Macht des Geldes
«Eine Rezession ist manchmal notwendig»

Oswald Grübel (72) führte UBS und CS. Er warnt davor, dass die Notenbanken das Finanzsystem in den Abgrund reissen.
Publiziert: 20.11.2016 um 12:43 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 22:00 Uhr
Oswald Grübel (72) führte die UBS und CS.
Foto: Hannes Schmid
Interview: Peter Hossli

Herr Grübel, wann ist man reich?
Oswald Grübel: Reich ist ein Mensch, wenn er sorglos ins Bett geht und sorglos erwacht.

Sind Sie reich?
Ab und zu.

Sie wollen Milliardär werden. Ist ein Milliardär reich?
Nein. Geld hat mit Reichtum wenig zu tun. Reich ist, wer sich sorglos fühlt. Wer gesund genug ist, nicht abhängig zu werden. Der grösste Reichtum ist die Unabhängigkeit.

Wie wichtig ist dann Geld?
Je weniger man hat, umso wichtiger ist es. Es gibt intelligente, begabte Menschen, die können das Geld, das sie zum Leben brauchen, heute sehr schnell verdienen. Geld dient dazu, ungestört und unabhängig zu tun, was man gerne tut.

Was bedeutet Ihnen Geld?
Unabhängigkeit.

Wenn nicht Geld, was ist heute das wertvollste Gut?
Freiheit, Redefreiheit. Es sind die Dinge, die man gar nicht so wahrnimmt. Bis man sie nicht mehr hat.

Die Märkte schmolzen 2008, weil das Finanzsystem krank war. Wie fit ist es heute?
Krank ist die falsche Bezeichnung. Der Auslöser war die Subprime-Krise …

… Ramschpapiere auf amerikanische Hypotheken …
… mir war schon früh bewusst, dass dies nicht lange weitergehen kann, aber die Rating-Agenturen gaben den Papieren immer noch die höchsten Bonitätsbewertungen, und das hat weiterhin Käufer gebracht.

Haben Sie denn gehandelt?
Bereits 2006 haben wir bei der Credit Suisse angefangen, die Bestände zu reduzieren. Ich war aber überrascht, wie weit die Papiere verbreitet waren …

… selbst deutsche Staatsbanken hatten sie gekauft.
Das hat dann diese Panik ausgelöst. Hinzu kam die gigantische Entwicklung bei den Gehältern.

Wer trieb sie an?
Amerika. Europäische Banken haben Büros in New York. Da hat sich in Europa mancher gefragt, warum soll ich nur 500’000 verdienen? Der Kollege in New York erhält fünf Millionen für die gleiche Arbeit!

Dann hat die Gier nach Geld die Branche krank gemacht?
Geld kann sehr negative Eigenschaften bei Menschen auslösen. 

Warum sind hohe Löhne schlecht?
Angestellte sollen am Gewinn beteiligt sein. Allerdings rückte die Branche nach 2000 davon ab. Boni stiegen, obwohl Gewinne sanken. Ohne Gewinn sollte es keine Boni geben.

Ist diese falsche Entwicklung mittlerweile korrigiert?
Nein. Sie ist noch da – mehr denn je. Es gibt Manager, die erhalten zehn Millionen Franken Bonus, obwohl das Unternehmen einen Verlust schreibt.

Zahlt eine Bank nicht gut, gehen die Besten zu anderen Banken.
Das war einst unbestreitbar so. Aber wo wollen sie denn heute hin? Beim Investmentbanking sind die Regulierungen so strikt geworden, da musste alles massiv verkleinert werden.

Sind die Märkte heute transparent genug, damit alle die faulen Papiere erkennen können?
Es ist etwas besser geworden, aber letztlich vertrauen alle noch den gleichen Rating-Agenturen.

Nicht einmal Banker verstehen alle Papiere, die sie handeln.
Bis 2007 haben Banken komplexe Papiere entwickelt. Die Kunden waren nur an den Gewinnmöglichkeiten interessiert, nicht daran, wie das Produkt zusammengesetzt war oder welche Formel dahinterstand.

Es zählte nur die Rendite?
Ja, und im Gegensatz zu den
Entwicklern der Produkte wussten viele nicht, was sie kauften.

US-Investor Warren Buffett nennt solche Derivate «finanzielle Massenvernichtungswaffen». Wozu braucht es sie überhaupt?
Weil es eine grosse Nachfrage nach «Leverage» oder finanzieller Hebelwirkung gibt, auch heute noch.

Ex-US-Notenbanker Paul Volcker sagt, das einzige Innovative der Branche in den letzten zwanzig Jahren sei der Bancomat.
Volcker hat Grosses geleistet. Aber der Finanzbranche tut er unrecht. Es sind einige gute Instrumente entwickelt worden, die vielen geholfen haben, ihr Risiko zu bewirtschaften. Leider ist die Meinung immer noch: Wenn ein Kunde Geld verliert, ist die Bank schuld. Selbst dann, wenn die Bank ihn gewarnt hat. Das ändert sich nie.

Wie hat sich die Aufgabe der Banken verändert?
Seit Zentralbanken die Deutungshoheit über Märkte und Banken haben, zwingen sie durch ihre Zinspolitik die privaten Banken, Geld auszuleihen, was später zu Kreditverlusten führen kann.

Warum soll das schlecht sein?
Kredite gehen an die falschen Leute, an die falschen Firmen …

… weil sie es nicht brauchen?
Doch, die können das schon gebrauchen, aber vermutlich können sie sich den Kredit nicht leisten. Man merkt es erst, wenn der Kredit fällig wird. Dann wird keine Zentralbank sagen, «das ist unsere Schuld». Sondern die Banken, die das Geld ausgeliehen haben, stehen wieder am Pranger.

Wer hat die Macht in der Finanzbranche?
Die Zentralbanken! Nach der Finanzkrise hat die Politik die Macht übernommen. Sie hat den Banken ein Regulierungs-Korsett angeschnallt. Nun können sie sich nicht mehr bewegen. Den Zentralbanken haben Politiker gesagt, ihr bestimmt nun, was mit der Wirtschaft passiert.

Das finden Sie nicht gut?
Früher war das Risiko auf Tausende von Banken verteilt. Sie mussten für ihre Fehler bezahlen. Das Risiko lag bei den Aktionären. Heute trägt mehr und mehr der Staat das Risiko.

Warum soll das schlecht sein?
Die Schweiz ist ein Land mit acht Millionen Einwohnern. Die Schweizerische Nationalbank hat eine Bilanz von über 600 Milliarden Franken. Leider sind die meisten schlecht im Kopfrechnen. Sie können nicht ausrechnen, was das für jeden Einwohner bedeutet … 

… es sind 75’000 Franken …
Ja, die Massenvernichtungswaffen liegen heute bei den Zentralbanken. Sie heissen: Minuszinsen, aufgeblähte Bilanzen, das Aufdrängen von Kredit, Marktmanipulation.

Es hat zu viel kostenloses Geld auf dem Markt?
Ja, die Banken können ihre Bilanzen nicht erhöhen, weil sie zu wenig Kapital haben. Jedes Jahr verlieren Banken Hunderte von Millionen Franken wegen Minuszinsen, die sie an Zentralbanken zahlen.

Es braucht billige Kredite. Steigende Zinsen bewirken Rezession.
Es wird gesagt, ohne dieses Geld würden wir in die schlimmste Rezession seit 1929 fallen. Das ist eine typisch utopisch-sozialistische Auslegung der Wirtschaft, die kein Limit der Staatsverschuldung kennt. Eine Rezession ist manchmal notwendig, um alte Strukturen abzuschaffen und Erneuerungen zu bringen.

Wären Sie Zentralbanker, was würden Sie tun?
Der Finanzminister würde mich wohl entlassen, denn ich zöge es vor, das Land durch eine kurze Rezession gehen zu lassen, statt Wohlstand und Zukunft aufs Spiel zu setzen.

Sie würden die Zinsen erhöhen?
Auf jeden Fall hätte ich keine Minuszinsen. Eine normale Volkswirtschaft ist auf Pluszinsen aufgebaut. Null Zinsen bedeuten null Risiko –  und das ist ja wohl nicht der Fall.

Herr Jordan oder Herr Draghi von der EZB sind so klug wie Sie. Warum machen sie es trotzdem?
Weil die Politik die Deutungshoheit für die Volkswirtschaft hat. Richten sie sich nicht danach, verlieren sie ihren Job. Es ist ein kleineres Risiko für die Herren, wenn sie mit
Tokio, New York und Frankfurt die gleichen Entscheide treffen.

Alle gehen gemeinsam unter?
Es gibt einen kleinen Unterschied: Die Bilanz der Nationalbank entspricht heute 100 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Jene Japans ist auch bei 100 Prozent, aber hauptsächlich in eigene Staatspapiere investiert. Die der EZB und jene in Amerika ist 30 Prozent. Die Schweiz ist weit, weit, weit voraus. Ob das klug ist? Das wage ich sehr zu bezweifeln.

Es gefährdet den Markt?
Die Zentralbanken haben den «Point of no Return» überschritten. Es wird in einem Crash enden.

Wann kommt er?
Wenn die Zentralbanken die Marktmanipulation aufgeben müssen, weil sie ihre Glaubwürdigkeit verloren haben, aber das kann noch zehn oder mehr Jahre dauern.

Erholen sich die Märkte wieder?
Nein, das wird eine schwerwiegendere Sache. Danach könnten alle Banken dem Staat gehören.

Warum lassen die Politiker das zu?
Es ist einfacher, das Vernünftige anzusprechen als es umzusetzen. Es gibt keine politische Mehrheit, um Zinsen zu erhöhen oder eine langfristige Politik umzusetzen. Firmen sind wegen «Resultatzwang» immer nur kurzfristig ausgerichtet, so wie Politiker, die ja wiedergewählt werden wollen.

Als Sie CEO der UBS und der CS waren, schauten Sie ebenfalls auf das Quartalsergebnis.
Natürlich. Was vielen nicht bewusst ist: Als CEO darf man oft aus regulatorischen und rechtlichen Gründen nicht alles sagen, was man möchte.

Dann müssen Sie als CEO lügen?
Nein, natürlich nicht. Aber man darf gewisse Fragen nicht beantworten. Weil sie nicht in das regulatorische Zeit-Schema passen.

Zuweilen durchschauen es kluge Journalisten.
Ja, deshalb habe ich eher dazu geneigt, die Sachen zu beschreiben wie sie sind und mir dafür viel Kritik eingehandelt.

Wann steigt der Preis einer Aktie?
Wenn die Nachfrage grösser ist als das Angebot.

Lässt sich das manipulieren?
Ja, Menschen werden immer versuchen, Märkte zu manipulieren. Offenbar liegt das in unserer Natur.

Und wie geht das?
Durch Gerüchte. Durch die Einflussnahme auf Research-Berichte. Wie man etwas sagt, wie zweideutig eine Meldung verfasst ist. Durch Rücktritte oder Anstellungen. Es gibt heute grosse Hedge Fonds. Arbeiten diese zusammen, können sie auf einen Schlag für 100 Milliarden Dollar Aktien kaufen. Wer viel Geld hat, der kann etwas bewegen.

Einer wie George Soros kann die Märkte manipulieren?
Sein Fond ist etwa 30 Milliarden Dollar gross. Den kann er mehrfach verschulden. Da lässt sich schon etwas machen.

Könnten denn Sie den Markt manipulieren?
Nein. Es gibt aber schon ein paar, die zuhören, wenn ich etwas sage.

Wie viele Gauner gibt es in der Finanzbranche?
So viele wie in jeder anderen Branche.

Sie richten aber einen grösseren Schaden an.
Das können sie. Bei der UBS konnte ein junger Händler einen grossen Schaden anrichten.

Es war Kweku Adoboli. Er vernichtete zwei Milliarden Franken. Sie mussten in Folge gehen. Ist ein Adoboli heute noch möglich?
Ich übernahm die Verantwortung und bin zurückgetreten. So lange wir mit Menschen arbeiten wird es immer Betrugsfälle geben.

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