Die Schweiz hat ein Lohndumping-Problem. Jetzt geht mit Zürich der wirtschaftlich wichtigste Kanton voran. Im Detailhandel und im Maschinenbau, zwei Risikobranchen, könnte der Regierungsrat schon bald Normalarbeitsverträge mit zwingenden Mindestlöhnen erlassen.
Die Vertragsentwürfe liegen BLICK vor. Erstellt wurden sie im kantonalen Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) von FDP-Regierungsrätin Carmen Walker Späh (58). Die Verträge werden derzeit von der Tripartiten Kommission diskutiert. Ihr gehören Vertreter der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und des Kantons an.
Rund 3000 Franken netto am Ende des Monats
Für Kontroversen sorgt dabei vor allem eine Tatsache: Die in den Verträgen definierten Mindestlöhne sind extrem tief. «Statt dass der Kanton das Problem löst, geht er hin und legalisiert das Lohndumping», heisst es bei der Gewerkschaft Unia.
Gemäss Vertragsentwurf soll im Detailhandel künftig ein Mindestlohn von 3415 Franken pro Monat gelten. Und zwar unabhängig von Alter, Ausbildung und Berufserfahrung. Sprich: Selbst Personen, die eine Lehre abgeschlossen haben und für eine Familie sorgen müssen, könnten am Ende des Monats mit netto rund 3000 Franken dastehen.
Bessere Löhne in Genf und Bern
Dieser Wert mutet in zweifacher Hinsicht tief an. Einerseits im kantonalen Vergleich: Detailhandelsangestellte in Genf haben einen bis zu 350 Franken höheren Mindestlohn. Im Kanton Bern liegt der Mindestlohn für über 25-jährige Verkäufer sogar bei bis zu 3955 Franken. Allerdings sind hier Ausnahmen möglich.
Andererseits schneidet der kantonale Mindestlohn auch im brancheninternen Vergleich schlecht ab. Bei Migros und Coop erhalten ungelernte Mitarbeiter mindestens 3900, solche mit einer Lehre sogar mindestens 4100 Franken. Aldi, Denner und Lidl zahlen noch besser.
Auch in der zweiten Problembranche, dem Maschinenbau, soll ein tiefer Mindestlohn eingeführt werden. Gemäss Vertragsentwurf: 3850 Franken pro Monat, unabhängig von Alter, Ausbildung und Berufserfahrung.
Unia: «Das ist nicht akzeptabel»
Unia-Sprecher Lorenz Keller kritisiert die amtlich bewilligten Tiefstlöhne heftig. «3415 Franken im Detailhandel sind ein Skandal. Das ist nicht akzeptabel.» Normalarbeitsverträge sollten sich an bestehenden Gesamtarbeitsverträgen orientieren.
Nebst der Höhe der Mindestlöhne ruft auch die Tatsache, dass Alter, Ausbildung und Berufserfahrung nicht berücksichtigt werden, Kritik der Gewerkschafter hervor. «Wenn es sich nicht mehr lohnt, eine Lehre zu absolvieren, dann wird die Berufsbildungsstrategie von Bund und Kanton Zürich unterlaufen.»
Bruno Sauter, Chef des Amts für Wirtschaft und Arbeit, will sich «aus Gründen des Amtsgeheimnisses» nicht zur Höhe der Mindestlöhne äussern. Auch Regierungsrätin Walker Späh hält sich bedeckt. «Die Regierung kommt erst dann ins Spiel, wenn sich die tripartite Kommission entscheidet, bei der Regierung den Erlass eines Normalarbeitsvertrags zu beantragen», teilt eine Sprecherin der Volkswirtschaftsdirektion mit.