Regula Simon (46) hat einen Traum. Die St. Gallerin will ein Buch schreiben über Frauen, die ohne Kinder glücklich geworden sind. Doch statt einer Vorfinanzierung bekommt sie von Verlegern nur Absagen. Simons Rettung: Crowdfunding – Finanzierung über eine Menschenmenge also.
Das funktioniert über Plattformen wie kickstarter.com oder wemakeit.com. Dort kann jeder für Projekte – vom Heimatfilm bis zum Sportschuh – Geld spenden. Erreichen diese innerhalb eines Zeitraums die angepeilte Summe, zahlen die Spender. Ansonsten nichts.
So kamen im Jahr 2014 rund 234 000 Franken für 39 Schweizer Literatur- und Medien-Projekte zusammen, wie eine aktuelle Studie des Bundes nachrechnet. Crowdfunding als eine grosse Chance für Schriftsteller wie Simon, die ohne Verlag dastehen.
NZZ Libro ist erster Grossverlag mit erfolgreichem Crowdfunding
Doch genau diese machen nun den Autoren Spendengelder streitig. Nachdem kleine Verlagshäuser bereits erste Projekte gestartet haben, ist heute das erste Crowdfunding-Projekt eines Schweizer Grossverlags über die Bühne gegangen. Die Kulturstiftung Pro Helvetia spricht von einem neuen Trend.
Simon Rüttimann (44) sass bis vor Kurzem «auf Nadeln», wie der stellvertretende Verlagsleiter vom Buch-Grossverlag NZZ Libro sagt. Lange war nicht klar, ob die 11 700 ranken – die Schwelle für das Buch «Der Eskimo stirbt sowieso» von Autor Urs Bühler – zusammenkommen würden. Am heutigen Mittwoch herrscht endlich Klarheit: Es ist geschafft.
Not macht Buchverlage erfinderisch
Drittmittel für die Finanzierung von Buchproduktionen sind laut Dani Landolf (48), Chef des Schweizer Buchhändler- und Verlegerverbands (SBVV), schon länger ein Weg, um Produktionskosten von Büchern zu stemmen, «die wenig Ertrag beim Verkauf versprechen».
Not macht erfinderisch: Nachdem zwei andere Autoren vor drei Jahren selbst zusätzliche Gelder über Sponsoren für ein Buch aufgetrieben hatten, kam Rüttimann die Idee zu einer professionell angelegten Crowdfunding-Kampagne. Seit Mitte Juni arbeitet er an deren Umsetzung. Das heisst: twittern, auf Facebook posten, potenzielle Unterstützer kontaktieren.
Verlage mit vielen Vorteilen gegenüber Buchautoren
Rüttimann nutzt dazu den Vorteil eines Verlags gegenüber einem Schriftsteller: Infrastruktur. NZZ Libro konnte für das Kampagnenfilmchen etwa auf das Video-Team der «Neuen Zürcher Zeitung» zurückgreifen. Das Video von Regula Simon dagegen rauscht, ist ein wenig verwackelt und unscharf. Verlage haben auch Marketing-Experten, die besser Spender mobilisieren können als ein einzelner Autor. Für beide aber ist der Aufwand gross.
Das hat auch der kleine Zürcher Triest Verlag festgestellt. Man müsse prüfen, ob der Aufwand im Verhältnis stehe zu den möglichen Erlösen. Die Community muss gross genug sein, um eine kritische Masse zu erreichen. Da es momentan keine Projekte gibt, bei denen das der Fall ist, ist bei Triest Crowdfunding vorerst kein Thema. Dennoch, bei Projekten mit entsprechendem Netzwerk lohne Crowdfunding, da man das Risiko mindern kann.
Der Leser soll nicht mehr nur Bücher kaufen, sondern auch Risiko tragen. Verleger sein also?
Buchverlagsverband ist skeptisch gegenüber Crowdfunding
Andere Verlage wie Orell Füssli sind noch skeptisch. Weder dort noch bei Kein & Aber plant man Crowd-Finanzierung von Büchern. Buchverbandschef Landolf hält Crowdfunding für «kein tragfähiges Geschäftsmodell».
Rüttimann von NZZ Libro sieht sein Projekt dagegen als «Markttest». Ob sich das Buch künftig verkaufen wird, könne er bedingt an der Unterstützung ablesen, die es beim Crowdfunding bekomme.
Rüttimann bekommt aber nicht nur Unterstützung. Manche hätten beanstandet, dass der Verlag «kleinen Kreativen etwas wegnehme», gibt der Verleger zu. Die Kritik ist berechtigt. Schliesslich gibt es nicht unendlich viele Spendewillige.
Edelbleistift beim Verlag, Kochen bei der Schriftstellerin
Ausserdem können Verlage einfacher grosse Spenden eintreiben. Denn Crowdfundings basieren auf einem Belohnungssystem: Wer mehr Geld gibt, bekommt mehr Extras. Wer etwa auf wemakeit.com 79 Franken zu «Der Eskimo stirbt sowieso» beisteuert, bekommt zum Buch ein «NZZ»-Notizbuch samt Edelbleistift dazu. Mehr als zwei Drittel der eingegangenen Spenden fürs Buch sind mit Belohnungen verknüpft.
Wer auf der Plattform Regula Simon mit 80 Franken hilft, wird von der Autorin an einem Abend bekocht. Dazu gibts ihr Buch «OK-Frauen» – falls das Geld bis September zusammenkommt. Simon fehlen noch fast zwei Drittel. Verleger Rüttimann hat es dagegen heute geschafft.