Lange war es still geworden um die Schweizer Bezahl-App Twint. Es war die Ruhe vor dem Shitstorm: Vergangenen Montag berichtete der Finanz-Blog «Inside Paradeplatz» von schlechten Download-Zahlen. Twint sei ein «historischer Flop der führenden Banken der Schweiz». Andere Blogger und Twitterer legten nach zum «Debakel um Twint».
Die App, deren Marketing ein einziges Werbechaos ist, sei ein «Fehlstart mit Ansage», schrieb etwa «finews.ch». Es gebe kein Bedürfnis nach der App, so das Finanznachrichtenportal.
Nur 130'000 Twint-Zahlungen an Händler-Terminals
Twint-CEO Thierry Kneissler (46) versuchte, die Wogen zu glätten. Die Nachfrage nach Twint sei eindeutig vorhanden, schrieb Kneissler in einem Gastbeitrag für «finews.ch» und erging sich in Selbstlob für den «Schweizer Marktführer im Mobile Payment». Die Zahl der Transaktionen steige stark an.
Fakt ist: Im Juni gab es 270'000 Transaktionen mit Twint. 48 Prozent gehen davon aufs Konto von Kassierern. Das heisst: Lediglich etwa 130'000 Einsätze an Terminals von Händlern!
Kneisslers Eingeständnis bei finews.ch: «Aus der Geschichte der Einführung von anderen Zahlungssystemen wissen wir, dass der Nutzer Zeit braucht, bis er ein neues Zahlungssystem intensiv nutzt.» Seine Verteidigung: Bei den NFC-fähigen Karten habe es sieben Jahre gedauert, bis die Nutzerzahlen substanziell geworden seien.
Vorteil der NFC-Karten war schon bei Lancierung von Twint absehbar
Gegen diese kontaktlosen Karten, die auf der NFC-Technik (Nearfield Communication) basieren, kommt Twint knapp zwei Jahre nach der Lancierung jedenfalls nicht an. Eine Auswertung des Zahlterminal-Anbieters SIX, die BLICK exklusiv vorliegt, zeigt, wie schlecht Twint wirklich läuft.
Demnach wurden NFC-Karten im Juni über 5,6 Millionen Mal zum Bezahlen einfach an SIX-Terminals gehalten. Verglichen mit den Zahlen der Twint-Transaktionen bedeutet das: In der Schweiz gab es 43-mal mehr Bezahlungen mit kontaktlosen Karten als mit Twint.
Das schien schon absehbar, als die vermeintliche Zukunft des Bezahlens unter schummrigen Glühbirnen zur Welt kam. Anfang November 2015 hatte die Postfinance in eine Zürcher Hipster-Bar geladen, um Twint vorzustellen. Vor ausgewählten Journalisten präsentierte Postfinance-CEO und damaliger Twint-Präsident Hansruedi Köng (51) die Bezahlapp.
Twint setzt auf E-Commerce
Mit dem Handy am Ohr spielte er einen Einkauf an der Supermarktkasse nach. Das Smartphone habe man ja eh schon zur Hand und müsse es nur schnell an die Kontaktstelle halten, so Köng. Fazit: Zeitersparnis, weil man nicht das Portemonnaie aus der Hosentasche herauskramen muss.
Köng hat sich da mächtig geirrt. Allein der Zahlvorgang mit einer NFC-Karte benötigt weniger Zeit als das Aufstarten der Twint-App, die man mit einem Pin-Code freischalten muss.
Kein Wunder, wittert Twint seine Chance nicht an der Händlerkasse, sondern im Online-Handel. Der Einsatz von Twint im E-Commerce sei «ein wesentlicher Pfeiler für den künftigen Erfolg», so CEO Kneissler.