Abschied von Swisscom-CEO Carsten Schloter
Keiner kannte ihn wirklich

Er konnte Menschen faszinieren und sich selbst für vieles begeistern. Doch was Carsten Schloter wirklich umtrieb, bleibt auch für Freunde ein Rätsel.
Publiziert: 28.07.2013 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 13.10.2018 um 02:06 Uhr
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Swisscom-CEO Carsten Schloter (†49).
Foto: Nik Hunger
Von Dirk Ruschmann

Ein letztes Mal war er in seinen geliebten Bergen. Zwei Wochen Ferien hatte Carsten Schloter am 8. Juli angetreten, war mit seinen drei Kindern nach Zermatt VS gefahren, wo er im Quartier Spiss eine Ferienwohnung hat. Zum Zmittag sah man den Swisscom-CEO in der Bergbeiz Chez Vrony. Dass er ohne seine Frau auftauchen würde, wusste man dort; von ihr lebte er seit längerer Zeit getrennt.

Am Montag führte er noch Telefonate – geschäftlich. Am Dienstagmorgen hätten die ersten Termine angestanden. Stattdessen kam die erschütternde Nachricht: Carsten Schloter, Konzernchef der Swisscom, ist tot.
Selbstmord.

Am Hauptsitz der Swisscom in Worblaufen BE sind die Firmenbanner von den Masten genommen. Im Eingangsbereich aller grossen Konzernstandorte brennt eine Kerze.

Seit gestern Nachmittag liegt Carsten Schloter aufgebahrt in der Totenkapelle der Kathedrale in Fribourg. Sonnenblumen rahmen den Sarg, ein Gesteck liegt darauf; letzter Gruss der Kinder. Vor dem Sarg flackert eine Kerze. Nebenan, in der Kathedrale St. Nikolaus, wird morgen Montag die Trauerfeier stattfinden.

Seit Tagen drehen sich viele Gespräche im Land stets um die gleiche Frage: Warum nimmt sich dieser allseits respektierte Firmenlenker, verantwortlich für mehr als 20000 Mitarbeiter, das Leben?

Ratlosigkeit auch bei seinem Freund André Lüthi, Mitinhaber des Reiseveranstalters Globetrotter und treuer Sportkumpan. Lüthi schreibt in einem Nachruf an Schloter: «Du hast dich entschieden, den Weg zu gehen, der nur Fragen offenlässt für alle, die dich kannten oder eben doch nicht kannten.» 

Was für ein Mensch war Carsten Schloter? Was trieb ihn an? Und was trieb ihn in den Tod?

Vor ein paar Jahren, an einem heissen Sommertag in Zürich, war Schloter aus dem Auto gestiegen, das Hemd am Rücken von Schweiss durchtränkt. Ungerührt warf er sich die Anzugjacke über, absolvierte seinen Vortrag und sprach anschliessend einem Zuhörer Trost zu, der unter der Hitze noch mehr litt als er selber.

Carsten Schloter war nie einer jener Teflon-Stromlinien-Manager, an denen nichts hängen bleibt. Deren Politur immerzu glänzt.

Trainierte Sportler schwitzen nun mal mehr als andere – und Schloter, das wusste man, war ein fanatischer Sportler. Absolvierte die «Patrouille des Glaciers», ein ultrahartes Rennen für Skibergsteiger. Oder das Velorennen «Tortour» – der Name sagt alles. Im Alltag ging er meist schon um 5 Uhr früh joggen oder setzte sich aufs Sportvelo. «Den inneren Schweinehund würgen», nannte er das.

Endlose Arbeitstage

Vermutlich zum Abbau seiner inneren Anspannung: 14 Stunden arbeitete er täglich, war problemlos morgens vor 7 am Telefon erreichbar. Einen «intensiven Mensch» nennt ihn ein Unternehmensberater, der eng mit Schloter zusammenarbeitete: «Er hat immer um die beste Lösung gerungen, sich oft selber gequält.»

Andere berichten, sogar in Gesprächsrunden mit Fachleuten sei Schloter häufig der Kompetenteste gewesen, bis in die Details.

Konkreten, auch provozierenden Fragen wich er nie aus, antwortete immer exakt auf den Punkt. In seiner typisch nasalen, dunklen Stimme hechtete er den Worten hinterher, als habe er schon vor dem Sprechen zu tief ausgeatmet, formulierte aber ruhig und verständlich. Als hätte er Sprechtraining genommen: Jeder Satz ein Kleinkunstwerk an Selbstkontrolle.

Aber entspannt – das war er nie. «Ich war noch nie relaxed», gab er vor wenigen Monaten in ­einem Interview zu. Dass Schloter auch nur ein einziges Mal völlig unbeschwert gelacht hätte – daran erinnert sich kaum einer, der ihn kannte.

Aber reden konnte er – und das war ihm auch bewusst. Von schriftlicher Kommunikation, sagt ein Vertrauter, hielt er nicht so viel. Stattdessen besuchte er pro Jahr fünf bis zehn Firmen­standorte, stellte sich im persönlichen Dialog den Swisscom-Mitarbeitern. Die Energie, die von ihm ausging – ja sein Charisma übertrugen sich am besten im direkten Kontakt.

Man sah ihm die Begeisterung an, wenn er vom «faszinierenden Markt für Telekommunikation» schwärmte. Rasanter Wandel erfordere, sich ständig neu zu erfinden, sagte Schloter etwa. Firmen wie Google, die alles auf den Kopf stellen, sah er als Herausforderung.

Er suchte die Schuld bei sich selber

Seit dem Jahr 2000 war er bei der Swisscom, leitete zunächst die Mobilfunksparte, 2006 folgte er dem zurückgetretenen Jens Alder als Konzernchef (siehe Seite 3). Und begann gegen den Schwund zu kämpfen: Bis zu 500 Millionen Franken Einnahmen brachen und brechen bis heute jedes Jahr durch sinkende Preise weg; diese Lücke wollte Schloter schliessen, sonst werde Swisscom «jedes Jahr fünf Milliarden an Wert verlieren», warnte er.

Seine Gegenmassnahmen brachten ihm Beinamen wie «Stratege» oder «Visionär» ein: Er hatte früh erkannt, dass Telekomkonzerne nicht dauerhaft einfache Dienste wie SMS oder Telefon-Gesprächsminuten mit einem Preisschild versehen können. Und dass Daten künftig weniger in den Endgeräten wie PC oder Smartphone gespeichert sein würden, sondern in der Internet-Datenwolke, der Cloud, von überall abrufbar.

Also lag für Schloter die Zukunft beim Pauschaltarif für den Zugang ins Netz; möglichst mit Hochgeschwindigkeit und allem aus einer Hand: Fixnet, Mobile, Internet, TV. Auch beschaffte er der Swisscom Inhalte für die Breitband-Internetanschlüsse: Swisscom übernahm im Mai die Mehrheit an der Cinetrade, die den Pay-TV-Anbieter Teleclub betreibt. Nur Swisscom TV kann sämtliche Live-Übertragungen von Fussball- und Eishockeyspielen der Schweizer Meisterschaft anbieten. Und mit Flatrates im Fixnet und Mobilfunk, die Schloter vorantrieb, lockt Swisscom Kunden von Gratisdiensten wie Skype oder What-App zurück. Diese fundamentale Wende im Erzielen der Einnahmen sahen wenige so klar wie er.

Swisscom stellte sich schnell und konsequent darauf ein, entwickelte Bündelangebote und Komplettpakete für die Kunden. «Andere Firmen machten und machen es der Swisscom nach», lobt Wolfgang Bock, Telekommunikationsexperte beim Berater Boston Consulting. Selbst die italienische Tochter Fastweb, bei der es jahrelang harzte, ist heute auf Kurs.

Dass Swisscom bei den Gewinnen branchenweit vorne steht, ist auch Schloters Verdienst.

Mehrere Weggefährten sagen, sie hätten bis zum Schluss keine Veränderung an ihm bemerkt. Zuletzt liess er jedoch immer wieder nachdenkliche, auch depressive Äusserungen in Interviews hören: Er schaffe es nicht mehr, abzuschalten. Fühle sich von den vielen Verpflichtungen erdrückt. Sehe seine drei Kinder nur alle zwei Wochen. Viel zu selten. Eine verwundete Seele zeigte sich hinter der Fassade des erfolgreichen Managers. Von seiner Frau und den Kindern lebte er getrennt, aus dem gemeinsamen Haus in Tafers  FR war er ausgezogen. Die Schuld suchte er bei sich: «Ich habe das Gefühl, hier etwas gemacht zu haben, was nicht richtig ist», sagte er öffentlich in einer Talkshow.

Mit seiner neuen Lebensgefährtin war er nach Villars-sur-Glâne westlich von Fribourg gezogen. Bei den Nachbarn galt er als freundlich, lebte aber zurückgezogen, sie dagegen habe sich «fast amerikanisch» mit einem Kuchen als Gastgeschenk vorgestellt. In den letzten Monaten war sie auf einer langen Reise in Asien. 

Differenzen gab es im Beruf: Der neue Swisscom-Präsident Hansueli Loosli ist einer, der sich einmischt – im Gegensatz zu seinem Vorgänger Anton Scherrer. Doch Schloter als «Mr Swisscom» hatte eine starke Position, nach innen wie nach aussen. Und wenn zwei solche Profis Meinungsverschiedenheiten haben, klären sie die professionell.

Im äussersten Fall hätte Schloter wechseln können: «Jeder andere Konzern hätte ihn mit Handkuss genommen», sagt ein Branchenmanager. Die Gründe für den Freitod, da sind sich die Beobachter einig, seien wohl eher im Privaten zu suchen.

Es gibt bei Schloter Parallelen zum Fall des Julius-Bär-Bankers Alex Widmer, der sich im Dezember 2008 das Leben nahm. Beide lebten und arbeiteten intensiv, beiden war nach aussen nichts anzumerken. Auch Widmer verliess freiwillig seine drei Kinder – und damit jene Menschen, die einen am bedingungslosesten lieben. Auch hier blieb Fassungslosigkeit zurück.

Welche Dämonen Carsten Schloter gequält haben, ob er allein war oder sich so fühlte, was ihn in den Selbstmord trieb: Das bleibt Spekulation. Aufschluss könnte nur ein Abschiedsbrief Schloters bringen. Bis anhin bleibt sein Tod unfassbar.

Schweigeminute

Morgen Montag wird die gesamte Swisscom um 9 Uhr eine Schweigeminute einlegen. Einbezogen sind sämtliche Swisscom-Shops, die erst danach die Türen öffnen. «Wir gedenken in stiller Einkehr des Verstorbenen und bekunden dabei auch unser Mitgefühl für die Hinterbliebenen», so die Ankündigung im Firmenintranet; hier wird morgen Nachmittag, leicht zeitversetzt, auch die Abdankungsfeier übertragen.

Für Dienstag ist eine Diskus­sionsrunde der Konzernleitung zum Gedenken an Schloter geplant; auch sie wird den Mitarbeitern, die Schloter so wichtig waren, im Intranet gezeigt.

Als persönliches Motto nannte Carsten Schloter einmal: «Jeden Tag so zu leben, als wäre es der letzte.» Man wünscht, dass ihm das möglichst häufig gelungen ist.

Mitarbeit: Walter Hauser und Guido Schätti

Was treibt Manager in den Tod?

Im Dezember 2008 beging Privatbankier Alex Widmer (†52), Chef von Julius Bär, Suizid. Im November 2011 brachte sich Ricola-Chef Adrian Koller (†53) um. Für Schlagzeilen sorgte auch der Freitod des deutschen Pharma-Milliardärs Adolf Merckle (†74). Der Besitzer des Unternehmens Ratiopharm warf sich im Januar 2009 vor einen Zug. Und heute erschüttert der Fall Carsten Schloter die Schweiz.

Was aber treibt Manager, die es ganz nach oben geschafft haben, in den Tod?

«Menschen, die Suizid begehen, sind sehr auf sich bezogen», sagt Thomas Reisch, Psychologe und leitender Arzt an der Universitätsklinik in Bern. Gerade Manager neigten zu Narzissmus, der ohnehin ein erhöhtes Suizid-Risiko mit sich bringe. Topmanager definierten sich stark über ihre Leistung, seien privat aber oft wenig vernetzt und hätten für die persönlichsten Anliegen kaum Ansprechpartner.

Dabei könne ein Gespräch oft das Schlimmste verhindern: «Die Familie spielt eine wichtige Rolle», sagt Suizid-Forscher Reisch. «Sie muss mit dem Betroffenen sprechen.» In Studien zeige sich, dass über 90 Prozent der Menschen, die einen Suizid-Versuch überlebt haben, ihre Tat bereuen.

Vor allem Männer suchten sehr selten Hilfe. «Sie haben die Vorstellung, dass sie immer Herr der Lage sein müssen.» Deshalb müsse das Umfeld Hilfsangebote machen. In vielen Fällen könne ein Selbstmord so verhindert werden. «Ein Suizid», weiss Reisch , «hat zumeist eine gewisse Vorlaufzeit.» Der Fachmann: «Der Betroffene spielt mit dem Gedanken, denkt immer wieder daran.»

Schliesslich komme etwas hinzu, was das Fass zum Überlaufen bringt. Sei der Entscheid zum Suizid gefallen, gehe es meist schnell: Die meisten setzten ihr Vorhaben innerhalb von zwei Stunden in die Tat um. 

Im Dezember 2008 beging Privatbankier Alex Widmer (†52), Chef von Julius Bär, Suizid. Im November 2011 brachte sich Ricola-Chef Adrian Koller (†53) um. Für Schlagzeilen sorgte auch der Freitod des deutschen Pharma-Milliardärs Adolf Merckle (†74). Der Besitzer des Unternehmens Ratiopharm warf sich im Januar 2009 vor einen Zug. Und heute erschüttert der Fall Carsten Schloter die Schweiz.

Was aber treibt Manager, die es ganz nach oben geschafft haben, in den Tod?

«Menschen, die Suizid begehen, sind sehr auf sich bezogen», sagt Thomas Reisch, Psychologe und leitender Arzt an der Universitätsklinik in Bern. Gerade Manager neigten zu Narzissmus, der ohnehin ein erhöhtes Suizid-Risiko mit sich bringe. Topmanager definierten sich stark über ihre Leistung, seien privat aber oft wenig vernetzt und hätten für die persönlichsten Anliegen kaum Ansprechpartner.

Dabei könne ein Gespräch oft das Schlimmste verhindern: «Die Familie spielt eine wichtige Rolle», sagt Suizid-Forscher Reisch. «Sie muss mit dem Betroffenen sprechen.» In Studien zeige sich, dass über 90 Prozent der Menschen, die einen Suizid-Versuch überlebt haben, ihre Tat bereuen.

Vor allem Männer suchten sehr selten Hilfe. «Sie haben die Vorstellung, dass sie immer Herr der Lage sein müssen.» Deshalb müsse das Umfeld Hilfsangebote machen. In vielen Fällen könne ein Selbstmord so verhindert werden. «Ein Suizid», weiss Reisch , «hat zumeist eine gewisse Vorlaufzeit.» Der Fachmann: «Der Betroffene spielt mit dem Gedanken, denkt immer wieder daran.»

Schliesslich komme etwas hinzu, was das Fass zum Überlaufen bringt. Sei der Entscheid zum Suizid gefallen, gehe es meist schnell: Die meisten setzten ihr Vorhaben innerhalb von zwei Stunden in die Tat um. 

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