. Wir haben versucht, für eine gute Lösung Hand zu bieten, leider ohne Erfolg.
Zieht Zara in den Standort ein?
Ich kann Ihnen dazu noch nichts sagen.
Krisen haben den Vorteil, dass die Preise tief sind. Kaufen Sie zu?
Ich sehe keinen Grund, mir einen Sanierungsfall anzuschnallen.
Man muss Ihnen also keine Verkaufsdossiers mehr schicken?
Ich schaue mir diese immer gerne an ...
Auch der Sport erlebt schwierige Zeiten. Der EHC Kloten sucht mal wieder nach einem Käufer.
Dieses Kapitel ist für mich abgeschlossen.
Was haben Sie daraus gelernt?
Es hat sich mir noch mehr gezeigt, wie krank das System ist. Einnahmen und Ausgaben stehen in keinem Verhältnis – nicht nur in Kloten! Ich habe auch gelernt, dass es der Sport in der Schweiz schwerhat. Wir möchten zwar überall gross dabei sein, aber systematisch den Sport fördern wollen wir nicht. Das ist eine schwierige Situation – besonders in Zürich, wo es weder ein vernünftiges Fussball- noch ein gutes Eishockey-Stadion gibt.