Alle anderen waren ahnungslos
Dieser Anwalt verhökerte Sika

Am Schluss war es ein Mann, der den Verkauf für die Sika-Erben orchestrierte: Der Anwalt Urs Schenker.
Publiziert: 17.01.2015 um 18:12 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 22:43 Uhr
Der Anwalt Urs Schenker.
Foto: RDB / Nik Hunger
Von René Lüchinger

Wir stehen in der Woche fünf nach jenem ominösen Montag, als fünf Sika-Erben völlig überraschend den Verkauf der Stimmenmehrheit an die französische Saint-Gobain bekannt gegeben haben. Mittlerweile haben sich neben Saint-Gobain vier Interessensgruppen rund um das goldene Kalb Sika postiert.

Zwei davon wollen den Verkauf zu Ende bringen, zwei ihn verhindern (siehe Grafik). Wer sind die Strippenzieher, die Profiteure, deren Wirken sich teils über Jahre zur heutigen Situation ausgewachsen hat? Und welche Rollen spielen sie im Verkaufsprozess an die Franzosen? Der Kampf um Sika in vier Akten.

Akt 1: Als der Patron gestorben war. Solange Romuald Burkard die Geschicke der Sika führt, herrscht Ordnung. Der CVP-nahe Patron gibt die Richtung vor, den Verwaltungsrat präsidiert alt Bundesrat Kurt Furgler. Als 2004 der Clanchef stirbt, entsteht ein Vakuum. Es ist nun dessen Frau, Franziska Burkard-Schenker, die das Familienerbe hochhalten muss. Sie sitzt auch im Verwaltungsrat der Familienholding Schenker-Winkler, in der das Erbe gebunkert ist. Präsident der Sika wird ein Studienkollege des Patrons, der vergangenen Montag verstorbene Rudolf Villiger, «ein Vollblutunternehmer mit Herz», wie es im Nachruf heisst. Dieser holt neue Köpfe, die mit dem Patron nicht mehr viel am Hut haben. Und auch keine unternehmerische Expertise.

Akt 2: Neue Gesichter tauchen auf. Da ist einmal Jurist Max Roesle, ein Mann mit interessanter Vergangenheit. Katholische Familie, Abgänger der Klosterschule Einsiedeln SZ, aufgewachsen in gutbürgerlichen Verhältnissen am Zürichberg. Der Vater ist Direktor der Bank Leu, der Sohn geht zur Schweizerischen Kreditanstalt (SKA), bevor er mit immer wechselnden Partnern immer neue Kanzleien gründet.

Er sei öfter einmal zum Auszug gedrängt worden wegen Inkompatibilität des Charakters, heisst es in der Zürcher Anwaltsszene. Und der Jurist verfügt über einen soliden Ruf in seiner Zunft, als einer, der sich mit keinerlei Hemmungen belaste, wenn es gelte, ans Ziel zu kommen.

Ein guter Anwalt also, den man besser nicht auf der Gegenseite weiss, einer auch, der sich prozessfreudig zeigt, selbst wenn er es mit Familienmitgliedern zu tun bekommt. Gegen den eigenen Schwiegervater prozessiert er ebenso wie gegen die Frau des Bruders.

Zum Rückzug bläst er höchst ungern und nur dann, wenn der eigene Ruf Schaden zu nehmen droht.

Und dieser streitbare Jurist wächst bei Sika nach dem Abgang der alten Patrons in die zentrale Position hinein. Vor sieben Jahren taucht er im Verwaltungsrat der Familienholding auf. Als 2013 Franziska Burkard-Schenker, die Enkelin des Sika-Gründers, 84-jährig stirbt, wird Max Roesle Willensvollstrecker.

Treffen mit dem Anwalt. Eine Kanzlei am Zürcher Bleicherweg, unweit des Paradeplatzes. Die Büros atmen zwinglianische Schmucklosigkeit wie der Anzug des Anwalts. Max Roesle gibt sich jovial. Bei heiklen Fragen geht er in Angriffsstellung, neigt den Kopf nach vorne und stemmt die Hände auf die Tischplatte. Frage: «Sie sind Willensvollstrecker der letzten Nachfahrin, die den Sika-Gründer noch persönlich gekannt hatte. Wollte die alte Dame verkaufen?» Max Roesle verneint. Bei der folgenden Gesprächspause neigt er sich vor und meint: Wenn es je so weit kommen sollte, habe sie stets gesagt, dann bitte mit Rücksicht auf die Firma. Ob diesem letzten Wunsch mit dem jetzigen Blitzverkauf nach Frankreich durch ihre Kinder entsprochen wird, lässt sich freilich nicht mehr eruieren.

Wo ein Anwalt ist, ist der Vermögensverwalter nicht fern. Vor allem, wenn es um vermögende Familienaktionäre geht. Im gleichen Jahr wie Max Roesle nimmt auch der Vermögensverwalter Willi Leimer Einsitz in der Familienholding – als Präsident. Er ist von Fritz Burkard für diesen Job vorgeschlagen worden. Ein geschmeidiger Typ sei dieser Willi Leimer, heisst es, ein Pokerface. Mit seiner WM Partners Vermögensverwaltungs AG hat er sich auf grössere Familienvermögen spezialisiert.

Der dritte im Bunde ist ein zweiter Anwalt: Urs Schenker. Ein diskreter Typ, der die grossen Deals am Liebsten aus dem Hintergrund orchestriert – so wie am Samstag, 29. September 2001, als am Zürcher Balsberg Dutzende von Experten um das Überleben der waidwunden Swissair kämpfen und gegen 13.30 Uhr eben dieser Urs Schenker an den Laptop tritt und die Lösung aus dem Hut zaubert: Aus der Swissair-Tochter Crossair solle die neue Swiss auferstehen.

Ähnlich diskret, aber gleichermassen effizient, agiert Urs Schenker auch im Fall Sika. Er ist entfernt verwandt mit den Burkards und weiss um die Befindlichkeit der Erben. Er weiss, dass seit dem Tod der Mutter einige verkaufen wollen. Er weiss, dass die Entfremdung zwischen Erben und Management grösser ist als auch schon. Der Anwalt bei der amerikanischen Baker & McKenzie wäre ein untalentierter Firmendealer, würde er darin nicht eine «ideale aktionärstechnische Konstellation» erkennen, die einen Verkauf risikoarm und lukrativ erscheinen lässt – nicht zuletzt für ihn selber: Die Transaktions-Fees in solchen Fällen betragen zwei bis drei Prozent des Verkaufspreises, der im Falle von Sika schliesslich 2,75 Milliarden Franken betragen wird.

So zaubert Urs Schenker schliesslich Saint-Gobain als Käuferin aus dem Hut, die mit der Sika seit Jahren zusammenarbeitet. Viel ist nun die Rede davon, dass sei das Beste für Sika, und so lassen sich die in einem Aktionärspool verbundenen Erben überzeugen. Als sie unterschreiben, sollen auch Tränen geflossen sein. Die Anwälte freilich, die den Deal wollen, sagen: Alle stünden dahinter wie eine Eins!

Akt 3: (Fast) Keiner will etwas gewusst haben. So reisen die Franzosen frohgemut in die Schweiz. Sie gehen davon aus, dass dies eine freundliche Übernahme gebe, schliesslich besitzen sie die Stimmenmehrheit. Anzeichen für Opposition gibt es keine. Am 5. Dezember 2014 sitzen sie im Zürcher Hyatt Hotel erstmals dem Sika-CEO Jan Jenatsch gegenüber und erläutern ihre Pläne. Der ist überrascht, gibt sich aber bedeckt und hört zu. Am Samstag finden weitere Meetings statt und der Sika-Verwaltungsrat wird involviert. Immer noch geht Saint-Gobain davon aus, dass die Angelegenheit locker über die Bühne geht – die Vorbereitungen für die Kommunikation laufen bereits. Erst am Sonntag realisieren sie, dass im Topmanagement wie im Verwaltungsrat sich eine fundamentale Opposition formiert.

Akt 4: Nach Vertragsabschluss haben alle einen Kater. Willi Leimer, der Vermögensverwalter, beteuert, er habe erst nach dem Verkauf davon erfahren. Will heissen: Der Präsident der Familienholding ist ahnungslos, eine Verwaltungsratssitzung in der Schenker-Winkler-Holding über den Verkauf hat es offenbar nie gegeben. Zufrieden meint der ahnungslose Leimer: «Es konnte eine Nachfolgeregelung innerhalb des Aktionariats gefunden werden.»

Eine interessante These: Die Erben haben sich einfach davongeschlichen. Und auch Max Roesle sagt: «Ich habe nichts gewusst.» Auch dieser ahnungslose Mann sieht die Sache positiv. «Es entspricht dem Willen von Franziska Burkard, dass ich der Familie helfe.»

Und nun? Vordergründig scheint der Deal geritzt. Bei den Erben aber, ist zu hören, bereuten einzelne den Entscheid. Bei Saint-Gobain sind einzelne Aktionäre besorgt ob des öffentlichen Aufruhrs. Eine Schweizer Investorengruppe wäre bereit, die Familienaktien zu übernehmen. Ethos-Gründer Dominique Biedermann versucht die sogenannte Opting-out-Klausel an einer

Generalversammlung zu Fall zu bringen. Und Experten rund um Microsoft-Gründer Bill Gates erfuhren bei Sika-Roadshows vom Blitzverkauf, der zu Wertminderungen der geprellten Minderheitsaktionäre führen kann. Jeder Aktionär, jeder Manager, jeder Verwaltungsrat weiss, was solches bedeuten kann: Klagen nicht ausgeschlossen.

Derweil macht die Saint-Gobain-Führung auf gut Wetter. Gestern fand am Flughafen Zürich ein Treffen mit dem Sika-Präsidenten und dem CEO statt. Während die Franzosen Synergien priesen, registrierten die Schweizer ein frostiges Klima und die Tatsache, dass der CEO des Käufers nicht einmal auftauchte. 

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