Post-Chefin Susanne Ruoff zu Schalterschliessungen
«Wir bauen nicht ab, wir bauen um»

Susanne Ruoff ist die mächtigste Managerin der Schweiz. Hier spricht sie über den Umbau der Post, über Spannungen, und warum ihr der Job so viel Spass macht.
Publiziert: 30.08.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 09.10.2018 um 01:29 Uhr
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Ruhig, konzentriert, zielstrebig. Susanne Ruoff, die erste Frau an der Spitze der Schweizerischen Post. Als Chefin von 62 000 Mitarbeitenden trimmt sie den Konzern fit für die Zukunft.
Foto: Valeriano Di Domenico
Interview: Christine Maier, Fotos: Valeriano Di Domenico

SonntagsBlick: Frau Ruoff, nach der Präsentation der Halbjahreszahlen diese Woche müssen Sie heute ja ganz entspannt beim Frühstück sitzen.
Susanne Ruoff:
Ich bin immer sehr entspannt beim Frühstück. Der Morgen ist mir wichtig. Ich esse etwas, lese in aller Ruhe die Zeitung. Das gibt eine gute Basis für den Tag.

Sie haben beim Gewinn zugelegt, aber in einzelnen Geschäftsbereichen Umsatz verloren. Bei den Poststellen zum Beispiel. Drohen weitere Schliessungen?
Wir sind laufend daran, das Poststellennetz zu überprüfen. Wir verlieren Umsatz am Schalter. In den letzten zehn Jahren gab es am Schalter rund 67 Prozent  weniger Briefe, 43 Prozent weniger Pakete und 34 Prozent weniger Einzahlungen. Würden Sie ein Verkaufsnetz aufrechterhalten, das solche Einbussen verzeichnet?

Wohl kaum. Nur: Jede Schliessung einer Poststelle bedeutet grossen Ärger. Die Anwohner steigen auf die Barrikaden!
Ja. Und ich kann den Ärger der Leute auch verstehen. Sie müssen lieb gewonnene Gewohnheiten aufgeben. Es gibt Veränderungen im Alltag. Nicht alle Leute können gleich gut damit umgehen.

Und Sie, wie können Sie mit den geharnischten Reaktionen darauf umgehen? Den gehässigen Kommentaren und Leserbriefen? Sind Sie tatsächlich immer so gelassen, wie Sie wirken?
Nein, Kritik unter der Gürtellinie kann mich sicher treffen. Unfaire Behauptungen gehen mir auch mal auf die Nerven. Als Chefin der Post muss ich aber damit umgehen können. Und ich weiss, der Weg ist klar, da müssen wir jetzt durch.

Ihre Kollegen, die Chefs der SBB oder SRG haben es einfacher. Die wirtschaften mit Steuer- oder Gebührengeldern. Sie hingegen müssen eigenwirtschaftlich sein. Würden Sie manchmal lieber den Zugverkehr steuern oder über Fernsehprogramme diskutieren?
(Lacht) Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Mir gefällt meine Arbeit. Aber Sie haben recht: Wir bekommen keine Steuern, wir geben sogar von unseren Erträgen eine Dividende  ab. Ich bin stolz darauf, dass  wir das geschafft haben. Es gab Zeiten, da war die Post hoch defizitär. Deshalb  müssen wir auch Gewinn machen. Um die Infrastruktur auf dem neusten Stand zu halten, Innovationen zu entwickeln und den Betrieb weiter zu stärken.

Sie rütteln kräftig am gelben Riesen, Frau Ruoff. Sie müssen Vergangenes abbauen, um Neues aufzubauen.
Richtig, aber wir bauen nicht ab. Wir bauen um ...

... der traditionelle Postkunde sieht das wohl anders.
Die Frage ist: Was ist ein traditioneller Postkunde? Der, der Briefe auf die Post bringt, Päckli holt, seine Einzahlungen macht? Oder jener, der die neuen Services in Anspruch nimmt. Den 24-Stunden-Päckli-Dienst nutzt. Das Paket dem Pöstler mitgibt. SMS-Marken bezieht. Oder das Geld mit der PostFinance-App überweist und damit Einzahlungen macht. Das Spannungsfeld ist gross. Alle sind für uns gleich wichtig.

Und allen gehört ein Stückchen der Post.
Stimmt. Alle haben einen Anspruch. Das kann man nachvollziehen, die Post ist ein Unternehmen im Besitz des Bundes. Aber: Wir werden nie alle Ansprüche erfüllen können. Unseren vom Bund definierten Auftrag hingegen schon: Service public. Wir gewährleisten die Grundversorgung!

Indem Sie Poststellen schliessen, den Einsatz von Postautos streichen? Das ist doch ein Abbau?
Nochmals: nein. Wir haben ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz, das unseren Auftrag klar definiert. Und ein strategisches Ziel, das der Bundesrat festhält. In diesem Rahmen bewegen wir uns. Am Service public rütteln wir nicht.

Können Sie ein einfaches Beispiel für Ihren Auftrag machen?
In 20 Minuten müssen 90 Prozent der Bevölkerung eine Poststelle oder Agentur erreichen.

20 Minuten zu Fuss?
Zu Fuss oder mit dem öffentlichen Verkehr. In 30 Minuten muss es ihnen möglich sein, Bareinzahlungen zu machen. Die Liste ist lang. Wir erfüllen sie. Und – das möchte ich schon noch festhalten – was die Qualität betrifft, sind wir europa-, wenn nicht sogar weltweit an der Spitze.

Wenn es nach den Initianten der «Pro Service public»-Initiative geht, könnten Sie bald mächtig unter Druck kommen. Sie fordert: Weniger Gewinn für Bundesbetriebe, weniger Gehalt für deren Chefs, mehr Service public.
Was das Gehalt angeht: Das wird vom Verwaltungsrat festgelegt und durch den jährlichen Lohnbericht des Bundes kontrolliert. Aber: Wie will man den Service public aufrechterhalten? Die Infrastruktur und In­novationen, in die allein letztes Jahr 450 Millionen Franken aus unseren Erträgen wieder ins Unternehmen geflossen sind? Woher kommt das Geld, um das digitale Kerngeschäft am Laufen zu halten und in die digitale Zukunft zu investieren? Vom Staat? Wohl kaum. Ich stehe dafür ein, dass die Post gewinnbringend, in einem guten, zukunftsfähigen Zustand mit zufriedenen Kunden und Mitarbeitenden ist.

Auch beim Restmonopol auf leichte Briefe könnte es der Post an den Kragen gehen. Im Herbst wird der Bericht des Bundesrats an das Parlament erwartet. Was würde es für Sie bedeuten, wenn das Monopol fällt?
Im Gesetz ist definiert, dass wir mit diesem Monopol bei Briefen bis 50 Gramm einen Anteil der Grundversorgung abgegolten erhalten. Fällt es weg, müssen wir schauen, wie wir unserem Auftrag nachkommen können.

Wie hoch ist der Ertrag auf diesem Monopol?
Das sind keine öffentlichen Zahlen. Aber schauen Sie: Am Ende des Tages müssen wir darüber diskutieren: Welchen Service public wollen wir, was darf das kosten und wer bezahlt ihn. Das ist eine politische und gesellschaftliche Debatte.

Apropos Kosten. Stimmt es, dass Sie die Preise bei den Briefen erhöhen werden?
Seit 2004 haben wir bei den Standard A- und B-Briefen die gleichen Preise. Eigentlich hätten wir sie allein wegen der Teuerung in dieser Zeit erhöhen müssen.

Ich dachte, das sei geplant.
Wir haben mit dem Preisüberwacher abgemacht, die Preise bis April 2016 nicht zu erhöhen.

Und dann?
Dann werden wir es nochmals anschauen.

Eine diplomatische Antwort. Lassen wir sie so stehen. Was passiert eigentlich mit dem Krims-krams-Verkauf in den Poststellen? Sie haben dafür viel Kritik ein­stecken müssen, auch von Ihren Angestellten, die sich nicht als Ver­käufer verstehen.
Wir nehmen jede Kritik ernst und reagieren – wenn möglich.

Was heisst das konkret?
Das Sortiment wird bereinigt und wir machen einen Versuch in über zwanzig Poststellen. In einem weiteren Versuch wird in siebzig Poststellen das Verkaufs- und Beratungsgeschäft getrennt an verschiedenen Schaltern abgewickelt. Wir testen das jetzt mal.

Sie testen gerne, haben einige Pilotprojekte am Laufen. Haben Sie keine Angst davor, auf die Nase zu fallen?
Wir haben gar keine andere Wahl. Wir müssen einfach aus der Theorie heraus in die Praxis gehen. Wir alle sollten lernen, Fehler zu machen, auch mal auf die Nase zu fallen. Dann gilt es aufzustehen, daraus zu lernen. Und weiterzugehen.

Sie machen den Eindruck einer mutigen Frau, die weiss, was sie will. Die einstecken kann. Humor hat. Und eine grosse Vision für den gelben Riesen. Wie sieht die genau aus?
Die Post verändert und reformiert sich entlang der sich verändernden Gewohnheiten einer immer digitaleren und mobileren Gesellschaft, so wie sich das Unternehmen in seiner über 160-jährigen Geschichte immer wieder verändert hat. Unsere Produkte sollen einfach funktionieren, sie sollen den Alltag der Postkunden erleichtern. Nur wenn es uns als Unternehmen gelingt, das Kerngeschäft digital zu unterstützen und zu erweitern, wird die Post auch in den kommenden Jahren weiterhin erfolgreich unterwegs sein.

Nächste Woche sind Sie genau drei Jahre im Amt. Was macht Ihnen so offensichtlich Spass daran, Chefin der Post zu sein?
Jetzt werden Sie lachen: Es ist die grosse Herausforderung, die diese Aufgabe mit sich bringt. Ich mag He­rausforderungen. Ich mag es, diesen Bogen zu spannen zwischen dem traditionellen und dem digitalen Geschäft. Und deshalb kann ich auch mit diesen Spannungen, die wir heute diskutiert haben, so gut umgehen.

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