Ethnologe Stefan Leins erforschte ihr Verhalten
Der Banker-Versteher

Stefan Leins stand mittendrin: Zwei Jahre lang erforschte der Ethnologe das seltsame Völkchen der Grossbanker.
Publiziert: 31.07.2016 um 23:46 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 06:13 Uhr
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«Analysten betrachten Trader etwa genauso skeptisch wie die Occupy-Bewegung.» Ethnologe Stefan Leins.
Foto: Siggi Bucher
Vinzenz Greiner

Ihre Entscheidungen können Millionengewinne oder -verluste bedeuten. Doch niemand kennt die Banker wirklich. Wenn sie am Paradeplatz aus dem Tram steigen und eines der Gebäude betreten, tauchen sie ein in eine andere Welt, in der sie unter sich sind, wo ihre Regeln und Gesetze gelten, ihre Sprache verstanden wird.

«Man kann sagen, dass Banker wie ein eigenes Volk sind», sagt Stefan Leins (35). Sie haben, was es dafür braucht: eigene Symbole, eigene Wörter. Und: «Sie grenzen sich von anderen Gruppen vom Aussehen her ab», so der Ethnologe der Universität Zürich. Während seine Studienkollegen Fischer in Grönland oder Weber im Hochland von Peru erkunden, verbrachte Leins zwei Jahre mit Analysten in den Büros einer Schweizer Grossbank.

Für seine Doktorarbeit untersuchte er, wie Analysten mit ihren Prognosen aus der Masse herauszustechen versuchen. Und er beobachtete, dass ihr Ansehen mit der Zahl der Menschen steigt, die sie von ihrer Einschätzung überzeugen: «Die beste Story gewinnt.»

Bei den Tradern dagegen steigt man in der Rangliste umso höher, je grösser die Summen sind, die man verschiebt. Spätestens hier lernte Leins: Den Banker an sich gibt es nicht.

Wie ein Engadiner, ein Genfer und ein Tessiner zum selben Schweizer Volk gehören, zählen Händler, Kundenberater und Finanzanalysten zu den Bankern. Doch auch sie haben ihre besonderen Identitäten und grenzen sich untereinander ab.

Leins erkannte das am Umgang mit dem Markt. Für Analysten ist er eine Autorität, der sie mit wissenschaftlichen Konzepten beikommen wollen. Für Händler ist der Markt etwas, das man spüren, ein «Biest, was man bändigen muss». Analysten «betrachten Händler etwa genauso skeptisch wie die Occupy-Bewegung», die sich nach der Finanzkrise 2007/08 formierte.

Der Ethnologe beobachtete, dass Kundenberater, Trader und Analysten weitgehend unter sich blieben – auch privat. «Ein Kundenberater hat mit einem Kunstkurator mehr gemeinsam als mit einem Händler», erklärt Leins.

Was mit der Arbeit zusammenhängt. Beim Trading geht alles blitzschnell: Grosse Geldbeträge wandern in Sekunden um den Globus, der Händler wird zum Sportler. Einige geniessen Energy-Drinks und kleiden sich sogar athletisch. Dass ihr Erfolg auch vom Wagnis abhängt, wollen sie zeigen: Händler tragen häufig bunte Hemden und Krawatten, teure Manschettenknöpfe – ein No-Go für Analysten, die mit Prognosen auffallen wollen, sonst am liebsten gar nicht.

Trader nehmen die Risikobereitschaft aus dem Büro mit nach Hause. Viele zocken auch im Casino, fahren schnelle Autos. Kundenberater scheuen oft schon das Wort Risiko. Sie sprechen von «strukturellen Krisen und «langfristiger Rendite». Ihre harte Währung ist Vertrauen. Dass sie dessen würdig sind, signalisieren sie mit gepflegtem, ruhigem Auftreten und Traditionsmarken.

Leins hat viele dieser Codes erlernt. Im Frühjahr kommt seine Dissertation als Buch. Dank der Analysten weiss er, was eine gute Story braucht.

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