SonntagsBlick: Herr Gentinetta, um die Zuwanderung zu drosseln, hat der Bundesrat am Mittwoch die Ventilklausel angerufen – gegen Ihren Willen. Hat die Wirtschaft jetzt ein Problem?
Pascal Gentinetta: Es war für den Bundesrat kein einfacher Entscheid. Man sollte ihn nicht überbewerten. Die Auswirkungen werden sich in Grenzen halten.
Wie meinen Sie das?
Langzeitbewilligungen werden nur schwach begrenzt und Kurzaufenthaltsbewilligungen von einem Jahr sind davon nicht betroffen. Das bedeutet, dass die Wirtschaft weiterhin jene Arbeitskräfte bekommt, die sie benötigt.
Dann unterstützt Economiesuisse den Entscheid?
Wir können damit leben. Unsere Sorge ist, dass das Verhältnis zur EU, unserem wichtigsten Handelspartner, belastet wird. Es stehen schwierige Verhandlungen an.
Heikel wirds vor allem innenpolitisch. Hilft der Ventilklausel-Beschluss, die SVP-Masseneinwanderungs-Initiative zu bodigen?
Das werden wir sehen. Economiesuisse wird diese Initiative mit Vehemenz bekämpfen. Die Personenfreizügigkeit darf nicht gefährdet werden.
Wie wollen Sie argumentieren?
Wir haben eine hohe Einwanderung, die insgesamt qualitativ gut ist. Auch deshalb steht die Schweiz im europäischen Vergleich bestens da. Unsere Arbeitslosigkeit ist tief. Das heisst, die Wirtschaft nimmt ihre Verantwortung wahr, schafft Jobs. Es findet keine Verdrängung von Schweizern durch Ausländer statt. In vielen Branchen besteht eher ein Mangel an Fachkräften.
Hier stehen Sie auf der Seite des Bundesrats. Beim Atomausstieg hingegen kämpfen Sie gegen den bundesrätlichen Fahrplan.
Economiesuisse trägt die Energiewende mit. Wir wollen keinen Bau von AKW der heutigen Generation mehr. Der Fahrplan des Bundesrats ist jedoch völlig unrealistisch und die Rechnung geht nicht auf. Die Behörden verschleiern diese Tatsache.
Was soll nicht aufgehen?
Der Bundesrat schätzt die Stromnachfrage der Zukunft unrealistisch ein. Wir stehen zwar zur Stromeffizienz. Der Stromverbrauch lässt sich aber wegen Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstums kaum stabilisieren. Hinzu kommt die aus Umweltgründen erfreuliche Verlagerung von fossiler zu elektrischer Energie, etwa bei Autos. Ohne massive Verteuerung der Energieträger müssen wir also damit rechnen, dass der Stromverbrauch weiter steigt.
Das weiss der Bundesrat. Deshalb plant er auch neue Steuern auf Energieträgern. So steigen die Preise – und die Leute gehen mit der Energie sparsamer um.
Der Bundesrat muss ehrlich sein und alle Auswirkungen transparent auf den Tisch bringen. Der Bund hat berechnet: Um die ganze gewünschte Lenkungswirkung der jetzt verfolgten Strategie zu erzielen – um also die Leute dazu zu bringen, deutlich weniger Energie und Strom zu verbrauchen –, müsste eine Tonne CO2 mit 1140 Franken besteuert werden.
Es bräuchte also unter anderem massiv höhere Benzinpreise.
Die Folge der Lenkungspolitik des Bundes ist klar: Eine Erhöhung des Benzinpreises um rund drei Franken pro Liter auf etwa fünf Franken wäre nötig. Der Liter Heizöl müsste drei Franken kosten, rund dreimal mehr als heute. Strom müsste um 40 Prozent teurer werden.
Mobilität ist heute billig. Einige sagen, zu billig. Deshalb reisen Herr und Frau Schweizer tagtäglich durch die Schweiz. Höhere Preise sollen ja genau dazu führen, dass weniger gereist wird!
Man muss differenzieren. Wegen der Kostenwahrheit gibt es Handlungsbedarf vor allem beim öffentlichen Verkehr. Denn ÖV-Benutzer bezahlen nur rund die Hälfte ihrer Kosten. Deshalb wird der ÖV massiv subventioniert. Zugfahren ist insgesamt zu billig. Dies führt zu überfüllten Zügen und raumplanerischen Fehlanreizen.
Müssen Zugtickets teuer werden?
Ja, Bahnbenutzer sollten vermehrt ihre Vollkosten selbst decken.
Sie fordern also eine Verdoppelung der Zugticketpreise?
Ich will mich nicht in die SBB-Preispolitik einmischen. Aber tendenziell sollte der Benutzer deutlich stärker für seine Kosten aufkommen.
Auch im Strassenverkehr?
Hier bezahlen die Automobilisten bereits heute fast die ganzen Kosten, die sie verursachen. Bei der Berücksichtigung von externen Kosten etwa durch Lärm- oder CO2-Emissionen wären auch externe Nutzen wie etwa der Effekt auf Bodenpreise oder Zeitgewinne einzurechnen. Damit könnte insgesamt der Benzinpreis etwas steigen.
Was hätten massiv höhere Benzin-, Heizöl- und Strompreise für die Wirtschaft zur Folge?
ETH-Professor Egger hat auch die mit der Strategie des Bundes einhergehende massive Energieverteuerung volkswirtschaftlich untersucht. Die Schweiz könnte bis zu zwei Dekaden Wachstum verlieren, die durch technologischen Fortschritt zu kompensieren wären.
Sie malen den Teufel an die Wand, bringen aber selbst keine Lösungsvorschläge. Auf welche Energieträger soll die Schweiz in Zukunft setzen?
Wir stellen dem Konzept des Bundesrats in ein paar Monaten ein alternatives gegenüber. Mit realistischen Annahmen. Und mit Anregungen, wie wir die Energiewende schaffen, aber auch wirtschaftsverträglich gestalten können.
Was schlagen Sie vor?
Es braucht entweder Gaskombi-Kraftwerke oder Stromimporte in grösserem Stil – eine Schweiz ohne AKW wird nicht drum herumkommen. Andere Möglichkeiten gibt es heute nicht. Leider.
Die Strategie des Bundes beinhaltet auch mehrere Gaskraftwerke. Dies sorgte für einen Aufschrei. Dutzende Gaskraftwerke sind politisch undenkbar!
Eine Grössenordnung kann ich heute nicht nennen. Aber sicherlich braucht es aus heutiger Sicht mehrere Gaskombi-Kraftwerke, wenn wir an einem hohen Eigenversorgungsgrad festhalten wollen. Anders geht es nicht. Wegen der zusätzlichen CO2-Emissionen braucht es Kompromisse in der Klimapolitik.
Strom in grossem Stil zu importieren, ist auch unbefriedigend.
Die Schweiz wird auch da nicht drum herumkommen. Ein Energieabkommen mit der EU wäre diesbezüglich sicherlich von Vorteil. Klar ist: Die Schweiz muss einen Teil ihrer strategischen Unabhängigkeit und einen Teil ihrer Bemühungen in Sachen Umweltschutz dem Atomausstieg opfern – oder einen hohen volkswirtschaftlichen Preis zahlen.
Zum Schluss ein anderes Thema. Die Abzocker-Initiative war für Sie ein Debakel. Wie geht Economiesuisse nach dieser Niederlage gegen die 1:12-Initiative vor?
Gewerbeverband und Arbeitgeberverband werden an vorderster Front kämpfen. Wie üblich bei Sozial- und Arbeitsmarktvorlagen bleiben wir im Hintergrund und helfen dabei.
Auch mit Geld?
Wir werden helfen.
Man konnte lesen, Ihr Sitz oder jener von Präsident Rudolf Wehrli würde wackeln, Nachfolger würden gesucht ...
Das ist falsch.
Dann sind keine personellen Konsequenzen vorgesehen?
Richtig, solche sind nicht vorgesehen.