Sie sieht den Fotografen. Und macht ihm ein unmoralisches Angebot. «Soll ich für Sie die Bettlerin spielen?», fragt sie. «Es hat hier keine.» Sie grinst.
Die ältere Athenerin mit dem blond gefärbten Haar hat gut lachen, weil sie steinreich ist im mausarmen Griechenland. Die Krise? Der Grexit? «Mir egal!»
Viele reiche Griechen halten sich versteckt: in Gstaad BE, an der Côte d’Azur, in London, in New York. Oder hinter vergitterten Häusern, wie hier im noblen Athener Vorort Kifisia. Nicht so die blondierte Millionärin, sie spricht zwei Reporter vor einer Boutique an – und erzählt ohne Scham, wie sie ihr eigenes Land betrügt, letztlich die Verarmung ihres Landes befeuert.
Sie, die Mittsechzigerin, ist die Fratze der Krise. Sie entstammt einem industriellen Clan, könnte der Pfeiler einer gesunden Gesellschaft sein. Ihr Grossvater gründete eine chemische Fabrik, ihr Vater formte sie zum Pharmakonzern, ihre vier Geschwister, zwei Cousins und sie halfen mit. Bis der Patron 1999 einen Herzanfall hatte. «Statt zum Arzt zu gehen, arbeitete er weiter, starb im Büro», erzählt die Tochter stolz.
Der Fiskus weiss nichts
Die sieben Erben führten das Unternehmen an die Börse. Den Erlös brachte die Tochter sofort in Sicherheit. Sie gesteht: «Meine Millionen sind in der Schweiz, der griechische Fiskus weiss davon nichts.» Hat sie kein schlechtes Gewissen, den Staat um Steuereinnahmen zu betrügen? «Ich zahle doch Steuern!», wehrt sie sich – und verweist auf 35 Prozent Verrechnungssteuer, die ihre Bank auf die Zinserträge abführe.
«Typisch», erklärt ein Schweizer Banker. «Viele Ausländer mit Schwarzgeld redeten sich lange ein, sie würden Steuern zahlen, wenn die Verrechnungssteuer zurückbehalten wird.»
Sie schlafe gut, so die Millionärin. «Mein Geld ist in der Schweiz sicherer als hier in Griechenland.» Gerne nehme sie Minuszinsen in Kauf, welche sie in der Schweiz zahle. Wäre ihr Vermögen auf einer Athener Bank, «könnte mich der Staat schon morgen enteignen». Oder es verliere massiv an Wert, wenn es nach dem Grexit, dem Ausstieg aus dem Euro, in Drachmen umgewandelt würde. «Neun Zehntel meines Geldes ist in der Schweiz.» In Franken. Sie weiss genau: «Kommt die Drachme zurück, wäre ich in Griechenland plötzlich noch reicher.»
Heute sei sie nicht allzu chic angezogen, sagt sie. Ihr Kleid habe sie bei H&M gekauft. Nur die Prada-Tasche, die sie ausführt, «kostete ein bisschen». Ein Porsche, ein BMW, ein Mercedes und ein Land Rover stehen an der Kreuzung. Jeden Tag kauft sie in einem der teuren Läden von Kifisia ein. Dass sie derzeit täglich nur 60 Euro von ihrem griechischen Konto abheben kann, stört sie nicht. Sie zahlt mit ausländischen Kreditkarten – die Geschäfte in Kifisia akzeptieren sie gerne.
Wie in Südamerika
Griechenland ähnelt Südamerika: wenige Superreiche, viele Arme, schrumpfende Mittelklasse. 559 Multimillionäre besitzen die Hälfte der Vermögen. Die elf Reichsten mehrten ihre Schätze zwischen 2013 und 2014 von 14 auf fast 17 Milliarden Dollar. Der Rest darbt. Löhne und Renten nehmen ab, Preise und Arbeitslosenzahlen nehmen zu.
Die Wut ist gross, die Angst der Reichen steigt. Deshalb sind die meisten zugeknöpft. Zuweilen gibt es Übergriffe auf Journalisten, die Steuerbetrüger auffliegen lassen. Partout will die Millionärin anonym bleiben.
Sie protze nicht, betont sie. «In meiner Familie kaufen wir immer zuerst ein Haus, in dem wir leben, und erst dann das Auto.»
Wie viel hat sie? «Genug», sagt sie. «Es ist weit mehr, als was eine Schweizer Bank als Minimum für ausländische Privatkunden verlangt.» Einige Millionen Franken also. Kennt sie keine Skrupel? «Nein.» Nicht nur Reiche zahlten in Griechenland keine Steuern, «sondern alle».
Wer kann, schafft sein Geld ins Ausland. Rund 140 Milliarden Euro sollen Griechen dort parkiert haben. Und in der Schweiz? Gesicherte Zahlen gibt es nicht. 2010 ging eine Studie von 24 Milliarden Franken aus. «Die Griechen haben in der Schweiz mindestens 80 Milliarden Euro liegen», zitiert «Der Spiegel» den österreichischen Ökonomen Friedrich Schneider. «Etwa zwei Drittel davon sind Schwarzgeld.»
Zwar betonen Schweizer Banken wie UBS und Credit Suisse, sie akzeptierten nur noch versteuerte Vermögen. Griechische Kunden müssen aber – als letzte in Europa – keinen Nachweis erbringen, dass der Fiskus von ihren Geldern weiss. Der Grund? Im Gegensatz zu den Deutschen oder den Franzosen haben die Griechen nie ein Selbstanzeigeprogramm für ihre Steuersünder aufgelegt. Mit einem solchen könnten Bankkunden ihre Schwarzgelder gegen Bussen weisswaschen – und in der Schweiz liegen lassen.
Das soll bald möglich sein, hoffen Beamte beim Eidgenössischen Finanzdepartement. Sie reisten Mitte März und im April nach Athen, um den Griechen die Vorteile einer solchen Regelung aufzuzeigen. Ein Vorschlag soll bald ins Parlament kommen.
Wird er angenommen, muss die Millionärin von Kifisia ihre Konten offenlegen. Oder die Schweizer Bank wirft sie raus.