Ex-UBS-Chefökonom zum EZB-Entscheid
Müssen auch Sparer bald Negativzinsen zahlen?

Der Finanzexperte Klaus Wellershoff erklärt im Interview, welche Auswirkungen die Zinssenkungen der EZB auf die Schweiz haben und wie die SNB reagieren wird.
Publiziert: 11.03.2016 um 10:26 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 17:03 Uhr
Ökonom Klaus Wellershoff: «Die EZB hat bis vor kurzem die vorsichtigste Geldpolitik der Welt betrieben».
Foto: Siggi Bucher
Vinzenz Greiner

Klaus Wellershoff (52) war bis 2009 Chefökonom und Mitglied der Geschäftsleitung bei der UBS. Der Finanzexperte und Honorarprofessor der Universität St. Gallen erklärt, was der Entscheid der Europäische Zentralbank (EZB) vom gestrigen Donnerstag bedeutet.

Herr Wellershoff, die EZB hat gestern den Leitzins auf 0 Prozent gesenkt. Sind Sie überrascht?

Klaus Wellershoff: Nein. Angesichts des Drucks der Finanzmärkte und der Medien in den letzten Tagen war der Schritt keine Überraschung mehr.

Warum senkt die EZB den Leitzins überhaupt?

Ohne ein deutliches Signal an die Finanzmärkte hätte sich der Euro aufgewertet. Auch die Zinsen für Kredite wären wohl angestiegen.

Welche Folgen hätte das gehabt?

Das hätte die Finanzmärkte kräftig durchgerüttelt und den Banken das Leben schwerer gemacht.

Ausserdem weitet EZB-Chef Mario Draghi den Kauf von Staatsanleihen auf 80 Milliarden Euro aus. Die Geldschleusen gehen weiter auf.

Im globalen Vergleich hat die EZB bis vor kurzem die vorsichtigste Geldpolitik betrieben. Alle anderen Zentralbanken waren aktiver. Die Basisgeldmenge im Euro etwa ist seit der Finanzkrise nicht mal halb so stark angestiegen wie bei uns im Franken.

Was genau bedeutet das?

Wenn die Finanzmärkte mal wieder zur Vernunft kommen, droht den Europäern, dass ihre Währung sehr kräftig aufwertet. Tiefere Inflationsraten führen zu starken Währungen. Aktuell liegt die US-Inflation 1,5 Prozentpunkte über der im Euroraum. Tendenz steigend.

"Der Franken ist stark, weil die Schweizer Angst vor Europa haben» - Ex-UBS-Chefökonom Klaus Wellershoff
Foto: ZVG

Die Wirkung des Anleihenkaufs hält sich bisher in Grenzen. Warum geht Draghi weiter den Weg der Geld-Schwemme und des Niedrig-Zinses?

Der schwache Euro hilft den Exporteuren. Die tiefen Zinsen haben allerdings gar keine Wirkung mehr. Denn die Kreditnachfrage wächst ohnehin, weil es die Eurozone ebenfalls tut.

Also ein verfehltes Konjunktur-Programm?

Mit Konjunkturpolitik hat das nur indirekt etwas zu tun. Es geht mehr um die Finanzmärkte und Banken.

Warum will Draghi, dass die sich mit noch billigerem Geld eindecken können?

Die Europäer haben es versäumt, ihre Banken nach der Finanzkrise zu sanieren. Statt die maroden Banken zu schliessen, haben sie auf den Faktor Zeit gesetzt. Das funktioniert aber nur, wenn die Banken grosse Gewinne machen, die einbehalten werden und damit die Kapitalbasis stärken.

Welchen währungspolitischen Spielraum hat die EZB überhaupt noch – hat Draghi sein letztes Pulver verschossen?

Nein. Wenn Draghi Europa in Geld ertränken will, kann er noch mehr machen. So wie eben die US-Notenbank oder wie die SNB.

Was erwarten Sie für die Schweiz – kommt ein neuer Frankenschock?

Nein. Ich erwarte, dass sich der langsame Aufwärtstrend im Wechselkurs zum Euro fortsetzen wird. Der Franken ist ja auch nicht wegen der Geldpolitik der EZB stark geworden, sondern weil die Schweizer Angst vor Europa haben.

Wird sich der Franken also abschwächen?
Wir sehen heute schon, dass sowohl Anleger als auch Unternehmen wieder vermehrt im Ausland investieren. Europäische Anlagen sind im Vergleich günstig zu haben, und die EU ist ein Markt mit 500 Millionen Einwohnern. Das kann man nicht auf Dauer ausblenden.

Wird SNB-Chef Thomas Jordan nächste Woche eine andere Geldpolitik verkünden als vor dem EZB-Entscheid absehbar war? Ist Jordan unter Zugzwang?

Die Wahrscheinlichkeit ist gewachsen, dass die SNB nachlegen und auch mit anderen Mitteln versuchen wird, den Franken weiter zu schwächen.

Meinen Sie damit, dass die SNB in den Geldmarkt eingreifen muss?

Die SNB musste in den vergangenen Wochen schon immer wieder intervenieren, damit der Aufwärtstrend im Wechselkurs zum Euro intakt bleibt.

Welche Mittel meinen Sie dann?

Zur Diskussion steht eine Senkung des Schwellenwertes, ab dem die Banken der Nationalbank Negativzinsen abliefern müssen. Aber auch eine weitere Zinssenkung.

Heisst das, dass die negativen Zinsen noch negativer werden?

Hoffentlich nicht, denn damit würde auch die Gefahr wachsen, dass wir alle auf unseren Privat- und Sparkonto Negativzinsen zahlen.

Was wäre die Folge für die Schweiz?

Die Verunsicherung der Menschen wird dann noch mehr zunehmen. Schon jetzt wächst der Konsum kaum noch. Für die Konjunktur wäre das Gift!

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