Mellingen AG ist die Mittelland-Gemeinde mit dem grössten Anteil leerstehender Wohnungen
Hier platzt die Immobilien-Blase

Die Schmerzgrenze der Schweizer Mieter ist erreicht. Kaum jemand will in die teuren Wohnungen der Neugrüen-Überbauung in Mellingen einziehen. Obwohl sie schon seit drei Jahren bezugsbereit sind.
Publiziert: 19.11.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 17:49 Uhr
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Die Neugrüen-Siedlung in Mellingen AG hätte eine neues, belebtes Viertel im Dorf werden sollen.
Foto: Stefan Borher
Konrad Staehelin

Die Stadtzürcher lechzen nach Wohnungen. Eine halbe ÖV-Stunde entfernt, träumen sie von solchen Verhältnissen: In der Überbauung Neugrüen in Mellingen AG steht fast drei Jahre nach der Fertigstellung ein knappes Drittel der 147 Mietwohnungen und -häuser leer. Die Siedlung hätte ein neues Viertel im Dorf werden sollen, mit eigenen Läden, neu benannten Strässchen, ohne Durchgangsverkehr. BLICK war vor Ort und sah viele leere Wohnungen, fast ungenutzte Gewerberäume – Friedhofs-Charme. 

Nur alle paar Minuten taucht eine Menschenseele auf. Karen Bravo (21), Argentinierin, spaziert mit Söhnchen Nicandro (11 Monate) auf dem Arm. Sie ist zufrieden: «Der Wald ist in der Nähe, dort drüben steht der Spielplatz. Wunderbar!» Um andere Bewohner zu finden, muss man klingeln. Als Ana Carrasquinho (34) aus Portugal die Tür öffnet, rennt ihr Sohn (6) gleich raus und düst mit dem Velo um den Block. «Ich muss nicht auf ihn aufpassen, hier hat es ja fast keine Autos.»

«Etwas Billigeres gefunden»

Bravo und Carrasquinho sind typische Neugrüen-Bewohner. Junge Familien aus der ganzen Welt, die Väter arbeiten in Zürich oder Baden AG. Sie sind erst seit kurzem in der Schweiz, kennen den Wohnungsmarkt noch nicht gut, brauchten schnell eine Bleibe. Und sind bereit, zwischen 1540 und 2050 Franken für eine Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung zu zahlen. Ein Bewohner sagt: «Ich zügle bald weg. Ich habe etwas Billigeres gefunden, und es ist zudem noch grösser.»

Eigentümerin der Neugrüen ist die CSA RES, die zur Credit Suisse Anlagestiftung gehört. Produktmanager Andreas Roth (54) erklärt die hohen Mieten: «Das ist die erste Schweizer Überbauung mit Minergie-A-Eco-Standard. Umweltfreundlicher gehts nicht.» Die Bewohner können die Wohnung durchlüften, ohne das Fenster zu öffnen und dabei Energie zu verschleudern. Und aus dem Abwasser wird Wärme zurückgewonnen.

«Ein Fehlentscheid»

Doch am Markt kommt das nicht an. Roth selbstkritisch: «Die Mieter sind nicht bereit, für diesen Schnickschnack zu zahlen. Sie benutzen ihn nicht einmal. Vielleicht wäre das in der Stadt Zürich anders. So etwas jetzt hier in Mellingen hinzustellen, war ein Fehlentscheid.»

Nun greift man auf Tricks zurück: Gewisse Neumieter haben iPads, Migros-Gutscheine im Wert von 1000 Franken und sogar schon mietfreie Monate geschenkt bekommen. Normalerweise zügelt in einer neuen Überbauung jeder Zehnte nach einem Jahr wieder aus, in der Neugrüen sind es laut CS wohl mehr.

Die Neugrüen ist nicht der einzige Problemfall in Mellingen. Knapp 13 Prozent, also 327 aller Wohnungen in dem Ort standen im Sommer leer. Zum Vergleich: Nur zwei Mini-Gemeinden im Kanton Freiburg standen schweizweit noch schlechter da.

Mellingens Gemeindeammann Bruno Gretener (49) beschwichtigt: «Es sind gerade mehrere Liegenschaften fertiggestellt worden. Da ist es normal, dass nicht alle Wohnungen sofort vergeben sind.»

«Die Schmerzgrenze ist erreicht»

Und doch: Greteners Gemeinde steht als Extremfall für eine Entwicklung am Wohnungsmarkt. Im Schnitt haben in der Schweiz 1,3 Prozent der Wohnungen keine Mieter – ein Drittel mehr als noch vor drei Jahren (siehe Grafik)!

«Vor fünf Jahren wäre es noch kein Problem gewesen, Wohnungen wie in der Neugrüen zu füllen», sagt Martin Neff (56), Chefökonom der Raiffeisenbank. «Damals gab es einen Bauboom.» Die Mieter seien nicht mehr bereit, für zweitklassige Lagen jeden Preis zu zahlen. «Die Schmerzgrenze ist erreicht.»

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