Alarmisten und Jammerer haben Hochkonjunktur. Die bevorstehende Abstimmung über die Einheitskasse treibt sie zu Höchstleistungen im Beklagen von Missständen. Explodierende Gesundheitskosten, steigende Krankenkassenprämien, ausgepresste Patienten – die ewige Leier. Die Diagnose steht schnell: Unheilbar krank sei unser Gesundheitswesen.
Ist sie auch richtig? Ist alles so schlimm?
SonntagsBlick macht einen Ländervergleich. Dabei zählen nicht nur die Kosten, sondern auch die Leistungen. Also das, worum es bei der ganzen Debatte eigentlich gehen müsste: den Gesundheitszustand der Bevölkerung. Basis ist der Bericht «Gesundheit auf einen Blick» der OECD.
1. Kosten
Behauptung: Die Schweiz hat nach den USA das teuerste Gesundheitssystem der Welt.
Tatsache: Wir geben elf Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) für die Gesundheit aus. OECD-weit liegt die Schweiz damit auf Platz sechs (siehe Grafik). Nimmt man absolute Zahlen, liegt sie auf Platz drei hinter den USA und Norwegen.
2. Teuerung
Behauptung: Die Gesundheitskosten explodieren.
Tatsache: Die Kosten steigen zwar, aber weniger stark als in anderen Ländern. Von 2000 bis 2011 erhöhte sich der BIP-Anteil der Gesundheitskosten in der Schweiz von 9,9 auf elf Prozent – weit weniger stark als im OECD-Durchschnitt.
3. Pharmapreise
Behauptung: Wir geben viel zu viel für Medikamente aus.
Tatsache: Die Schweiz hatte lange Zeit weltrekordhohe Pharmapreise und gehört noch heute zu den teuersten Ländern. Seit dem Jahr 2000 verläuft der Preisanstieg aber unterdurchschnittlich. Bei den Medikamentenausgaben pro Kopf kommt die Schweiz erst an elfter Stelle. Deutsche und Franzosen geben in absoluten Beträgen mehr für Medis aus.
4. Anreize
Behauptung: Prämienzahler haben keinen Anreiz, auf die Kosten zu achten.
Tatsache: Bei uns zahlen die Patienten 26 Prozent der Gesundheitskosten selber. Der Durchschnitt der OECD-Länder liegt bei 20 Prozent. Dies bedeutet, dass die Patienten durchaus gute Gründe haben, die Kosten im Auge zu behalten.
5. Leistung
Behauptung: Das Schweizer System ist teuer, die Leistungen sind in anderen Ländern aber besser.
Tatsache: Letztes Jahr hat die Schweiz Japan als Land mit der höchsten Lebenserwartung abgelöst. Kein anderes Land verzeichnet zudem einen stärkeren Rückgang der Todesfälle durch Krebs: Heute sterben 29 Prozent weniger an Krebs als 1990. In Umfragen sagen 81 Prozent der Erwachsenen, sie seien gesund. In Europa fühlen sich nur die Iren gesünder. Positiv auch: Nur 30 Prozent der Schweizer Bevölkerung haben eine Zusatzversicherung. Das zeigt, dass die Mehrheit zufrieden ist mit der Grundversicherung.
6. Arztbesuche
Behauptung: Die Schweiz hat zu viele Ärzte, und die Leute rennen zu oft zum Arzt.
Tatsache: Mit 3,8 Ärzten pro 1000 Einwohner liegt die Schweiz auf gleicher Höhe wie die Nachbarländer. Im Schnitt suchen Schweizer vier Mal jährlich einen Arzt auf. Auch hier sind es in Europa einzig die Iren, die noch seltener einen Arzt brauchen. Der OECD-Schnitt liegt bei mehr als sechs Arztbesuchen pro Jahr.
7. Spitalaufenthalte
Behauptung: Unsere Spitäler behalten die Patienten viel zu lange.
Tatsache: Mit 9,5 Tagen liegt die Aufenthaltsdauer in der Schweiz zwar um 1,5 Tage über dem OECD-Schnitt. Seit 2000 ging sie aber deutlich zurück.