SVP-Rickli «schockiert» nach Seefeld-Mord
«Warum lernen die Behörden nichts?»

Das Tötungsdelikt im Zürcher Seefeld ruft die SVP auf den Plan. Während sie ein schärferes Haftregime fordert, ist für Strafrechtsprofessor Martin Killias allerdings klar: Ganz vermeiden lassen sich solche Tragödien nie.
Publiziert: 04.07.2016 um 17:18 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 23:43 Uhr
Lea Hartmann

Einen Tag unbegleiteten Hafturlaub war Tobias Kuster gewährt worden. Einige Stunden Freiheit, die der 23-jährige verurteilte Gewalttäter schamlos ausnutzte. Statt am 23. Juni in seine Zelle im Gefängnis Pöschwies zurückzukehren, tauchte Kuster unter. Auf der Flucht soll er – so der Verdacht der Polizei – zusammen mit einem Komplizen einen 42-jährigen Mann umgebracht haben.

Der Mord im Zürcher Seefeld und die mutmassliche Beteiligung Kusters wirft Fragen auf. Weshalb wurde Kuster, der wiederholt straffällig wurde, unbegleiteter Hafturlaub gewährt? Und weshalb leitete die Zürcher Stadtpolizei erst zwei Tage nach der Bluttat eine öffentliche Fahndung nach dem Flüchtigen ein? 

«Klar ein Fehlentscheid»

«Rückblickend gesehen war die Gewährung von Hafturlaub klar ein Fehlentscheid», sagt der St. Galler Strafrechtsprofessor und Kriminologe Martin Killias. Dass Kuster erst nach rund drei Jahren im Gefängnis ein erster, sehr kurzer unbegleiteter Hafturlaub gewährt worden sei, deute darauf hin, dass die Justizvollzugsbeamten sehr vorsichtig gewesen seien.

Zu recht, wie sich nun zeigte. «Wenn jemand bereits einen eintägigen Hafturlaub für so eine Tat nutzt, ist eine Person offensichtlich sehr gefährlich.» Sollte Kuster tatsächlich am Tötungsdelikt beteiligt sein, meint Killias, drohe ihm nun eine langjährige stationäre Massnahme – auch «kleine Verwahrung» genannt.

Laut Killias liessen sich solche Fehlbeurteilungen allerdings niemals ganz vermeiden. Irgendwann müsse mit jedem Häftling, der nicht lebenslänglich verwahrt wird, ein erster Schritt Richtung Resozialisierung gemacht werden. «Man musste ihm die Chance geben, sich zu bewähren. Denn nach fünfeinhalb Jahren wäre er sowieso wieder in Freiheit», sagt der Strafrechtler. Die früheren Delikte hätten es zudem niemals gerechtfertigt, ihn lebenslänglich wegzusperren. 

SVP-Rickli fordert mehr Verwahrungen

Die Zürcher SVP-Nationalrätin Natalie Rickli.
Foto: Sabine Wunderlin

Für SVP-Nationalrätin Natalie Rickli, die seit Jahren für verschärfte Haftbedingungen für Straftäter kämpft, ist indes klar: «Der Schutz der Bevölkerung muss höher gewichtet werden als die Urlaubswünsche von Straftätern.»

Es handle sich nicht um einen «Fehlentscheid», sondern um ein «Skandal»: «Lucie, Marie, Adeline: Es ist nicht das erste Mal, dass Strafvollzugslockerungen oder bedingte Entlassungen zu einer Tragödie führen. Warum lernen die Justizvollzugs-Verantwortlichen nichts aus diesen Fällen?»

Die SVP-Frau fordert, dass nicht nur das Haftregime in Gefängnissen verschärft, sondern auch die Hürden für eine Verwahrung gesenkt werden. Zudem müsse die Bevölkerung im Falle flüchtiger Gewalt- und Sexualstraftäter umgehend informiert werden.

«Ich bin (fast) sprachlos»: So kommentierte Rickli die Pressekonferenz der Zürcher Behörden auf Facebook.

«Es gibt kein Nullrisiko»

Forderungen, die beim Zürcher FDP-Nationalrat Beat Walti Kopfschütteln auslösen. Auch er befürworte eine offensive Informationspolitik der Behörden. Doch über jeden Häftling zu informieren, der die Auflagen nicht erfüllt, gehe zu weit. Ebenso, wie für alle potenziell gefährlichen Gefängnisinsassen eine Verwahrung zu verlangen. «Bei Tätern, die bisher noch keine Kapitalverbrechen begangen haben, widerspricht das meiner Vorstellung eines Rechtsstaats», sagt Walti.

Auch SP-Kollegin Priska Seiler Graf ist der Überzeugung, dass eine verschärfte Verwahrungspraxis nicht die richtige Lösung ist. Die Resozialisierung von Straftätern sei wichtig. «Dabei gibt es kein Nullrisiko», sagt sie. Man müsse den Fall Kuster nun genau analysieren und wenn nötig Konsequenzen ziehen – «ein populistischer Rundumschlag bringt hingegen nichts».

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